Tansania verliert eine Legende

Radio Unser Kolumnist würdigt eine zentrale Figur der Popgeschichte des ostafrikanischen Landes
Ausgabe 10/2019
Ohne Ruge Mutahaba sähe das Gesellschaftsleben in Tansania heute anders aus
Ohne Ruge Mutahaba sähe das Gesellschaftsleben in Tansania heute anders aus

Foto: Yasuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

Ruge Mutahaba saß ganz oben im NIC-Investment Building, dort, wo der private Radiosender Clouds FM seinen Sitz hatte. In Daressalam, Tansania, war Mutahaba in den nuller Jahren der Mann, zu dem junge Leute pilgerten, in der Hoffnung, die nächsten zu sein, die bei Clouds groß rauskommen. Wie der Rapper Q-Chief etwa, der beim Autowaschen sang und von Mutahaba entdeckt wurde. Habe reiche Eltern – oder überzeuge einen wie ihn: Das waren, für eine Zeit lang, die zwei unter jungen Leuten bekanntesten Wege, um zu Wohlstand zu kommen. Wie in einem Arztwartezimmer saßen sie im klimatisierten Vorraum des Senders, herausgeputzt mit Basketballtrikots und Timberland-Imitaten, und warteten, dass sie ihm, der zugewandt und höflich war, dessen Handy aber unentwegt läutete, ihre Demotapes überreichen konnten. Mutahaba möge es auf den Sender schicken, das war der Plan.

Clouds, Clouds, Clouds: Der Name des Radiosenders war von den Neunzigern an überall präsent im Land. Mutahaba war damals der General Manager des Konzerns, zu dem der Sender gehört, der Clouds Media Group. Er, 1970 geboren, war bereits dabei gewesen, als Clouds entstand – als Veranstaltungsreihe, bei der Tansanias Jugend in den Achtzigern mit US-Hip-Hop infiziert wurde. In einem Clouds-Studio wurde 1993 das erste Album mit Swahili-Rap aufgenommen. Fünf Jahre später, der Hörfunk war nun privatisiert, wurde Clouds FM gegründet. Der staatliche Monopolsender hatte westliche Musik im Sinn der Nation-Building-Politik abgelehnt. Nun, nach dem Ende der sozialistischen „ujamaa“-Politik, machten private Sender populäre Musik aus aller Welt auch im Hinterland bekannt. Allen voran Clouds.

Es gab bald Clouds-Hörfunkableger in Sansibar, ein gedrucktes Magazin, einen Fernsehsender. Der umtriebige Mutahaba selbst gründete das „Tanzania House of Talent“, ein Ausbildungszentrum, für das die Regierung, zu der er beste Kontakte pflegte, die Technik spendierte. Von einem ehemaligen Präsidenten wurde Mutahaba dieser Tage als Leistungsbotschafter gewürdigt, der in die Köpfe zu implantieren verstand, dass es der Gesellschaft am meisten helfe, wenn man selbst aus dem Quark kommt. Mustergültig wurde diese Botschaft schon vor Jahren in einem Rapsong verbreitet, wenn damals auch leichte Ironie heraushörbar war: „Okoa sanaa ya bongo ili uchumi upande!“ – Tansanias Kulturindustrie möge doch bitte ein Wirtschaftswunder bewirken.

Weil Clouds dabei straff die Zügel hielt, wurde vor allem Mutahaba, der das Musikgeschäft verstand wie kaum einer, der es aber auch praktisch nur als Geschäft verstand, vorübergehend das Ziel heftiger Proteste bekannter Musiker. Sie fühlten sich gegängelt und warfen ihm die Verkürzung einer Musik mit politischem Potenzial auf marktfähiges Gedudel vor. Clouds FM, das „Redio ya watu“ – Radio der Menschen –, wurde bei ihnen zum „Redio ya wafu“, der Toten. Als „Antivirus“ tourten sie mit einem Gegenprogramm durchs Land. Einige der frühen Rapstars, Sugu oder Professor Jay, die gegen den medizinischen Notstand antexteten, gegen Korruption, für Armutsbekämpfung, für einen Aufbruch in die Gleichberechtigung, sitzen heute für Oppositionsparteien im Parlament.

Ruge Mutahaba: ein Ermöglicher, ein Ausbremser, Mann der Wirtschaft und der Verbindungen. Aber auf jeden Fall auch einer des Aufbruchs, eine wichtige Figur einer „kizazi kipya“, einer neuen Generation, die sich der Welt zuwandte. Ohne Mutahaba sähe, bei aller Reibung, die er zwischenzeitlich verursacht haben mag, das tansanische Gesellschaftsleben heute anders aus.

Vorletzte Woche ist er an den Folgen einer Nierenkrankheit gestorben. Und mit ihm eine zentrale Figur der postsozialistischen Medien- und Popgeschichte Tansanias.

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