Der Freitag: Hubertus Jonas, haben Sie Ihr Testament gemacht?
Hubertus Jonas: Mein Nachlass ist natürlich geregelt.
Sie haben mit Ihrem Sohn ein Buch geschrieben, das Konfliktfrei vererben heißt. Ich gehe mal davon aus, dass Ihre Familie sich nach Ihrem Tod nicht entzweit?
H. J.: Nein, das ist bei uns ideal gemacht.
Was heißt „ideal“?
H. J.: Das heißt: Alles ist transparent, alle Beteiligten sind informiert. Wir hatten frühzeitig drüber gesprochen, was die Möglichkeiten sind, dann allen Zeit gelassen, darüber nachzudenken – und letztlich gemeinsam einen Konsens gefunden und schriftlich festgelegt.
Kai Jonas, haben Sie Geschwister?
Kai Jonas: Nein.
Wo sollte da Konfliktpotenzial bestehen?
K. J.: Das sagt man immer so: Bei einem Einzelkind sei das ganz einfach, das erhalte ja eh alles. Aber Ehepartner sterben selten gleichzeitig. Dann muss man sich Gedanken machen, wie das Erbe aufgeteilt wird, wenn einer der beiden vor dem anderen verstirbt.
H. J.: Und in Patchworkfamilien.
K. J.: Da sagt das Kind vielleicht: Ich sehe nicht ein, dass der neue Partner Geld aus der „ersten“ Familie erhält.
Wie spricht man richtig über das Vererben? Transparenz, Konsens, frühzeitig – klingt alles gut. Aber jemand muss ja anfangen, und der andere darf nicht abwiegeln.
K. J.: Man trifft in der Erbberatung immer wieder auf Leute, die sind über 80 und sagen: „Ach, das hat noch Zeit.“ Mein Vater ist 72 – er sagt das zum Glück nicht.
Nun haben Sie beide eine besondere Beziehung zum Thema, teils eine berufliche. Glauben Sie, dass Ihr Erbprozess typisch ist?
K. J.: Wahrscheinlich nicht. Ich höre häufig: Das ist ja toll, dass du mit deinem Vater so offen über so ein schweres Thema reden konntest. Das deutet darauf hin, dass es nötig ist, eine Gesprächskultur über das Vererben zu etablieren. Das sieht man auch daran, dass in dem Moment, in dem man das Thema anspricht, beim Gegenüber oft ein regelrechter Wasserfall losbricht. Es ist ein großes Thema, das viele beschäftigt. Aber wir reden nicht genug darüber. Dabei müsste es im Interesse beider Seiten sein.
Aber es gibt doch das Erbrecht. Wenn man sich daran hält, bekommt jedes Kind seinen Anteil.
H. J.: Die meisten Leute denken, wenn es ums Vererben geht, wirklich nur in formalen Kategorien.
K. J.: Das sieht man, wenn man in einer Buchhandlung ins entsprechende Regal schaut: Dort geht es um Erbrecht, Erbsteuerrecht, wie schreibe ich mein Testament richtig? Es sind rein formale Ansatzpunkte. Die juristischen Fragen kann man an sich leicht klären.
Warum reicht das nicht? Ist es nicht gerecht, wenn jedes Kind genau gleich viel bekommt?
H. J.: Das ist buchhalterisch vielleicht gerecht. Aber was, wenn die Erbmasse vorwiegend aus dem Elternhaus besteht, eines der zwei Kinder aber im Ausland lebt? Muss dann verkauft werden? Die entscheidenden Fragen sind doch: Wie möchte ich was aufteilen? Und viel wichtiger: Welchen Sinn möchte ich stiften?
K. J.: Man kann Vererben deshalb nicht mit dem Testament gleichsetzen. Vererben ist ein Prozess. Nehmen wir das Beispiel eines Familienunternehmens: Sollen die Kinder die Firma übernehmen oder nicht? Man muss sich fragen: Was wollen die Kinder, wie entwickeln die sich? Und wie können wir als Eltern das widerspiegeln? Ich habe das Glück gehabt, als Einzelkind Eltern zu haben, die mir nicht vorgeschrieben haben, was ich zu tun habe, was dazu geführt hat, dass ich Sozialpsychologe geworden bin und zum Beispiel nicht in das Möbelunternehmen meiner Eltern eingestiegen bin.
Wird das Testament vom Erblasser auch zum Steuern benutzt? Es heißt ja „Mein letzter Wille“, nicht „Unsere letzte Diskussion“.
