Wir befinden uns bereits wieder am Ortsausgang: Die Sau, die in den vergangenen zwei Wochen durch unser Dorf gejagt worden ist – sie arbeitet für das ZDF und heißt Markus Lanz –, ist gerade dabei, den Ort zu verlassen und sich in die angrenzenden Wälder zu schlagen. Versehrt, aber nicht erlegt. Ein guter Moment, um durchzuatmen: Worum ging es noch gleich?
Es ging vorrangig um die Fähigkeit dieses einen Moderators. Er war nach einem Gespräch mit Sahra Wagenknecht zum Symbol für ein System geworden und derart ins Zentrum gerückt, als würde er 24 Stunden am Tag talken. Diesem Mann sollte die Berechtigung entzogen werden, weiter seinen Job zu machen, forderte gar eine Online-Petition. Eigentlich ging es um eine Legitimationskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diskutiert wurde diese Frage aber nur am Rand. Es hätte darum gehen müssen, ob ARD und ZDF ein Programm anbieten, das die Gesellschaft, auch in den Nischenbereichen, repräsentiert. Jenseits der Großen Koalition aus Wetten, dass..?-, Bayern-München- und Tatort-Fans.
Das ZDF hat versucht, die Debatte mit einer Stellungnahme zu beenden, in der es hieß, man nehme die Kritik zwar ernst, aber Lanz würde von Millionen eingeschaltet. Diese Argumentation taugt allerdings nicht, um diese ja bereits länger andauernde Legitimationskrise zu bewältigen. Sie verstärkt sie sogar, weil sie sich ignorant gegenüber der Kritik zeigt.
Standard-Reaktion
Die Lanz-Debatte jedenfalls war als Einzelfalldiskussion symptomatisch: Als die ARD am vergangenen Sonntag das weltweit erste Fernsehinterview mit dem Whistleblower Edward Snowden erst um 23 Uhr sendete, weil vorher der Tatort und Günther Jauch gezeigt werden mussten, zog sich durch die kritischen Kommentare die Haltung, das sei ja wieder typisch. Quote gehe vor Relevanz. Und die ARD? Reagierte mit dem Verweis auf die „gute Akzeptanz“ des Programms.
Auch der Dreiteiler Unsere Mütter, unsere Väter, der von der Kritik tendenziell gefeiert wurde, als hätte das ZDF das Medium neu erfunden, von dem sich die New York Times aber kürzlich an einen Propagandafilm von 1943 erinnert fühlte, wurde endgültig in jenem Moment zum Erfolg erklärt, in dem sich auch die Zuschauerzahlen als zufriedenstellend erwiesen.
Wenn man die Quote aber schon behandelt wie das Ergebnis einer Abstimmung über Erfolg und Qualität einer Sendung, dann müsste man konsequenterweise auch sagen, dass an dieser Abstimmung nur wenige teilnehmen: Selbst wenn 7,63 Millionen Menschen Unsere Mütter, unsere Väter sahen, schalteten immer noch 73 Millionen nicht ein. Insofern könnte man sagen: Quoten haben ein Demokratiedefizit. Die Frage lautet daher: Wenn nicht über die Quote, wie dann ließe sich diese Legitimationskrise beenden?
Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen
Es müsste dafür ein neues Verständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks etabliert werden, inner- wie außerhalb der Anstalten. Diese haben keineswegs einen 24-Stunden-Bildungsauftrag, wie Kritiker gern behaupten. Es ist aber auch nicht ihre Aufgabe, möglichst viele von den Leuten zu erreichen, die ohnehin fernsehen, wie jene aus den Sendern behaupten, die morgens als erstes die „Akzeptanzwerte“, also Quoten, vom Vortag ausdrucken.
Nein, sie sollen alle erreichen, weil sie seit dem Jahr 2013 von allen Haushalten finanziert werden, unabhängig von vorhandenen Empfangsgeräten. Das ist zwar unmöglich, aber es muss der Maßstab sein. Da ein Programm, das alle zugleich gerne sehen, nicht vorstellbar, geschweige denn wünschenswert ist, muss es entsprechend heterogen sein. Die Öffentlich-Rechtlichen haben daher nicht den Auftrag, keinen Moderator zu beschäftigen, der von vielen Leuten nicht gemocht wird. Sie haben vielmehr den Auftrag, möglichst viele Moderatoren zu beschäftigen, die von vielen Leuten nicht gemocht und verstanden werden.
Qualitativer Anspruch
Sie müssten Formate für alle Milieus, Generationen, Bildungsgrade, für jeden Geschmack, jedes Interesse und in den verschiedensten Macharten haben, und, solange das lineare Fernsehen existiert, jeweils zu idealen Uhrzeiten. Der Erfolg öffentlich-rechtlicher Programme kann daher nur qualitativ beurteilt werden. In Skandinavien wird der Bechdel-Test angewandt, um zu prüfen, ob ein Film sexistisch sei. Er besteht aus drei einfachen Fragen und ist kein TÜV, aber funktioniert einigermaßen: Kommt in dem Film mehr als eine Frau vor und haben sie Namen? Sprechen die Frauen miteinander? Reden die Frauen miteinander über etwas anderes als Männer?
Vielleicht würde es schon genügen, wenn die Senderverantwortlichen ihr Programm einem ähnlichen Test unterzögen: Welche zehn Sendungen dieser Woche würden Sie den Freunden ihrer erwachsenen Kinder empfehlen, ohne dabei ihre Kinder zu blamieren? Welche zehn Sendungen würden Sie der Single-WG von oben, welche dem älteren Ehepaar von nebenan und welche der Literaturprofessorin von unten dringend empfehlen? Wirklich? Können Sie diese Empfehlungen auch dann noch aussprechen, wenn Sie die Ausstrahlungszeiten bedenken? Mehr als eine Ausgabe von Markus Lanz pro Woche wäre sicher nicht dabei.
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