Hoovers Baby

100 Jahre FBI Spionageangst, Kommunistenhysterie und Terrorismus - es gibt viele Gründe, warum sich das amerikanische "Bundesamt für Ermittlungen" halten konnte

Am 26. Juli war FBI-Tag in den USA, auf Weisung des Weißen Hauses. Man feierte den 100. Geburtstag der am 26. Juli 1908 gegründeten Behörde. Damals hatte das "Bundesamt für Ermittlungen" gerade einmal 34 Mitarbeiter. Inzwischen sind es mehr als 30.000 - und niemand weiß, wie viele Inoffizielle durch die Nation geistern. Wegen des "Krieges gegen den Terrorismus" wurden die Befugnisse des FBI zuletzt sogar noch erweitert. Knifflig für Kritiker: Einerseits wirft man der Behörde vor, sie habe vor den Anschlägen des 11. September 2001 geschlafen, warnt aber andererseits vor überzogener Bespitzelung.

Bei der Feierstunde erinnerte ein 101-jähriger FBI-Pensionär an die wilden dreißiger Jahre, als man im Clinch lag mit "Creepy" Al Karpis von der Ma Barker Gang, "Machine Gun" Kelly, "Pretty Boy" Floyd und anderen Hollywood-reifen Gangsterfiguren. Auf der Internetplattform (www.fbi.gov) wird die offizielle Geschichte erzählt: Da wurden Bankräuber oder Wirtschafts- und Cyberkriminelle dingfest gemacht, Entführer geschnappt, Spione enttarnt. Nun sei man vorbeugend tätig gegen al-Qaida. Die Website vertuscht einen "Erfolg": Das FBI sei die "wichtigste Komponente des antikommunistischen Kreuzzugs" gewesen, schrieb die Historikerin Ellen Schrecker. Politikwissenschaftler Robert Justin Goldstein hat in seiner Mammutstudie Political Repression in Modern America untersucht, wie und warum in den USA die "radikale" Opposition immer wieder entschärft wurde. Ein Grund sei die staatliche Repression.

Kinderträume, Kinderschrecken

Sommer 1950, New York. Ein fahrendes Auto, im Wagen ein Mann in Anzug und ein Junge, sieben oder acht Jahre alt. "Ich höre Ihnen im Radio zu", sagt das Kind zu dem Anzug. Der Junge heißt Michael Rosenberg; im Radio verfolgt er gerne die Hörspielserie This is Your FBI mit Geschichten aus den Akten des FBI, das möchte er dem Anzugmann mitteilen. Die vierziger und fünfziger Jahre waren das goldene Zeitalter des FBI. Selbst Pluto, der Hund von Micky Mouse, arbeitete im Comic für die Ermittlungsbehörde. So mancher Junge träumte damals von einer Karriere beim FBI. Heutzutage können Kinder unter www.fbi.gov/fbikids.htm einem Agenten namens Bobby Bureau helfen, sich für einen Undercover-Einsatz zu verkleiden.

Michael Rosenberg heißt heute Michael Meeropol und ist Wirtschaftsprofessor in Massachusetts. Er macht das FBI mitverantwortlich für die 1953 vollzogene Hinrichtung seiner Eltern Ethel und Julius Rosenberg, zwei Kommunisten aus New York. Nach deren Verhaftung fuhr er mit einem FBI-Agenten, dem "Anzugmann", im Auto. Später wurden Michael und sein Bruder Robert von dem Ehepaar Meeropol adoptiert. Das FBI, sagte Meeropol in einem Gespräch für diesen Beitrag, sei für ihn "die politische Polizei" der USA. Verhaftet wurden die Rosenbergs vom FBI als "Atomspione".

"Ihr Verhalten, das den Russen die A-Bombe in die Hände spielte ... hat meiner Meinung nach zur kommunistischen Aggression in Korea geführt, mit mehr als 50.000 Todesopfern. Und wer weiß, wie viele Millionen unschuldiger Menschen noch den Preis für Ihren Verrat zahlen müssen", verkündete der verurteilende Richter. FBI-Direktor J. Edgar Hoover sprach vom "Verbrechen des Jahrhunderts".

Daran glaubt heute kein Historiker mehr. FBI-Dokumente bezeugen dagegen, dass Hoover die Todesstrafe für Ethel Rosenberg sogar ablehnte. Das Urteil sollte ihren Mann nur unter Druck setzen. Aber Julius und Ethel schwiegen. Mitte der neunziger Jahre hat die US-Regierung die so genannten "Venona-Dokumente" bekannt gemacht, entschlüsselte sowjetische Geheimnachrichten vom Beginn des Kalten Krieges. Auch Julius Rosenberg kommt darin vor. Den Dokumenten zufolge hat Rosenberg offenbar technische Daten geliefert, allerdings nichts Atomares. Ethel war keine Spionin.

Ursprünglich sollte das FBI dem Justizministerium "professionelle" Ermittler zur Seite stellen. Vor hundert Jahren war der Kampf gegen die Kriminalität noch Sache örtlicher Sheriffs und Polizeibehörden. Das FBI-Gebäude in Washington ist heute nach J. Edgar Hoover benannt. Von 1924 bis zu seinem Tod 1972 war der in Washington in kleinbürgerlichen Verhältnissen geborene Protestant "Der Direktor". Hoover, ein dynamischer Redner, der das Wort "Kommunismus" geradezu ausspuckte, trat auf als genuiner Repräsentant Amerikas. Ausländisches Gedankengut und Liberalismus hatten in seinem Weltbild keinen Platz.

