Porträt Thomas Broich galt als eines der größten deutschen Fußballtalente, gleichauf mit Schweinsteiger und Podolski – er scheiterte grandios. Dann fing er in Australien neu an
Thomas Broich? Einer seiner Kollegen sagt: "Er geht mir wirklich auf den Arsch." Warum? Broich liest, spielt Klavier, hört klassische Musik und schleppt seine Kollegen ins Theater, in Mutter Courage etwa. "Ich gehe auf alle Fälle nicht mit", sagt der Kollege in die Kamera. Kein Zweifel: Broich ist anders als die anderen. Sie nennen ihn Mozart.
Es ist das Jahr 2003, Thomas Broich ist Fußballprofi beim SV Wacker Burghausen in der Zweiten Liga, als der Filmemacher Aljoscha Pause ihn erstmals mit der Kamera begleitet. Man weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was aus Broich werden wird: ein Zweitligaprofi, den keiner kennt? Ein Bundesligaprofi, den schon ein paar mehr kennen? Oder gar noch mehr?
Broich wurde Hoffungsträger. Bastian Schweinsteiger, Frank Fahrenhorst,
teiger, Frank Fahrenhorst, Lukas Podolski und Thomas Broich, diese vier wurden einmal im ZDF-Sportstudio als die genannt, die bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland tragende Säulen der Nationalmannschaft sein könnten. Schweinsteiger – heute einer der besten Spieler der Welt – und Podolski spielten tatsächlich. Broich aber blieb einfach ein Fußballer. Und stürzte ab.Von Burghausen war er 2004 zu Borussia Mönchengladbach gewechselt, von dort 2006 zum 1. FC Köln, von dort 2009 zum 1. FC Nürnberg. Dort saß er oft auf der Bank. Und gegen Ende des Films Tom Meets Zizou (siehe Hintergrund), als man Broich 2009 in Nürnberg in einer nicht eingerichteten Wohnung sitzen sieht, sagt er: "Sich zu überlegen, dass ich fast mal Nationalspieler war, das ist unbegreiflich. Das ist ein anderer gewesen." Broich spricht von einer "ausgewachsenen Fußballdepression", denkt – noch keine 30 – darüber nach, die Karriere zu beenden.Michael Oenning, einer seiner Trainer, sagt im Film, Broich "scheitert gerne". Oenning nennt ihn einen "tragischen Helden". Und tatsächlich scheint seine Karriere den Regeln des klassischen Dramas zu folgen: Der Steigerung folgt der Wendepunkt, dem Knick das langsame Zusteuern auf die Katastrophe.Doch die fällt dann überraschenderweise aus: Broich wechselt nach Australien zu Brisbane Roar und wird mit seinem Team nach 28 Spielen ohne Niederlage (australischer Rekord), nach 15 Torvorlagen und sechs Toren Meister. Im Finale gibt er in den letzten Minuten der Verlängerung zwei Torvorlagen. Das war am 13. März.Drei Tage später sind wir mit ihm zum Skype-Interview verabredet.Der Freitag: Herr Broich, waren Sie je näher dran als jetzt, sich wie Zinedine Zidane, Ihr früheres Vorbild, zu fühlen?Thomas Broich: Ich fühle mich nicht wie Zidane, aber näher dran war ich tatsächlich nie. Die australische Liga ist natürlich nicht die stärkste, aber wenn man dann so eine außergewöhnliche Rolle spielen und als einer der stärksten Spieler der Liga gelten und auf technisch saubere Weise auch den Fußball darbieten darf – das hatte ich in der Form noch nie. Auch nicht, als es in Deutschland noch gut lief.Würden Sie sagen, dass Sie den Höhepunkt Ihrer Karriere erreicht haben?Das ist schwierig. Ich würde die Zeit in Deutschland, gerade die Anfangsjahre, immer noch als erfolgreicher bezeichnen, weil der Standard höher ist. Es ist definitiv schwieriger, in Mönchengladbach eine tragende Rolle zu spielen als hier in Australien. Und in Mönchengladbach war ich vielleicht nicht überragend, aber spielte doch vielversprechend.Im Film sagen Sie gegen Ende, Sie würden als Fußballprofi in Deutschland 'ein Leben leben, das ich nicht leben will'. Was war damals das Problem?Das ist ziemlich komplex. Da spielen viele Faktoren mit rein.Lassen Sie sie uns durchgehen.Also, ich hatte ja von jeher schon ein bisschen andere Interessen als der gemeine Fußballprofi, was an und für sich ja nicht schlimm wäre, wenn man das nicht so künstlich betonen würde, wie ich das damals