Es gibt Mutmaßungen, der US-Präsident könne nicht so recht mit der deutschen Regierungschefin und nehme ihr weiter übel, dass sie ihn im Sommer 2008 bei seiner Wahltour nicht am Brandenburger Tor reden ließ. Doch kann Barack Obama Eitelkeiten bei Bedarf abstreifen. Und derzeit gibt es Bedarf. Das transatlantische Freihandelsabkommen, die NSA-Abhöraffäre und besonders die Ukraine verlangen es. Wenn Merkel Anfang Mai in Washington landet, wird ihr Gastgeber gerade von einem achttägigen Asien-Trip zurück sein. Ungeachtet dessen ist die Kanzlerin – aus US-Sicht Chefin von Europa – gefragt, wie lange nicht. Europa gilt als das brennende Thema ihres Besuchs.
Bei der NSA werden Obama und Merkel so tun, als sei nicht viel passiert. Das Weiße Haus dürfte die nicht nachprüfbare Zusage geben, dass die USA „die Kommunikation von Kanzlerin Merkel nicht überwachen und nicht überwachen werden“. Ein sogenanntes No-Spy-Abkommen findet nicht statt. Merkel wird zufrieden sein, dass der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages erst mal im eigenen Saft schmort, und die Entscheidung über eine Einladung Edward Snowdens vertagt worden ist. Offiziell wird sie in Washington niemand danach fragen. Warum Merkel in Verlegenheit bringen? Die Kanzlerin wird in den USA wegen ihres Realismus geschätzt, mit dem sie anerkennt, dass die USA als „die allein verbleibende Supermacht“ oder als „unverzichtbare Macht“ (wie immer man Status und Selbstverständnis beschreiben will), eben auch bei „Freunden“ mithören.
Nulands Patzer
Merkel hat schon George W. Bush „verstanden“. Im Februar 2003 – damals noch nicht Kanzlerin – publizierte sie als CDU-Vorsitzende in der Washington Post unter der Überschrift: „Schröder spricht nicht für alle Deutschen!“ Gemeint war dessen Weigerung, mit eigenen Truppen am Irak-Feldzug teilzunehmen. Millionen demonstrierten seinerzeit weltweit gegen einen drohenden Krieg, während die US-Regierung Horror-Stories über Saddam Husseins Chemiewaffen verbreitete. Kanzler Gerhard Schröder blieb skeptisch. Merkel dagegen gab sich überzeugt; die Gefahr, die vom Irak ausgehe, sei „nicht erfunden, sondern real“, wie sie in der Post schrieb. Die europäische Geschichte zeige, dass militärische Gewalt keine normale Fortsetzung der Politik sein könne, sie dürfe freilich nie ausgeschlossen werden als ultimatives Mittel beim Umgang mit Diktatoren. Und die Freundschaft mit den USA sei für Deutschlands Ziele so wichtig wie die europäische Integration.
Bekenntnisse zum transatlantischen Verhältnis gehören in den USA zum guten Ton, trotz gelegentlicher Beschwerden über das „alte Europa“. 2009 – Obama war schon Präsident – wurde Merkel bejubelt, als sie vor dem US-Kongress die gemeinsamen Werte beschwor, die für soviel Zusammenhalt sorgten. In diesem Sinne wollte auch Victoria Nuland im November 2013 bei ihrem ersten Statement als Staatssekretärin für Europafragen im State Department verstanden sein: Je größer die globalen Herausforderungen, umso wichtiger sei es, dass die USA und Europa beieinander blieben. Was man brauche, sei „transatlantische Renaissance“.
Kurz darauf wurde Nuland bekanntermaßen abgehört beim Telefonieren mit Geoffrey Pyatt, US-Botschafter in Kiew, über die nach ihren Vorstellungen zu bildende Regierung in der Ukraine. „Fuck the EU“, sagte Nuland. Die Bundeskanzlerin soll empört gewesen sein. Genau diesen Widerspruch muss Merkel bei ihrem USA-Besuch nun ausbalancieren. Man beschwört die Gemeinschaft, doch die Interessen sind nicht identisch. Wem dient sie noch und vor allem wie – die hergebrachte transatlantische Partnerschaft? So ganz war vielen US-Politikern das Konzept der EU-Ostpolitik nie geheuer, das ökonomische Bindungen und Abhängigkeiten über Drohungen setzte: Vereintes Europa gut, aber nicht so vereint, dass daraus ein Rivale wird.
In der Wagenburg
In US-Think-Tanks machen sich Experten schon länger Gedanken, wohin Merkel den EU-Tanker außenpolitisch steuert. In Foreign Affairs, der Zeitschrift des Council of Foreign Relations, wurde jüngst festgestellt, die Kanzlerin habe sich bei der Ukraine-Krise unerwartet hart gezeigt und mit Sanktionen gedroht. Es gebe Anzeichen, „dass Deutschlands Strategie gegenüber Russland vielleicht nicht nur eine temporäre Änderung“ erfahre. Im Gegenzug schrieb ein Experte vom Center for Transatlantic Relations, mithilfe der Kanzlerin könne man möglicherweise aus der völlig verfahrenen Ukraine-Situation herauskommen. Merkel sei wohl am ehesten in der Lage, durch ein konstruktives Vorgehen auf den russischen Präsidenten Einfluss zu nehmen. Das werde vermutlich die Verpflichtung einschließen, die Ukraine nie in die NATO aufzunehmen, sofern Moskau die ukrainischen Grenzen achte und keine separatistischen Gruppen fördere.
Im Augenblick sieht vieles nach Wagenburg aus in den USA. Die freien Nationen müssten zusammenrücken, heißt es. Ein transatlantischer Freihandelsvertrag sei nun noch wichtiger. Der Lobbyverband der Petroleum-Industrie schaltet Werbespots, die USA müssten Energiesupermacht werden. Und die Rüstungskonzerne können ihr Glück kaum fassen, dass in Washington die alten Sprüche gegen die Russen aufgewärmt werden. Die New York Times berichtete am Osterwochenende, die Regierung Obama wolle Russland zu einer Paria-Nation machen und langfristig dessen Verbindungen zur Welt abschneiden. Angela Merkel kann entscheiden, ob und wo sie in der Wagenburg sitzen will.
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