Weihnachten ist Stress. Das liegt einfach daran, dass schon allein der Gedanke daran, dass Weihnachten wieder stressig werden könnte, Stress verursacht.
Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten, mit dem Stress umzugehen. Erstens: sich Weihnachten verweigern und einfach in ein schönes Erdloch ziehen. Zweitens: Stress einfach mitmachen, also zusätzlich zum Feierabendshopping verkaufsoffene Sonntage ausnutzen, in Fußgängerzonen herumhängen, Norah Jones' Kaufhausgeklimper hören, alle verfügbaren Weihnachtsgutscheine einlösen, letztlich Harmonie erwarten und maßlos enttäuscht werden. Es gibt eine Statistik von Facebook, derzufolge die meisten Beziehungen zu Frühlingsbeginn und in den zwei Wochen vor Weihnachten in die Binsen gehen.
Die dritte Möglichkeit ist der Mittelweg. Stress vermeiden. Weihnachten normalisieren. Sich besser organisieren.
Kritisch feiern
Als ich ein Teenager war und mich Jahr für Jahr über die Erfindung des Geschenkpapiers aufregte, nahm ich mir vor, Verweigerer zu werden, wenn ich groß bin: keine Geschenke (kapitalismuskritische Komponente), kein Baum (Umweltkomponente), keine Verbreitung von Märchen als Wahrheit (medienkritische Komponente), keine schicken Kleider (spießerkritische Komponente), keine Glocken (kirchenkritische Komponente), Abschaffung aller Erwartungen (Realo-Komponente). Alternativ: Döner für alle (Simplify-your-life-Komponente).
Jetzt bin ich groß und weiß, dass Weihnachten so nicht funktioniert. Niemand ist eine Insel, jedenfalls niemand, der eine Familie hat. Die Teilnahme an Weihnachten ist sozial erwünscht, und da man an Weihnachten Wünsche erfüllt, gibt es keinen Ausweg. Was bleibt? Bessere Organisation.
Man kann die Vorweihnachtszeit nun wiederum auf zwei Arten organisiert ent-stressen. Erstens: Man kauft alle Geschenke innerhalb kürzester Zeit und verschwendet ansonsten keinen Gedanken an das Fest. Oder zweitens: Man organisiert alles so rechtzeitig, dass man weder Lichterketten noch Fahrstuhlmusik mitbekommt. So rechtzeitig, dass noch nicht einmal die Karten für sinnstiftende Basketballspiele am zweiten Feiertag vergriffen sind.
Ersteres, das Turboshopping, habe ich schon einmal versucht. 2002 suchte eine Radiokollegin jemanden, der sein Holy-X-Mas-Shopping in maximal einer Stunde hinter sich bringt und dabei seine Erfahrungen auf Band spricht. Ich war dabei.
Mein Vater bekam damals wie immer ein Buch, und weil es schnell gehen musste, war es das von Dieter Bohlen. Das lag am Eingang des Bookstores. Für meinen Opa testete ich einen Nussknacker (weil der so schöne radiotaugliche Geräusche macht), kaufte dann aber doch frisch gerösteten Kaffee (wegen der Röstgeräusche). Das kostete leider viel Zeit. Mein Bruder bekam daher schnell irgendwas von irgendeinem Klamottenladen, der nah am Bookstore lag, meine Schwester bekam auch irgendwas, und für meine Mutter gab es – gelobt sei die geschwisterliche Arbeitsteilung – irgendetwas, das meine Schwester besorgt hatte und an dem ich mich finanziell beteiligte. Als Kollektivgeschenk für alle gab es zusätzlich eine Kassette, auf der die Radioreportage zu hören war, die davon handelte, wie ich mich innerhalb einer Stunde mit Bullshit für meine Familie eindecke.
Rückblickend muss ich sagen, es ist nicht ideal, aus beruflichen Gründen seine Liebsten zu vernachlässigen. Das ist, wie live von der Bescherung zu twittern, um den Followern ein paar Pointen zu schenken.
Mehr im 2. OG
Ich bin daher also nun beim Versuch angekommen, Weihnachten rechtzeitig anzugehen. Ziel: Arrangement mit einem gesellschaftlichen Ereignis, gegen das ja an sich eigentlich wenig spricht, totale Entkrampfung und ein Ruhepuls von 45.
Es ist Mitte November, und es ist zwar schon zu spät, um nicht zu ahnen, dass bald Weihnachten ist, aber noch früh genug, um das mit einer gezielt selektiven Wahrnehmung auszublenden. Es gibt in vielen Geschäften noch eher dezente Hinweise auf Weihnachten, etwa in einem Buchladen: "WEIHNACHTEN. Mehr davon finden Sie im 2. OG."
Prinzipiell zu meiden sind derzeit nur Telekommunikations-Filialen (wegen Schneesturmdekoration) und Parfümerien. Parfümerien sind die Eckkneipen der Theaterabonnenten. Es gibt Christkinder, Plastikbäume, wie Lebkuchen-Pakete gestaltete Seifenspender und Rentiere. Es ist aber gar kein Problem, Parfümerien zu meiden; Parfüms sind immer Notnagelgeschenke für sozialvertrottelte Turboshopper. Ihre Botschaft lautet in Wahrheit: Du stinkst!
In alle anderen Läden kann man tatsächlich noch gehen, obwohl das Weihnachtsgeschäft offiziell begonnen hat; es fragt noch niemand: "Verpackung gefällig? Genießen Sie Ihren Aufenthalt in der 60 Meter langen Einpackschlange." Geschenke kaufen fühlt sich noch an wie bummeln. Wie Weihnachten ohne Weihnachten.
Ich habe also bereits folgende Geschenke erstanden: handgenähte Lederhausschuhe für das Kind. Weitere kindgerechte Geschenkideen habe ich, unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus den entsprechenden Stiftung-Warentest-Broschüren, für Großeltern, Tanten und Onkels gesammelt. Erfahrungsgemäß kümmern die sich ja nicht rechtzeitig und haben einen Mordsstress.
Meine Eltern erhalten ein Gemeinschaftsgeschenk ihrer Nachkommen, dessen Anschaffung von mir übernommen wird, Sondierungsgespräche laufen. (Ich werde auch Skype auf dem neuen Computer installieren, für die Distanzkontaktpflege.) Außerdem gibt es: Onlinegutscheine für einen Verwandten, der mit leichtem Gepäck zu reisen pflegt und "echt nicht so viel Scheiß zurückschleppen" will – das muss man so akzeptieren, und im Nebeneffekt vereinfacht das die Angelegenheit natürlich brutal. Für alle anderen habe ich noch nichts, aber ich weiß zum Beispiel schon, dass niemand Parfüm bekommen wird.
Und hey, es ist ja auch echt noch ein bisschen Zeit bis zum, na, Dings.
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