Falsche Fußbehälter

K-u-J-Bücher Josef Holub erzählt in einem klassischen Antikriegs-Buch von Napoleons Russlandfeldzug

Noch nie hatte die Welt ein so gewaltiges Heer gesehen: Als Napoleon mit seiner "Großen Armee" im Sommer 1812 nach Russland aufbrach, zählte die Streitmacht unfassbare 610.000 Soldaten. Noch unvorstellbarer ist die Zahl derer, die im Dezember zurückkehrten: Nur etwa 5.000 Soldaten schafften in geordneter Form den Rückzug aus der Eisfalle des russischen Winters. Darunter auch der Held des neuen Romans von Josef Holub, der erst 16-jährige Adam, als Offiziersdiener eines jungen Leutnants.

Holub erzählt konsequent aus der Sicht des jungen Adam, der vieles um sich herum überhaupt nicht versteht und der sich nichts unter Russland vorstellen kann. Der Leser erfährt kaum etwas über die Strategie und Taktik des Feldzuges, wohl aber über die "falschen Fußbehälter", die Adam schon im Thüringer Wald zu schaffen machen. Napoleon bleibt der Allgewaltige in der Ferne, der höchstens einmal vor den Mauern Moskaus oder auf der Brücke über die vereiste Beresina in einer dahinrasenden Kutsche zu erahnen ist.

Bald beginnt der Krieg seine Fratze zu zeigen. Die Pferde bleiben im Schlamm stecken, vor allem aber: Die Nahrung geht zur Neige. Die kaiserlichen Soldaten sitzen an Tümpeln und schlürfen dreckiges Wasser. Zu beißen gibt es Gras, es folgt Dünnpfiff. Der junge Graf erweist sich als unbeholfen, aber anständig. Als die beiden auf vergewaltigte Schwestern eines Kloster stoßen, muss Konrad Klara, wie ihn Adam inzwischen nennt, weinen. "Ist das der Krieg?" fragt er seinen Diener Adam. Und der weiß es auch nicht besser: "Das ist der Krieg."

Holubs meisterhaft erzählte Novelle ist ein Anti-Kriegsbuch im besten Sinne. Die ständigen Versuchungen, Diebstahl zu begehen, um das eigene Fortkommen zu erleichtern, die immer schlimmere Skrupellosigkeit lässt er den jungen Adam mit großen Augen erkennen. Einen Pelz, um nicht zu erfrieren. Die Zwiebeln aus dem Beet des Bauern, um nicht zu verhungern. Doch Schmuck und Gold lassen die beiden anfangs so ungleichen Gefährten liegen.

Josef Holub, Jahrgang 1926, der erst 1993 mit dem Roten Nepomuk seinen Durchbruch schaffte, übertreibt nicht. Auch bei anderen Versprengten wird es auf dem Russland-Feldzug noch Menschlichkeit geben. Längst ist auf der großen Flucht vor dem Schnee und den Kosaken aus dem Leutnant und seinem Diener ein Freundespaar geworden. Holub erzählt davon ohne Rührseligkeit und Kitsch. Das Menschsein zu bewahren, glaubt der Autor, vermögen auch Soldaten im schrecklichsten Krieg.

Josef Holub: Der Russländer. Oetinger-Verlag, Hamburg 2002, 192 S., 9,90 EUR

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