Den Wahlkampf hatte Barack Obama gegen die Austeritäts-Politik seines Herausforderers Romney geführt. Jetzt lassen der Blick in den fiskalen Abgrund und die Entscheidungen über Etat und Steuern die Unterschiede schon verwischen. Obama macht Konzessionen. Seine Verteidiger bringen vor, das gehöre zum politischen Geschäft. Aber es ist doch auffallend, wie schnell – und vor allem wo – der Präsident nachgegeben hat. Bei den Demokraten keimt eine Angst auf: Was, wenn Obama in seiner zweiten Amtsperiode gar nicht der endlich „befreite“ Präsident wäre? Es könnte ja sein, dass es dem wahren Obama gar nicht ungelegen kommt, wenn die Republikaner ihn zu mehr Austerität „zwingen“.
Im Dezember 2012 dominierten Männer mit besorgtem Gesichtsausdruck die Bildschirme: Sie warnten vor der Haushaltsklippe, von der die USA zum Jahreswechsel stürzen würden. Starbucks, nach McDonald’s die größte Restaurantkette in den USA, verkaufte Pappbecher mit der Aufschrift come together. Medialer Hype kochte hoch in der nachrichtenarmen Zeit zwischen den Jahren. Die Sache geht auf das Jahr 2011 zurück, als Kongressmitglieder in einem überparteilichen Superkomitee keinen Konsens beim Schuldenabbau fanden. So entstand die Idee der „fiskalen Klippe“ – wenn bis Ende 2012 der haushaltspolitische Brückenbau nicht erfolgreich war, stürzt das Budget in einen Abgrund des Sparens. Steuererleichterungen laufen aus und Haushaltskürzungen treten ein.
Die Republikaner hofften, sie würden so im „normalen“ parlamentarischen Prozess nicht mehrheitsfähige Spardogmen durchsetzen und zugleich die Steuersätze für ihre Freunde, die Reichen, niedrig halten können. Das Ausbluten der Regierung hatte mehr Methode als das demokratische Wunschdenken, die Republikaner würden irgendwann einsehen, dass ihr Programm – niedrige Steuern, Sparen im Sozialen, hohe Militärauslagen und gleichzeitig das Defizit reduzieren – rein rechnerisch nicht aufgeht.
Vorübergehende Erlösung von der Klippe kam ein paar Stunden, bevor die Kristallkugel in Manhattan das Neue Jahr begrüßte, in Gestalt eines Deals zwischen dem Weißen Haus und dem Senat. Am nächsten Tag stimmte auch das Repräsentantenhaus für das Paket. Der Steuersatz für Jahreseinkommen von mehr als 450.000 Dollar steigt von 35 auf 39,6 Prozent, die Kapitalertragssteuer von 15 auf 20 Prozent. Haushaltskürzungen werden um zwei Monate verschoben. Erst einmal hat Obamas Klientel Grund zum Aufatmen, obwohl man verblüfft ist, dass der Präsident von seinem „festen“ Bekenntnis abweicht, Steuerzahler mit Einkommen von über 250.000 (und nicht 450.000) Dollar müssten mehr zahlen. Bei 250.000 Dollar wären zwei Prozent aller US-Haushalte betroffen – bei 450.000 sind es nur 0,7 Prozent.
Dass im jetzigen Paket ein seit 2011 geltender Nachlass bei der Lohnsteuer (payroll tax) ersatzlos gestrichen wurde, schadet unteren und mittleren Einkommensgruppen. Alle Beschäftigten verlieren rund zwei Prozent ihres Lohnes. (Die Lohnsteuer finanziert die Rentenversicherung; sie wird nur von den ersten 110.000 Dollar Einkommen abgezogen.)
Allzu viel Zeit bleibt nicht zum Luftholen: Haushaltskürzungen wurden aufgeschoben, in wenigen Wochen steht eine neue Konfrontation über das Anheben der Schuldenobergrenze ins Haus. Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman fasst zusammen: Blieben die Demokraten in dieser nächsten Etappe den Prinzipien des Kompromisses treu, werde der Deal vielleicht nicht so schlecht aussehen. Wenn nicht, sei Silvester 2012 der Tag gewesen, an dem Obama „seine Präsidentschaft wegwarf und die Hoffnungen derer, die ihn unterstützt haben“.
Die Republikaner haben mit ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus relativ wenig Grund, von ihrer Austeritätsideologie abzuweichen. Fast alle sitzen in sicheren konservativen Wahlkreisen. Die republikanische Kongressfraktion hat bei den Wahlen im November landesweit eine halbe Million weniger Stimmen erhalten als die Demokraten, aber die Mehrheit bewahrt – unter anderem dank eines kreativen Umgangs mit den Grenzen der Wahlkreise, die in den USA alle zehn Jahre unter Federführung örtlicher Politiker neu gezogen werden.
Ausschlaggebend bei der anstehenden Haushaltsdebatte wird das Verhalten demokratischer Politiker sein. Sicher ist es richtig, dass die USA ein gespaltenes Land sind. Doch haben die Demokraten das Weiße Haus und die Mehrheit im Senat. Seit 1992 konnten sie bis auf eine (2004) alle Präsidentschaftswahlen gewinnen, eingerechnet die von 2000, als Al Gores Stimmenmehrheit vom Obersten Gericht missachtet wurde. Umfragen zufolge ist die Mehrheit der Amerikaner gegen Austerität. Einige Demokraten, nicht zuletzt Barack Obama selbst, haben gefährliche Sparkonzepte zur Sprache gebracht, auch Kürzungen bei der staatlichen Rente Social Security. Klagen über die „Blockaden“ durch die Republikaner reichen nicht, wenn man erklären will, warum unter diesen Umständen nicht mehr soziale Gerechtigkeit möglich sein soll.
Konrad Ege ist US-Korrespondent der Freitag
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