K. J.: Ja, es gibt eine ganze Reihe von Menschen, die ein Erbe als erzieherisches Druckmittel einsetzen. Oder als Mittel, um Liebe und Fürsorge zu erhalten. Du bekommst das und das, aber dafür musst du so und so viel Zeit mit mir verbringen. Manche Erblasser wollen mit dem Erbe erpressen.
H. J.: Und auch strafen.
K. J.: Aber eine solche Strafe trifft häufig nicht mal die Menschen, die sie treffen soll. Wenn ich eine problematische Erbkonstruktion erzeuge, etwa indem ich festlege, dass das eine Kind mehr bekommt als das andere, treffe ich damit auch meinen hinterbliebenen Ehepartner und mein anderes Kind – die haben nämlich dann den Konflikt am Hals. Solche Konflikte können Familien sprengen, die eigentlich relativ intakt waren.
Nehmen wir an, man möchte als Erblasser nicht erziehen, nicht Macht ausüben, sich nicht rächen, sondern wirklich gerecht sein. Wie macht man das?
H. J.: Mein Vater sagte gern den Satz: „Ich geb‘s lieber mit der warmen als mit der kalten Hand“. Er hat uns drei Geschwistern zu Lebzeiten immer mal Geld geschenkt – und zwar allen immer genau den gleichen Betrag. Wenn ein Kind ein Haus kaufte und eine bestimmte Summe bekam, wurde das sofort mit den Geschwistern geregelt. Es war klar: Das und das ist die Erbmasse, der große Bruder bekommt daraus vorab diesen und jenen Teil, alle erklärten sich einverstanden, und das wurde sogar gegengezeichnet. Das hat funktioniert. Dennoch ist Buchhaltung nicht die ideale Konstruktion.
Warum nicht?
K. J.: Weil Werte eine eigene Dynamik haben. Im Moment der Aufteilung ist etwas vielleicht gerecht, aber später unter Umständen nicht mehr. Stellen Sie sich vor, ein Elternteil möchte einem Kind den Hausbau ermöglichen und es bekommt ein Stück Land. Das andere Kind bekommt eine Wiese als Ausgleich. Das wird von allen zunächst als gerecht empfunden. Dann aber wird eine Umgehungsstraße gebaut, die Wiese als Industriegebiet ausgeschrieben und übersteigt nun den Wert des Hausgrundstücks deutlich. Ein Kind fühlt sich jetzt benachteiligt und möchte einen Ausgleich. Buchhalterisch ist damals korrekt geteilt worden. Ist aber im Sinn des Erblassers gut geteilt worden, wenn der Familienfrieden bedroht ist?
Wie soll der Erblasser denn wissen, ob irgendwann mal eine Umgehungsstraße gebaut wird?
K. J.: Das kann er nicht wissen, aber da kommen wir zu dem Punkt, auf den es ankommt. Was einen guten Erbprozess in Gang bringen kann, ist, dass Familien einander näher kommen. Wenn ich als Erblasser einen Familiensinn gestiftet habe, kann ich mir oft sicher sein, dass meine Erben solche Konflikte lösen können. Gibt es diesen Sinn nicht, braucht es häufig keine großen Werte, um einen Streit in einer Familie hervorzurufen. Man kann auch einen großen Konflikt über den Stuhl, auf dem Vater immer gesessen hat, und 5.000 Euro haben. Dann, wenn einer sagt: Die stehen mir zu. Wenn Erben wie durch eine Tunnelröhre abläuft – das habe ich bekommen, das gebe ich nicht her –, ist kein Sinn durch das Erbe gestiftet worden. Dann geht es nur um Bereicherung.
H. J.: Daher ist eine neue Erbkultur wichtig. Wir werden in den kommenden Jahren mehr und mehr eine Erbengesellschaft werden.
Materielle Werte werden verstärkt von einer Generation zur anderen weitergegeben ...
K. J.: Ja, wir haben zum ersten Mal in der Bundesrepublik eine Generation, die, weil es keine Kriege oder andere große Zerwürfnisse gab, zumindest in Westdeutschland relativ großen materiellen Wohlstand vererben kann – die Generation der Babyboomer. Wir haben aber weder gesellschaftlich noch individuell eine Debatte darüber, wie man das eigentlich macht. Welche Ziele man damit verfolgt. Ich bin immer wieder überrascht: Die Deutschen lassen sich doch ungern vom Staat diktieren, was sie tun sollen. Beim Erbthema wird allerdings dem Erbschaftssteuerrecht blind gefolgt, das ist für viele das einzige Gestaltungsprinzip.
Womit wir bei der Politik wären. Erben zementiert den wirtschaftlichen Status einer Familie. Und so verstärkt das Erbrecht das Auseinandergehen der sozialen Schere. Stimmen Sie soweit zu?
