Der Präsident freut sich

Schröder trifft Bush Ausgerechnet beim Thema Irak könnte der transatlantische Graben zugeschüttet werden

Knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn im Irak ist deutsch-amerikanische Realpolitik angesagt. Denn die Strategien beider Seiten sind mehr oder weniger fehlgeschlagen. Deutschland wurde nicht zum Kern eines europäischen Gegenpols zur Supermacht USA. Die wiederum hat erfahren müssen, dass eine beliebig einsetzbare Militärgewalt keine "bessere" Welt schafft. Aber so, wie es einmal war, transatlantisch, kann es nicht wieder werden. Alle deutschen Augen - oder zumindest viele - blicken dennoch nach Washington, wenn Kanzler Schröder und Präsident Bush zu einem "Treffen und Arbeitsessen" zusammenkommen.

In den USA macht Schröder keine großen Schlagzeilen; den Deutschen ist Amerika noch immer wichtiger als Deutschland den Amerikanern. Zwischen New York und Los Angeles läuft der Vorwahlkahlkampf, Mel Gibsons wegen Antisemitismus umstrittener Jesus-Film spielt in den Kinos, kein US-Regierungsvertreter will schuld sein am Ausbleiben irakischer Massenvernichtungswaffen, die TV-Serie Sex and the City wird eingestellt. Das hat Unterhaltungs- und Nachrichtenwert, da verblasst die Soap Opera mit den beiden Alpha-Männern.

Doch im politischen Washington hat sich der Ton verändert. Schröder kriegt nicht nur einen Fototermin. Er kriegt etwas zu essen. Der Präsident "freue sich" auf eine "umfassende Diskussion mit Kanzler Schröder über wichtige bilaterale und globale Anliegen", ließ das Weiße Haus mitteilen. Joschka Fischers Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz gegen "Dschihad-Terrorismus" und für einen "dauerhaften und langfristigen Reformprozess" im Nahen Osten wird begrüßt - der Bundeswehreinsatz in Afghanistan öffentlich gelobt, auch die Versicherung, Deutschland werde die irakischen Altschulden "substantiell" reduzieren, und Fischers Zusage, dass "wir" den Frieden im Irak "gemeinsam gewinnen müssen, weil wir sonst gemeinsam verlieren werden".

Bush und Schröder brauchen einander. Bush braucht internationale Rückendeckung für den Irak. Die UNO und die NATO müssen die Feigenblätter halten, damit Bush im Wahlkampf sagen kann, Irak werde bald wieder von Irakern regiert. US-Politikern wäre es wohl am liebsten, würde dort die NATO - unter US-Führung natürlich - das Kommando übernehmen. Die Bundesregierung werde aber "keine deutschen Truppen in den Irak entsenden", versichert man dazu in Berlin. Eine Einschränkung, die in Washington nicht besonders laut kritisiert wird. Auf Dauer ist eine deutsche Enthaltsamkeit schwer vorstellbar, sollte die NATO Quartier aufschlagen in Bagdad. Schröder sucht offenkundig Rückendeckung - und Feigenblätter - für den "unvermeidlichen" Einstieg im Irak. Und er braucht einen wohlwollenden Präsidenten im Weißen Haus. Denn in jenem Zug, der den Irak in seine Zukunft fährt, wollen deutsche Politiker und Unternehmer nicht im Gepäckwagen sitzen, sondern in der Ersten Klasse.

Ohne ein Minimum an Kooperation mit dem ganz großen Bruder lassen sich auch andere Probleme nicht angehen. Europa ist noch nicht so fest zusammengewachsen und Schröder beim Alleingang gestolpert. Ein Irak, in dem täglich Bomben hochgehen, kann schon aus humanitären Gründen nicht im Interesse derer sein, die sich vor einem Jahr gegen den Krieg ausgesprochen haben. Es wäre Zynismus, würde man sich über die vielen Attentate freuen, weil diese den Neokonservativen Denkzettel verpassen und Bushs Wiederwahl in Gefahr bringen.

Beim Thema Irak könnte der transatlantische Graben demnach zugeschüttet werden. Beim "Krieg gegen den Terrorismus" sind die Fronten vernebelt. Fischer hat mit seiner Anregung, man müsse neben dem militärischen einen "wesentlich breiteren und tiefer gehenden Ansatz für die Region des Nahen und Mittleren Ostens verfolgen", denn hinter dem Terrorismus verberge sich eine "tiefe Modernisierungskrise", das deutsche Gewicht in die Waagschale geworfen. Was Colin Powells "guter Freund Joschka" damit genau meint, wird sich zeigen. Altruistisch sind die Motive sicher nicht. Es geht auch um das Ausdehnen wirtschaftlicher und strategischer Interessen. Hier sind Konflikte mit dem amerikanischen "Partner" programmiert. Etwa bei der Position zur UNO als Instanz weltpolitischer Konfliktregulierung. Davon kann die deutsche Politik nicht abweichen. Bush hält noch immer an seinen Präventivschlägen fest, und die Architekten seiner Außenpolitik am Glaubensbekenntnis, Demokratie amerikanischen Stils werde geradezu automatisch heranwachsen, wenn die US-Streitkräfte einmal aufgeräumt haben.

Bush und Schröder zitieren gern Afghanistan als Beispiel ihrer Zusammenarbeit beim "Krieg gegen den Terrorismus". Da sollte man vorsichtig sein. Human Rights Watch hat dokumentiert, dass die Taleban in manchen Provinzen zurückkommen und anderswo die Opiummafia und die Warlords regieren. Nach anfangs großen Hoffnungen hätten sich die meisten Erwartungen nicht erfüllt, vor allem für Frauen nicht, die vielerorts lebten wie unter den Taleban. Donald Rumsfeld klassifizierte 2002 Ismail Khan, den Warlord von Herat, als "sympathischen Menschen, der nachdenklich und gemäßigt" vorgehe. Khan und andere Warlords werden von den USA geduldet, wenn nicht gar gefördert. Und die ISAF-Truppen sind anscheinend nicht bereit oder fähig, Raum zu schaffen für ein anderes Afghanistan. Nach Ansicht von Human Rights Watch schließt sich das Fenster.

Beim Nachtisch im Weißen Haus können Schröder und Bush einander trösten. Beide müssen recht ungünstige Umfrageergebnisse zur Kenntnis nehmen. Bush würde momentan gegen John Kerry verlieren. Der Hauptwahlkampf hat aber noch nicht begonnen. Und ohnehin wüsste man nicht ganz hundertprozentig, was eine zweite Amtsperiode mit Bush bringen würde. Viele Demokraten befürchten Schlimmstes und sind entsetzt, dass Ralph Nader wieder mitmischen will. Aber: Reagan II war doch anders als Reagan I.


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