Ein leeres Haus

Washington »Milde« Urteile und hohe Haftstrafen am Ende einer deutsch-amerikanischen Spionagegeschichte

Die Farbe an dem rosaroten Einfamilienhauses in der 13. Straße im Washingtoner Stadtviertel Brookland blättert ab. Hier und da bröckelt sogar der Putz. Im Durcheinander des Hinterhofes liegen ein Ball und Spielsachen. 3809 13th Street steht seit fast eineinhalb Jahren leer. Seine Bewohner, das Ehepaar Theresa (»Terry«) Squillacote (41) und Kurt Stand (44), sind im Herbst 1997 verhaftet und im Oktober 1998 der Spionage für die DDR schuldig gesprochen worden. Jetzt hat Richter Claude Hilton das Strafmaß festgesetzt: 21 Jahre und zehn Monate für Squillacote, 17 Jahre und sechs Monate für Stand.

Squillacote drückte vor dem Urteil ihr »tiefes Bedauern« aus, daß sie der Regierung, ihrem Ehemann und ihrer Familie eine »so große Last auferlegt« habe. Verwandte versorgen jetzt die beiden Kinder des Ehepaares. Auch Stand sagte, wie es sich in Amerika für Verurteilte gehört, er »übernehme die Verantwortung« für seine Taten. Gute Stimmung auf den Zuschauerbänken hinten im Gerichtssaal, wo die FBI-Beamten saßen, die mit Genehmigung eines geheimen Gerichtes für nationale Sicherheit Stand und Squillacote 550 Tage lang observiert, ihr Haus durchsucht und hunderte Telefongespräche abgehört hatten.

Anachronistischer Prozeß
Verglichen mit den Haftstrafen für DDR-Agenten im vereinigten Deutschland, die - wie Topas alias Rainer Rupp - schlimmstenfalls ein paar Jahre absitzen, erscheint Richter Hiltons Spruch grotesk. Stands Verteidiger Richard Sauber monierte vergebens den anachronistischen Charakter des Prozesses. Immerhin könne man in Amerika Bücher kaufen, die gemeinsam von Ex-CIA- und Ex-KGB-Agenten geschrieben worden seien. Nach Darstellung von Staatsanwalt Randy Bellows freilich ist die Strafe angebracht: Die beiden hätten ihr Land verraten. Ob der Kalte Kriege nun zu Ende sei oder nicht, ändere daran gar wenig.

Für amerikanische Verhältnisse fällt das Urteil tatsächlich nicht aus dem Rahmen. In den USA gelten Spione nicht nur als Gesetzesbrecher und Agenten einer ausländischen Macht, sondern als verabscheuungswürdige Nestbeschmutzer, die God's Own Country, dem freiesten, demokratischsten und schlichtweg besten Land der Welt, Schaden zufügen wollten. Stand und Squillacote hätten lebenslänglich bekommen können. Der Richter war sogar ausgesprochen milde und hat nur die vorgeschriebene Mindeststrafe verhängt. Mildernde Umstände wie zum Beispiel Terrys schwere physische und psychische Krankheiten, die eine Strafreduzierung ermöglicht hätten, ließ er allerdings nicht gelten.

Ein dritter DDR-Spion, der geständige James Clark, war bereits im Dezember wegen seiner Kooperation mit dem Staat zu »nur« zwölf Jahren und sieben Monaten verurteilt worden. Clark hatte seinem DDR-Führungsoffizier mehrmals Geheimpapiere aus dem amerikanischen Außenministerium zukommen lassen. Dabei habe er, wie er Richter Hilton versicherte, »nie für Geld, sondern nur aus ideologischen Gründen« gehandelt. Er verstand sich als Kämpfer in einer »politischen Bewegung« gegen Habsucht und die allumfassende Dominanz des Profitstrebens.

