Der nächste Schütze steht schon bereit

USA Nach der Bluttat von Blacksburg - Wunschträume von Sicherheit

Eine Spur der Gewalttaten zieht sich durch Lehranstalten in den Vereinigten Staaten. Nach dem Blutbad von Blacksburg/Virginia mit 33 Toten wird einmal mehr die Frage nach den Ursachen derartiger Tragödien laut. Doch die Antworten reichen nicht weit, bestenfalls streifen sie die Frage nach einem verschärften Waffengesetz, obwohl man genau weiß, dass es nicht dazu kommen wird.

Die Vorlesungen haben wieder begonnen in der Virginia Tech Universität in Blacksburg. Ryan Clark, Reema Samaha, Daniel Perez Cueva und ihre 30 Mitstundenten sind beerdigt worden. Das Video des Todesschützen Seung-Hui Cho ist Hunderte Male im Fernsehen gelaufen. Auf Kritik hin, das Endlosvideo "verherrliche" Cho, meinten Verantwortliche des Senders NBC, sie hätten nach dem Posteingang des Videos ein paar Stunden mit dem Ausstrahlen gewartet. Und nun sind die Experten und Politiker an der Reihe mit Vorschlägen, wie man "so etwas" in Zukunft verhindern kann. Die Illusion von der "machbaren" Sicherheit ist zu verlockend.

Für die nicht direkt Betroffenen ist das Blutbad von Blacksburg ein Rorschachtest. Vor allem im Ausland wird gern diagnostiziert, dass es nur wegen der Schusswaffenvernarrtheit der Amerikaner zu dem Massaker kommen konnte, ja geradezu kommen musste. Der Chef des Schusswaffenverbandes National Rifle Association dagegen erklärte im hauseigenen NRA-Fernsehsender, er habe nicht erwartet, dass "das in Amerika passieren würde". Die Situation sei aus Sicht der Polizei "sehr, sehr, sehr ernst". Die Gun Owners of America, ein weiterer Waffenverband, vertritt die These, dass Cho so viel Unheil angerichtet habe, weil seine Opfer nicht auch bewaffnet gewesen seien und nicht hätten zurückschießen können.

Auf einer konservativen Website wird gewettert, Amerika habe sich von seinen christlichen Ursprüngen weit entfernt. Bei der großen Gedenkfeier in Blacksburg mit Zehntausenden habe kein Mensch von Jesus gesprochen, aber Allah sei mehrmals erwähnt worden. Präsident George W. Bush, der Trauerfeiern für im Irak Gefallene geflissentlich meidet, agierte als Tröster der Nation. Auch der Kongress bete für die Opfer und deren Angehörige, erklärte Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses. Kirchen finden Zulauf wie jedes Mal nach Massakern und Tragödien. Das war auch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht anders.

Zu den Schusswaffentragödien - unter anderem dem Mord an fünf Schülerinnen in Lancaster County in Pennsylvania 2006, an neun Menschen in Red Lake in Minnesota 2005 und an 13 Schülern vor acht Jahren in der Columbine High School in Colorado - gehören auch die warnenden und klagenden Stimmen von Anhängern verschärfter Gesetze zum Regulieren des Verkaufs von Schusswaffen. Seit Columbine hätten die USA "nichts getan, um Schusswaffengewalttaten zu stoppen", beschwerte sich die "Brady-Kampagne" für Schusswaffenkontrolle - benannt nach dem 1981 bei einem Attentat auf Ronald Reagan schwer verwundeten Pressesprecher James Brady. Nach Angaben der Kampagne werden in den USA täglich mehr als 80 Menschen erschossen. Nach Blacksburg zieht die Forderung nach "gun control" aber anscheinend noch weniger als sonst. Die Politik steckt schon im Wahlkampf um die Präsidentschaft, und Demokraten haben anscheinend keine Lust, das in den USA kontroverse und undankbare Thema in den Vordergrund zu rücken. Nur für wenige Befürworter ist Schusswaffenkontrolle maßgebend bei der Stimmabgabe; für Gegner sind Kontrollgesetze ein rotes Tuch.

Larry Pratt leitet die Gun Owners of America. In seinem Büro hängt ein Gemälde, das Pratt gern vorzeigt, um zu vermitteln, wie tief die Schusswaffenkultur verwurzelt sei in den Vereinigten Staaten: Auf dem Bild sieht man mehrere Amerikaner beim Kirchgang, vermutlich Anfang des 19. Jahrhunderts. In einer Hand die Bibel, in der anderen das Gewehr. Die US-Verfassung garantiert das Recht auf Schusswaffenbesitz. Dieses Recht wurde von den Gründern auch als Recht der Bürger verstanden, sich vor Übergriffen des Staates zu schützen. Diese revolutionäre Symbolik motiviert noch heute das rechtspatriotische Amerika. Die Republikanische Partei weiß sich dieser Wähler zu bedienen: Die Blutflecken waren noch kaum trocken in Blacksburg, da betonte Präsident Bush, Amerikaner hätten das Recht zum Schusswaffenbesitz.

Auch das Thema Rasse treibt Schusswaffenenthusiasten an. Der weiße Mann beschützt die Seinen, und braucht dazu eben Pistolen, Revolver und mehr. Schon 40 Jahre ist es her, dass die militanten Black Panthers den Schusswaffenenthusiasten ihre Scheinheiligkeit vor Augen führten: Die jungen Schwarzen bewaffneten sich, marschierten mit dem - legalen - Gewehr durch die Straßen und jagten vielen Weißen Angst und Schrecken ein. In kaum einem Bundesstaat werden Schusswaffenbesitzer und -käufer so zuvorkommend behandelt wie in Virginia. Dort kann man Waffen von Privatpersonen ohne Genehmigung und Registrierung kaufen. In den einschlägigen Geschäften genügt eine leicht erhältliche Lizenz.

Todesschütze Seung-Hui Cho hat seine beiden Waffen anscheinend legal erworben, trotz seiner psychiatrischen Vorgeschichte, die ihn in manchen Staaten für den Erwerb vom Waffen disqualifizieren würde. Ein führender Mitarbeiter von Senator Jim Webb, Demokrat aus Virginia, wurde kürzlich im US-Capitol verhaftet, weil er eine geladene Pistole des Senators in das Capitol bringen wollte.

In den USA sind rund 200 Millionen Schusswaffen in Privathänden, etwa ein Drittel davon Pistolen und Revolver. In vorhersehbarer Zukunft ist das Schusswaffenproblem nicht zu lösen, selbst wenn es einen nationalen Wille gäbe. Psychisch Kranke und Aggressionslustige wird es immer geben, die zur Waffe greifen, und die existierenden Schusswaffen lassen sich nicht so leicht aus der Welt schaffen. Neue Blacksburgs und Columbines sind programmiert. Und die Trittbrettfahrer stehen bereit.


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