gemacht habe.Was meinen Sie? Lesen?Zum Beispiel. Lesen, Musik, was auch immer.Ja. Mir hat das geschmeichelt, dass ich so wahrgenommen wurde. Und ich ritt darauf ja auch selbst herum mit extra gestelzter Wortwahl. Ich sah damals die Möglichkeit, ein sehr guter Spieler zu werden, vielleicht gehobenes Bundesliga-Niveau, vielleicht Nationalspieler – und dann auch noch ein so besonderer. Damals habe ich das sehr genossen. Aber heute würde ich alles anders machen. Ich bin damals in die Falle getappt. Ich hätte mich darauf besinnen sollen, ein guter Fußballer zu werden. Damit wäre ich besser gefahren.Wenn Sie schlecht spielten, hieß es, der Mozart, ein Schönspieler, bringt’s nicht, wenn’s drauf ankommt. Sie sagen, der Spitzname habe Ihnen geschadet. Wenn man mich nur auf dem Platz Mozart genannt hätte, wäre das nicht schlimm gewesen. Auf fußballerische Qualitäten bezogen ist das ja sogar eine schöne Assoziation. Aber das spielt halt auch in die Kabine mit rein, wie man sich den anderen gegenüber verhält und wie man sich auch selbst wahrnimmt. Ich wollte niemanden provozieren, aber ich habe polarisiert. Und dagegen habe ich wiederum rebelliert. Gegen Trainer, Mitspieler. Damit tat ich mir keinen Gefallen. Dazu kommt, dass ich mental nicht der Stärkste bin. Wäre ich ein Stefan Effenberg ...... der auf Kritik eher mit dem gestreckten Mittelfinger reagierte ...... hätte ich das vielleicht wegstecken können, aber das bin ich ja nicht, im Gegenteil. Ich bin eher labil. Und in der Kombination führte das zum Scheitern. Der Mozart hat mich am Ende viel gekostet. Ich möchte das Scheitern aber nicht anderen in die Schuhe schieben. Ich habe bereitwillig mitgemacht und am Ende dafür bezahlt.Zu Beginn Ihrer Bundesliga-Karriere war Michael Oenning einer Ihrer Trainer. Am Ende war er es wieder. Was mich am Ende des Films überrascht hat, war, dass Sie unter ihm nicht wieder aufblühten. Das habe auch ihn überrascht, sagt er. Sie auch?Rückblickend nicht. Auch er konnte mich einfach nicht mehr einrenken. Ich war extrem geschädigt und in meinem Kopf gefangen. Ich konnte das erst aufbrechen, als ich tatsächlich Deutschland verlassen hatte. In den folgenden Monaten habe ich dann angefangen, alles aufzuarbeiten und wieder zu mir zu kommen. Aber in Deutschland pflegte ich am Ende eine totale Verweigerungshaltung, da konnte nicht mal der Micha mehr durchdringen.Würden Sie jetzt, im Nachhinein, sagen, eigentlich ist der Weg dann aber doch in Ordnung? Sie spielen im Ausland, wie Sie es immer wollten, sind Meister. Als gescheiterte Existenz würde ich Sie eigentlich nicht sehen.Das ist schön, dass Sie das so sagen. Aber ich bleibe dabei: Es ist nicht gut, wie es gelaufen ist. Ich bin jetzt wieder ein sehr glücklicher Mensch, aber das war ich in den drei oder vier Jahren zuvor nicht. Fußball hat keinen Spaß gemacht. Ich habe viel probiert ...Sie meinen Ihre drei Vereinswechsel?Ja, ich bin oft gescheitert. Und jedes Scheitern habe ich als noch schlimmer empfunden als das vorherige. Und es ist ja noch schlimmer, wenn man sich eingestehen muss, dass man an der eigenen Misere auch noch selbst schuld ist. Ich würde wirklich niemandem empfehlen, den Weg so zu gehen, wie ich ihn gegangen bin. Es ist einfach dumm.Ein Wendepunkt Ihrer Karriere scheint Ihr Zusammentreffen mit dem Trainer Dick Advocaat gewesen zu sein, der Sie – gerade auf dem Sprung in die Nationalmannschaft – in Mönchengladbach auf die Bank setzte.Ich war einfach nie imstande, Leistung abzurufen, wenn es kein gesundes Verhältnis in der Mannschaft und mit dem Trainer gab. Ich muss gebraucht werden. Deswegen hätte ich selbst auch in diese Richtung agieren müssen. Ich habe aber den Konfrontationskurs gewählt. Das war falsch.Haben Sie ein Problem mit Autorität?An sich nicht, solange ich sehe, dass was dahinter ist. Mir kann schon einer sagen, wo es lang geht, wenn ich erkennen kann, dass es gerecht ist, dass es Sinn ergibt. Nur hatte ich manchmal das Gefühl, dass es teilweise sehr