Heute mag man sich über den Mann mit dem Boxergesicht, den 40 Jahre lang eine enge persönliche (und - Spekulationen zufolge - schwule) Freundschaft mit seinem Mitarbeiter Clyde Tolson verband, lustig machen. Doch Hoover habe das Bedürfnis vieler nach verlässlichen Werten erfüllt, schreibt Richard Gid Powers in seiner Hoover-Biografie, nämlich "Religion, Patriotismus ... und eine rationale moralische Ordnung". Hoover war erst 22 Jahre, als er 1917 ins US-Justizministerium eintrat. Damals hatte man Angst vor deutschen Saboteuren. Die Kriegspanik mischte sich mit der Bolschewistenhysterie: Der junge Hoover machte sich einen Namen als Jäger "ausländischer" Anarchisten und Kommunisten, die er zu Hunderten deportieren ließ. 1924 wurde er zum FBI-Direktor befördert.

Der Mann hatte einen Sinn für Öffentlichkeit. Hoover wurde in den Schlagzeilen und Wochenschauen als "Superpolizist" gefeiert. "Karpis in New Orleans von Hoover festgenommen", berichtete die New York Times im Mai 1936. Die Umstände indessen sind unklar. In seinen Erinnerungen schrieb "Creepy" Alvin Karpis, Hoover sei erst nach der Festnahme auf ihn zugekommen. Hoover dagegen will die Verhaftung persönlich vollzogen haben. Er arbeitete intensiv mit den Medien, um sich und seine Behörde ins rechte Licht zu rücken. Sein Bestseller Masters of Deceit über die Lügen der Kommunisten wurde mehr als zwei Millionen Mal verkauft.

Richtig "groß geworden" ist das FBI aus Gründen der Nationalen Sicherheit. Präsident Franklin Roosevelt hatte 1936 die Bespitzelung der Kommunistischen Partei autorisiert. 1944 wuchs das FBI auf 13.000 Angestellte. Kampf gegen Nazi-Umtriebe und gegen die "rote Gefahr" war angesagt, er sollte das FBI in den kommenden Jahrzehnten prägen. 1954 standen, so die Historikerin Schrecker, auf einer FBI-Liste 26.000 namentlich aufgeführte Personen, die im Notfall festgenommen werden sollten. Wie groß die "kommunistische Gefahr" tatsächlich war, sei dahingestellt. Während einzelne Kommunisten führend in der Arbeiter- und der frühen Bürgerrechtsbewegung waren, hat sich die Partei selbst nie von Moskaus Umarmung gelöst. Mit Panikmache jedoch konnte der Bürokrat Hoover einen Überwachungsapparat aufrüsten, der sich auch gegen die richtete, die schlicht nicht antikommunistisch genug waren.

In Teilen gesetzwidrig

Unentschlossen zeigte sich Hoover in Bezug auf die Bewegungen der sechziger Jahre. Waren die Neue Linke, die radikalen Schwarzen, die Kriegsgegner und die Hippies nun Handlanger der Kommunisten, oder wollten sie ganz anderes? 1966 hielt er fest, dass den USA "eine Verschwörung neuen Stils" drohe, "eine so unterschwellige und trügerische Verschwörung, dass man sie nicht leicht versteht". Sie sei gekennzeichnet durch "hemmungslosen Individualismus, Non-Konformismus in Kleidung und Sprache, gar obszöne Sprache, und nicht durch die formelle Mitgliedschaft in bestimmten Organisationen." Von 1956 bis 1971 lief das geheime COINTELPRO-Programm, das darauf abzielte, nicht nur die Kommunistische Partei, sondern auch die Studenten-, Friedens- und Bürgerrechtsbewegung und radikale Gruppen zu infiltrieren, zu sabotieren und zu zerstören.

Schon kurz nach Hoovers Tod 1972 zerbrach der Mythos FBI. Nicht, weil der große alte Mann verschieden war: Hoovers Kampagne gegen Kommunisten und vermeintliche Kommunisten genoss breite Unterstützung in Regierung und Gesellschaft. In den siebziger Jahren aber - nach dem Vietnamkrieg und Richard Nixons "Fehlgriffen" - wehte ein neuer Wind. Nun erkundigten sich sogar Kongressausschüsse nach dem Treiben von COINTELPRO. Die Gerichte urteilten schließlich, COINTELPRO mit seinen Einbrüchen, Lauschangriffen und Provokationen sei in weiten Teilen gesetzwidrig gewesen.

Das FBI gelobte Besserung und fand neue Arbeitsschwerpunkte: Drogenhandel, internationale Kriminalität, und - schon zu Beginn der achtziger Jahre - den Terrorismus. 1985, im "Jahr der Spione", fuhr das FBI seinen letzten großen Erfolg im Kalten Krieges ein: Rund ein Dutzend Spione wurden festgenommen, darunter John Anthony Walker, Ronald William Pelton und Edward Lee Howard. Seit dem 11. September liefert der Terrorismus dem FBI die Existenzberechtigung. Unbekannt ist, ob beziehungsweise wie viele Anschläge das FBI vereitelt hat. Die American Civil Liberties Union beklagt, dass das FBI bei der Terrorfahndung mit Bürgerrechten nicht eben zimperlich umgehe.

Heute steht auf dem FBI-Most-Wanted-Steckbrief neben dem mutmaßlichen Polygamisten Emil Sliwinski, dem Gewaltkriminellen Emigdio Preciado, dem mutmaßlichen Mörder Emory Lewis (Spitzname Sweaty) auch "Osama bin Laden". Man nehme an, Osama, bekannt auch als "Der Direktor", sei "bewaffnet und gefährlich".

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