Naive Revolutionsromantik
Wer diesen Kampf kämpft, kann sich in den USA schnell isoliert vorkommen, vor allem, wenn man sich nicht in politische Bewegungen einbindet und im fortgeschrittenen Erwachsenenalter nicht von naiv-idealistischen Hoffnungen der Jugendzeit wegkommt, oder wie Terry Squillacote, an Depression und Persönlichkeitsstörungen leidet, die einem den Zugriff zur Realität erschweren. So hatte Squillacote angeblich die irreale Hoffnung, daß sie Geschichte machen würde wie seinerzeit Daniel Ellsberg, der als Insider des Establishments 1971 die »Pentagon Papers« veröffentlichte und damit einen Beitrag zum politischen Kampf der Anti-Vietnamkriegsbewegung leistete. Einen Posten im Beschaffungsamt des US-Verteidigungsministeriums bekam die gelernte Rechtsanwältin aber erst nach dem Fall der Mauer.

Das FBI wurde auf die drei »Spione« aufmerksam, nachdem die CIA Anfang der neunziger Jahre in den Besitz umfangreicher Stasi-Akten gekommen war. Dort fanden sich angeblich Karteikarten mit Namen. Zum Verhängnis wurde den dreien dann letztendlich wohl, daß Squillacote nach dem Fall der Mauer weiterhin konspirativ für die antiimperialistische Sache tätig sein wollte, und einem V-Mann der Geheimpolizei FBI geheime Pentagondokumente lieferte - in der Annahme, er sei ein Mitarbeiter des südafrikanischen Geheimdienstes. Stand hatte als Gewerkschaftsangestellter überhaupt keinen Zugang zu Geheimem. Laut Urteil war er aber gleichermaßen für Clarks Spionage und Squillacotes Handlungen verantwortlich, da er die beiden vor mehr als 20 Jahren für die Spionagearbeit gewonnen habe.

Daß jemand sich für die DDR engagiert, besaß in den USA allergrößten Seltenheitswert. Die Kommunistische Partei hatte in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren als Organisation keine Bedeutung, wenngleich einzelne Mitglieder wichtige Rollen in sozialen Bewegungen spielten. Und Engagement für die DDR, den deutschen Staat hinter der Mauer, hätte man nicht einmal mit linker Dritte-Welt-Romantik begründen können. Stands Verhalten läßt sich wohl am ehesten mit seiner Familiengeschichte erklären. Seine Eltern Holly und Mille Stand waren in den dreißiger Jahren aus Nazideutschland nach Amerika geflohen. Mille Stand hatte mit den Amerikanern gegen die Nazis gekämpft. In den fünfziger Jahren wurden die Stands vom FBI wegen ihrer sozialistischen Gesinnung drangsaliert. Da konnte die DDR als Hort der Zuflucht gelten und der Informationsaustausch mit einem Mitglied der ostdeutschen Abwehr nicht weiter verwerflich scheinen.

Geheime Gerichte
Obwohl die Staatsanwaltschaft ihn als »überzeugten Kommunisten« einstufte, war Kurt Stand schon vor längerem vom »orthodoxen« Kommunismus abgekommen und hatte sich den sozialdemokratischen Democratic Socialists of America angeschlossen. Die DDR-Bindungen wollte er anscheinend aber nicht ganz ablegen: Sich mit DDR-Geheimdienstoffizieren zu treffen, kodierte Telefongespräche zu führen, Aufsätze auf Mikrofilm zu kopieren und dann in ausgehöhlten Puppen nach Europa zu schicken, mag zwar den Verdacht des FBI erwecken - gesetzwidrig ist es jedoch nur dann, wenn Geheimnisse verraten werden. Stand hat den Vorwurf der Spionage immer zurückgewiesen. Squillacote mußte zumindest die Übergabe von Geheimdokumenten an den »Südafrikaner« zugeben.

Die beiden werden Berufung einlegen- und dabei prüfen lassen, ob das FBI Squillacote zur »Spionage« für Südafrika »angestiftet« hat. Hauptsächlich aber wird sich das Berufungsgericht mit der Verfassungsmäßigkeit des geheimen »Gerichtes für Nationale Sicherheitsangelegenheiten« befassen, das den Lauschangriff autorisiert hatte und nach Ansicht von Kritikern ein unkontrollierbares Instrument zur Bespitzelung unliebsamer Bürger ist. Die Abhöraktion gegen Squillacote und Stand war nur eine von über 7.000 Lauschangriffen, die das Gericht dem FBI seit 1978 genehmigt hat.

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