K. J.: Ja, das Erbrecht wird die soziale Spaltung vermutlich vertiefen.
Was wäre Ihr Lösungsvorschlag?
K. J.: Worum es uns geht, ist ein psychologisches Moment: Will man die Schere kleiner halten, muss man zunächst mal versuchen, die Verluste kleiner zu halten, die durch Erbkonflikte entstehen. Solche Konflikte gibt es besonders häufig bei kleineren Vermögen. Wenn es sich um substanzielle Vermögen handelt, werden die heute in professionellen Family Offices gemanagt. Dann gibt es verhältnismäßig wenig Streit. Die Reichen, wenn man es plakativ sagen will, schützen ihr Vermögen, indem sie Erbkonflikte vermeiden. Die Ärmeren leisten sich diese Art von Schutz nicht oder wissen zu wenig darüber, erleben daher häufiger Konflikte und vermindern so noch das an sich geringere Vermögen, weil sie 10.000 Euro an Rechtsanwaltskosten zahlen müssen.
Warum vererben wir große materielle Werte immer innerfamiliär? Es gibt Gesellschaften, in denen sie an das Kollektiv fallen.
K. J.: Ich finde solche Vergleiche schwierig. Warum geht das bei uns nicht? Warum fällt ein Erbe nicht an ein Kollektiv? Der einfachste Grund: Das Steuerrecht spielt dem nicht in die Hände, sondern unterstützt das individuelle Vererben.
Aber man könnte große Erbvermögen stärker besteuern.
K. J.: Nehmen wir das Beispiel der Niederlande. In Deutschland ist der Steuerfreibetrag für Kinder deutlich sechsstellig. In den Niederlanden haben die Kinder nur einen Freibetrag von ungefähr 20.000 Euro. Das führt tatsächlich zu einer anderen Denkweise über Vererben – dazu, dass viele Stiftungen existieren. Und dass Kinder weniger individuell erhalten.
Würden Sie sagen, es ist in den Niederlanden gerechter geregelt?
K. J.: In der Praxis nicht unbedingt, denn viele vermögende Niederländer ziehen mit 65 in ihr Ferienhaus in Portugal, melden dort ihren Wohnsitz an, leben da zehn Jahre, und wenn der Erblasser zehn Jahre im Ausland gelebt hat, sind alle Erbzugewinne aus dem Ausland in den Niederlanden komplett steuerfrei.
Die machen so einen großen Teil aus, dass man nicht von mehr Gerechtigkeit sprechen kann?
K. J.: Das macht bei vermögenden Menschen einen guten Prozentteil aus. Ich kenne wenige vermögende Menschen in den Niederlanden mit einem Ferienhaus in Südeuropa, die noch in den Niederlanden mit Wohnort gemeldet sind. Für die Menschen, die kein Ferienhaus in der Toskana haben, gilt aber der harte Steuersatz.
In Ihren Augen ist eine Wertedebatte also wichtiger als eine politische Debatte?
H. J.: Auf jeden Fall. Es müssen Sinnfragen gestellt werden, gerade beim Erbe.
Das Gespräch führte Klaus Raab
Kai Jonas, 40, ist Assistant Professor für Sozialpsychologie an der Universität Amsterdam und beschäftigt sich unter anderem mit der Übermittlung von Todesnachrichten und mit Erbfragestellungen.
Sein Vater Hubertus Jonas, 72, ist Unternehmer und Unternehmensberater „im Unruhestand“, wie er sagt. Er berät unter anderem große Kreditinstitute. Ihr Buch Konfliktfrei vererben. Ein Ratgeber für eine verantwortungsbewusste Erbgestaltung ist gerade im Hogrefe Verlag erschienen.
Ein Testament ist ein handschriftliches Dokument, dass man auch in Steno oder einer Fremdsprache verfassen kann. Es muss auch nicht „Testament“ oder „Letzter Wille“ darüber stehen. Eigentlich scheint also alles einfach, doch es gibt juristische Fallstricke. Ein Beispiel: Begriffe wie „Erbe“ und „Vermächtnis“ bedeuten juristisch nicht dasselbe, und so kann man als Erblasser ungewollt Unklarheit stiften.
Liegt kein Testament vor, tritt nach dem Tod die gesetzliche Erbfolgeregelung in Kraft. Sie besagt, dass das Vermögen zur Hälfte an den überlebenden Ehepartner – bei Gütertrennung nur zu einem Viertel – und zur Hälfte zu gleichen Teilen an die überlebenden Kinder übergeht. Ein Testament muss nur erstellen, wer davon abweichen will oder nicht verheiratet ist. raa
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