Jeder stirbt für sich allein

USA Der Soldat Bradley Manning wollte die Öffentlichkeit mit den an die Internetplattform Wikileaks weitergegebenen Dokumenten aufrütteln – nun wird er von ihr ignoriert
Ausgabe 14/2013
Jeder stirbt für sich allein

Foto: Mark Wilson / Getty

Zum Mythos des US-Journalismus gehören Geschichten vom heroischen Whistleblower, dem Insider, der seine Karriere riskiert und Interna an die Medien weiterleitet, um Missstände aufzudecken. Der Whistleblower verstößt gegen Gesetze und Regeln, genießt aber häufig öffentliche Sympathie, Wohlwollen und Respekt in den Medien. Bei dem Wikileaker Bradley Manning ist das ganz anders. Die Wikileaks-Enthüllungen waren für den Staat kein peinlicher Ausrutscher auf der Spielwiese, wo Journalismus mit der Regierung plänkelt. Es gibt keine Gnade für den seit Mai 2010 in Untersuchungshaft sitzenden IT-Fachmann aus dem US-Heer. Der Staatsanwaltschaft geht es nicht nur um Mannings Verstoß gegen die Geheimhaltung.

Für die Weitergabe von Dokumenten an Wikileaks übernahm Manning, der im Dienst Zugang zu Top Secret-Material hatte, inzwischen die Verantwortung. Dieses Geständnis könnte ihm 20 Jahre Haft bringen. Die Staatsanwaltschaft wirft Manning vor, den Feind begünstigt zu haben. Der anstehende Prozess soll beweisen, dass die Wikileaks-Dokumente der nationalen Sicherheit geschadet haben. Bin Laden habe sich persönlich für das Material interessiert. Für den Vorwurf „Feindbegünstigung“ wird gar ein historischer Fall bemüht. Im amerikanischen Bürgerkrieg hätte ein Soldat 1863 einer Zeitung die Namen von Offizieren gegeben. Dieser Informant sei wegen „indirekter Informationsweitergabe an den Feind“ mit drei Monaten Gefängnis bestraft worden.

Mannings Sympathisanten vertreiben T-Shirts und Poster mit der Aufschrift I am Bradley Manning – US-Medienkonzerne hüllen sich hingegen in I am not Bradley Manning-Hemden. Mannings Wikileaks-Dokumente sind zwischenzeitlich in Tausenden Artikeln und Dokumentionen zitiert worden, doch droht der Urheber in einem schwarzen Loch zu verschwinden. Man geht auf Distanz, porträtiert Manning lieber als instabilen, mit seiner Gender-Identität ringenden jungen Mann. Aus dem Gerichtssaal berichten der britische Guardian und Blogger, etwa auf firedoglake.com.

Ein Käfig als Zelle

Bradley Manning hat Ende Februar umfassend über seine Motive ausgesagt. Er sprach über seine persönlichen Schwierigkeiten als einer, der nicht so richtig ins Militär passte und Probleme hatte mit seinem Freund zu Hause. In seiner Erklärung allerdings (s. bradleymanning.org) präsentiert er sich als politisch und humanitär motivierter Verweigerer, der viel nachdachte und schließlich nein sagte. Am 27. Februar 2010 habe seine Einheit einen Bericht erhalten über die Festnahme von 15 Personen durch die irakische Polizei. Manning, Experte für Milizen, sollte dazu recherchieren. Er habe festgestellt, dass keiner der Festgenommenen Kontakte zu terroristischen Gruppen unterhielt. Die Flugblätter der Verhafteten hätten vielmehr Korruption in der Regierung von Premier Nuri al-Maliki angeprangert. Er habe seinen Vorgesetzten berichtet, sei aber angewiesen worden, das Thema fallen zu lassen und die dortige Polizei zu unterstützen.

Manning in seiner Aussage: „Ich wusste, wenn ich fortfuhr, der Polizei in Bagdad dabei zu helfen, politische Gegner von Premier al-Maliki zu identifizieren, würden die eingesperrt und sehr wahrscheinlich von einer polizeilichen Spezialeinheit gefoltert. Man würde sie eine sehr lange Zeit nicht mehr sehen – wenn überhaupt.“ Also habe er Wikileaks das Material geschickt.

Es handelte sich um fast 450.000 Dokumente zum Irak- und Afghanistan-Krieg – sogenannte SigActs-Berichte, in Echtzeit niedergeschriebene Meldungen über „significant actions“ an der Front. Sie dokumentierten mehr als 100.000 Todesfälle. Das Material habe ihn deprimiert, sagte Manning. Er habe eine öffentliche Debatte in den USA anstoßen wollen über „Counterinsurgency-Operationen, bei denen die Menschen in den betroffenen Gebieten ignoriert werden“. Auf Heimaturlaub Anfang 2010 habe er die Washington Post und die New York Times wegen der Dokumente kontaktiert, aber es habe niemand zurückgerufen. Die Redaktionen beider Zeitungen geben heute an, sie wüssten von nichts.

Das außerordentliche Verfahren gegen Bradley Manning mit monatelanger Haft in einer 1,80 mal 2,40 Meter großen Zelle und „grausamer, inhumaner und erniedrigender Behandlung“, wie der UN-Sonderberichterstatter für Folter feststellte, sendet Signale.

Hochrangige Regierungsvertreter lassen routinemäßig geheime Informationen durchsickern an die Medien. Was hat man nicht alles erfahren über die gezielte Tötung Bin Ladens. Selbst über die Sitzungen im Weißen Haus, bei denen der Präsident angeblich unter Abwägung aller Fakten entscheidet, welcher Terrorist als nächster getötet werden soll. Manning gilt als gefährlich, weil man nicht kontrollieren konnte, was der Soldat an Informationen freisetzte. Die digitale Welt macht den Regierungen Sorgen. Nicht umsonst warnen US-Geheimdienste „vor Cyber-Verbrechen“, die es zu bekämpfen gelte.

Vor dem Militärgericht in Fort Meade (Maryland) fragte die Richterin die Staatsanwältin, ob sie Manning auch anklagen würde, hätte er die Dokumente nicht Wikileaks, sondern der New York Times gegeben. Ja, lautete die Antwort und sollte wohl ein Schuss vor den Bug der Medien sein. Nächste Woche beginnt die erste öffentliche Anhörung in dem Verfahren.

Konrad Ege erinnerte zuletzt an den zehnten Jahrestag der US-Irak-Intervention

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