Ein Mann ohne Zweifel

Anbetende Strategie Bob Woodward zu Besuch bei den Kriegshelden im Weißen Haus

Bob Woodward, US-amerikanischer Starjournalist, hat wieder einmal ein Buch geschrieben: Bush at War heißt es, die Geschichte des Entscheidungsprozesses in der US-Regierung in den ersten drei Monaten nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Wie es zu den Bombenangriffen auf Afghanistan kam und dem Feldzug gegen Osama bin Laden. "Bush at War", das ist Woodward, wie man ihn kennt von seinen Büchern der vergangenen Jahre, über Notenbankchef Alan Greenspan, das Weiße Haus unter Clinton, die Panamainvasion und den Golfkrieg, und die CIA unter Reagan: Enthüllungsjournalistisch aufgepäppelte Werke eines Stenographen der Mächtigen. Woodwards Methode: Hochrangige Regierungsvertreter bis hin zum Präsidenten selber gewähren Interviews nach Regeln des "deep background", wonach Quellen nicht identifiziert werden. Woodward zitiert ohne jegliche Wertung und Bezug auf unabhängig verfügbare Informationen Aussprüche und Gedanken. Das soll wohl dem Leser und der Leserin das Gefühl des Dabei-Seins vermitteln. Bei Woodward gibt es keine Fußnoten, wird ausschließlich vom Standpunkt der Männer an der Macht berichtet. Und jeder kommt gut weg. Helden sind sie alle. Die Interviewten wissen schon, warum sie mitmachen.

Dass Krieg und nicht etwa eine internationale Polizeioperation die Antwort auf die Anschläge sein würde, stand von Anfang an fest, die Alternative wird nicht einmal diskutiert, nur Taktik, und wie man die geplante Operation medienmäßig verkaufen würde. Jeder halbwegs Aufmerksame weiß das allerdings auch ohne Woodward von Bushs damaligen Anprachen. Überraschungen findet man kaum im Buch. Höchstens noch ein paar Schmankerln hier und da. Etwa, dass die US-Militärplaner gar nicht begeistert gewesen sein sollen, als Bundeskanzler Schröder deutsche Militärhilfe für Afghanistan "aufdrängte". (Verteidigungsminister Rumsfeld habe befürchtet, deutsche Einheiten würden nur stören.) Oder diese Sequenz: Er habe sich gefühlt wie bei einem Nazi-Aufmarsch, soll Karl Rove gedacht haben, enger Berater des amerikanischen Präsidenten, als dieser im Oktober 2001 bei einem Baseballspiel in New York den Arm zum Gruß erhob, und Zehntausende tobende Zuschauer ebenso zurückgrüßten. Wie soll der Leser das interpretieren? Hat sich Rove gefreut? War er zufrieden mit seinem Führer? Oder was? Das erfährt man nicht. Woodward verliert kein Wort der Kritik oder Verwunderung.

Und viel Klatsch und Tratsch im Buch. Es hagelte angeblich böse Schimpfwörter. Rumsfeld und Außenminister Powell haben sich gelegentlich gezankt. Sicherheitsberaterin Rice musste vermitteln. Sollte der Krieg gegen den Irak gleich mitgeplant werden, wie Rumsfeld es wollte, oder macht man es erst mal nur gegen Afghanistan? CIA-Direktor Tenet und Rumsfeld kamen sich auch ins Gehege. Die CIA habe schon frühzeitig viele afghanische Verbündete "gekauft". Dem Präsident ging vieles zu langsam. Er wollte Resultate sehen, und die Namen und Fotos der al-Qaida-Führer so schnell wie möglich auf seinem Fahndungsplakat auskreuzen. Bush hatte kein Verlangen, auf die anderen Mitgliedsstaaten der internationalen Koalition gegen den Terrorismus zu warten. "We are America", soll er gesagt haben, andere Länder würden nicht "diktieren", wie der Krieg auszusehen habe. Woodwards George W. Bush ist ein von seinem Sendungsauftrag restlos überzeugter Politiker, ein Mann ohne Zweifel.

Im Epilog des Buches zitiert Woodward den Präsidenten aus seinem "zwei Stunden und 25 Minuten" langen Interview kurz vor Fertigstellung des Manuskripts: Die Blaupausen des Entscheidungsprozesses zu Irak fände man in dem Buch, das Woodward gerade schreibe, habe Bush gesagt. Stimmt das, sind die Würfel für den Angriff schon längst gefallen, mag Bush nun UNO spielen oder nicht. Fakten müssen sich dem beugen, was Bush tun will. "Ich werde die Gelegenheit beim Schopf greifen, Großes zu tun", soll Bush Woodward versichert haben. Der Wind habe sanft durch die Mückengitter in Bushs "Ranch" in Crawford (Texas) geweht. "Es gibt nichts Wichtigeres, als den Weltfrieden herzustellen", sagte Bush. Danach habe der Präsident Woodward das Gelände gezeigt. Zusammen hätten sie von einer Holzbrücke Steine auf einem Felsenvorsprung geworfen, der so alt ausgesehen habe wie die Katakomben in Rom. Sicherheitsberaterin Rice sei im Pickup Truck sitzen geblieben, sie habe die falschen Schuhe angehabt. Ein süßer Geruch hing in der Luft. Woodward wusste nicht, woher der kam.

Woodwards Schreibstil ist nicht mehr ganz unumstritten in den USA. Vor allem nach seinem Buch über den Golfkrieg (The Commanders) wurde er kritisiert. Woodward habe damals, gleichzeitig Reporter für die Washington Post, Informationen für das Buch zurückgehalten, die damals die öffentliche Debatte beeinflusst hätten. Etwa die Information, dass Stabschef Powell der Ansicht gewesen sei, Wirtschaftsanktionen hätten Saddam Hussein "stranguliert". In die Annalen eingegangen ist Woodwards Sterbebett-Interview mit CIA Direktor William Casey für das Buch Veil: The Secret Wars of the CIA". Woodward habe sich in das Sterbezimmer eingeschlichen. "Ich habe geglaubt", habe Casey ihm anvertraut. Was immer das auch heißen mag. Sicher ist, dass Casey den Reporter mehrmals aufs Kreuz legte, ihn mit allen möglichen Geschichten fütterte, während im Weißen Haus mit Caseys Hilfe die Iran-Contra-Affäre eingefädelt wurde, in der Beamte des Nationalen Sicherheitsrates und der CIA Waffen an den "terroristischen" Iran verkauften, um den Contra-Krieg in Nikaragua zu finanzieren. Und manchmal geht Woodwards anbetende Strategie total in die Hose, etwa beim Buch über Greenspan (Maestro), das den Notenbankchef als weisen und umsichtigen Architekten des Wirtschaftsbooms feierte und just zu der Zeit auf den Markt kam, als die Aktienmärkte einbrachen.

Karl Rove ist es, der in Bush at War wohl am Besten beschreibt, worauf es den Männern im Weißen Haus ankommt: "Alles wird am Ergebnis gemessen... Der Kriegssieger hat immer recht. Die Geschichte schreibt ihm - und auch dem Unterlegenen - Qualitäten zu, die er vielleicht gar nicht gehabt hat". Bob Woodward hat diesen Historikern bereits vorgegriffen.

Bob Woodward: Bush at War. Simon, New York 2002, 376 S., 34 EUR, 28 $

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