willkürliche Entscheidungen gab. Im Fußballgeschäft geht es nicht immer nur um Leistung oder um die Gesundheit des Ganzen. Sondern es geht um so viele Faktoren.Können Sie die benennen?Es sind kleine Beispiele. Ich würde etwa sagen, dass die Entscheidung, welche Spieler auf dem Platz stehen, oft stark davon abhängt, welcher Trainer welchen Spieler geholt hat. Da gibt es Klüngeleien, auch mit Spielerberatern, und das war mir immer ein Dorn im Auge. Ich konnte einfach nicht einsehen, dass ein Spieler eine Stammplatzgarantie hat, nur weil er viel Geld gekostet hat und nur weil er vom neuen Trainer geholt wurde und nicht vom alten. Das sind Kleinigkeiten, die es in jedem Verein gibt, seit Jahren. Aber ich konnte mich damit nie abfinden.Was ist in Australien anders? Gibt es diese Klüngeleien nicht, oder sind Sie hier nur der Profiteur?Sicher bin ich Profiteur. Die bezahlen mir ein ganz gutes Gehalt, vergleichsweise, und ich brauche mir keine Gedanken zu machen, dass ich auf der Bank lande, auch wenn ich drei oder vier Mal schlechter spiele. Aber generell ist der Unterschied zwischen der Bundesliga und der australischen A-League der, dass Fußball in Australien auf kleinerer Flamme gekocht wird. Hier sind Rugby, Cricket und Australian Football die großen Sportarten, da laufen auch die Jungs mit dem großen Ego rum. Ich würde Fußball hier mit Handball in Deutschland vergleichen. Das macht alles angenehmer. Es ist unaufgeregt, nicht so aufgeblasen. Das macht es mir einfacher, wieder Spaß am Fußball zu haben.Was machen denn australische Fußballer? Dostojewksi lesen? Oder spielen die nicht doch auch lieber Playstation?Das unterscheidet sich nicht großartig. Da kann man einmal um den halben Erdball reisen – die Jungs sind im Prinzip dieselben. Wer sich verändert hat, bin eher ich.Das heißt, Sie spielen jetzt Playstation?Nein, Playstation spiele ich immer noch nicht. Aber das Umfeld kommt mir zugute. Es gibt hier einige, die ein ganz anderes Leben führen als deutsche Profis: die erst spät Fußballer geworden sind, oder die wissen, dass sie hier nicht so viel verdienen, dass sie später ausgesorgt haben. Die lernen nebenbei, studieren, haben vielleicht sogar schon gearbeitet. Das hier ist näher dran am wirklichen Leben.Sind Sie froh, dass Sie nicht unter der Beobachtung stehen, unter der Sie in Deutschland standen, wo Sie immer der gescheiterte Hoffnungsträger waren?Absolut. In Australien wusste keiner was mit mir anzufangen. Und das ist super, weil man die Leute auch mal überraschen konnte. Am Anfang habe ich ganz vernünftig gespielt, nichts Großartiges, aber schon da haben die Leute hier gestaunt. Und das war geil, das einfach mal wieder zu erleben. Es gab de facto keine Erwartungshaltung. Das hat gut getan.Aber setzen diese Erwartungen jetzt nicht wieder ein? Müssen Sie jetzt wieder Meister werden und sieben Tore schießen statt sechs, und noch mehr Vorlagen geben? Muss sich das jetzt Jahr für Jahr steigern?Nein! Oder ja, doch! Ich hatte um die Jahreswende herum einen kleinen Durchhänger. Da gab es ein paar schwächere Spiele, und schon merkte man, wie hoch die Erwartungshaltung dann doch schon wieder war, nach den vielen Siegen zuvor. Da hatte ich eigentlich schon wieder keinen Bock mehr. Aber ich habe die Herausforderung diesmal angenommen und mich bemüht, diesen Druck als positiv zu empfinden. Und so soll es weiter sein. Natürlich versuche ich, das Ganze nochmal zu steigern. Aber wir haben eine unfassbare Saison gespielt, und es wird wahrscheinlich unmöglich, das zu wiederholen. Andererseits will ich jetzt auch nicht aufhören, so Fußball zu spielen wie im letzten Jahr.Was bringt Ihnen die Zukunft?Schön ist erst einmal, dass es überhaupt wieder eine Zukunft gibt. Plötzlich habe ich wieder die Perspektive, noch fünf oder sechs Jahre zu spielen. Ob ich das tun werde, weiß ich nicht. Aber dass es überhaupt die Möglichkeit gibt – das finde ich im Moment schön.
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