Laura liest ein Märchen vor

USA Weihnachten im Zeitalter der Familie Bush und des Terrorismus

Innenpolitisch ist die Festnahme von Saddam Hussein für George Bush ein Erfolg. An der Schwelle zum Jahr der Präsidentschaftswahl in den USA ist dadurch die Zustimmungsquote zur Irak-Politik des Weißen Hauses in die Höhe getrieben worden. Nach einer Umfrage im Auftrag von AP vertraten fast zwei Drittel der Amerikaner (61 Prozent) die Ansicht, die Invasion im Irak sei doch richtig gewesen. Auch die Chancen für eine Wiederwahl Bushs sind wieder gestiegen. 45 Prozent erklärten, sie würden 2004 "ganz bestimmt" für ihn stimmen. 31 Prozent sagten, sie würden dies "auf keinen Fall" tun. Anfang des Monats lag das Verhältnis beider Lager noch bei 37 : 37.

Der Terrorismus und nicht mehr die Sorge um Menschenrechte sei die Richtschnur der neuen amerikanischen Außenpolitik, sagte der US-Außenminister vor 23 Jahren. Kleiner Versprecher, vermutlich wollte er "Bekämpfung des Terrorismus" sagen. Der Außenminister hieß Alexander Haig, der Präsident Ronald Reagan. Die Drahtzieher der "Terroristen" saßen im Kreml, ihre Handlanger in Managua, Sofia, Havanna und Berlin (Ost).

Heute ist das anders. Der Ex-KGB Mann in Moskau soll Bündnispartner sein im Weltkrieg gegen den neuen Terrorismus. Doch Haigs Leitsatz gilt mehr denn je. Die Parallelen zu damals lassen Schlechtes ahnen für Bushs politische Gegner und die Demokraten, die im Weißen Haus einziehen möchten. Reagans Krieg gegen das "Reich des Bösen" war eingebettet in den Kalten Krieg, der Präsident sprach von Freiheit und Demokratie, und die blau-weiß-rote Fahne wehte unter sonnigem Himmel. Das Gras war grün, der Gartenzaun frisch gestrichen und weiß. Reagans Rhetorik von einem freien, sicheren und auserkorenen Amerika kam an bei den Wählern; Jimmy Carter erfuhr das 1980, Walter Mondale 1984. Und 1988 Michael Dukakis. Der Feind und Reagans Mythengebilde von der heilen amerikanischen Nation schafften Zusammenhalt, überbrückten die politischen Differenzen in der spannungsgeladenen Reagan´schen Koalition mit den Freimarktwirtschaftsideologen und Sozialkonservativen als Eckpfeiler.

Mythos von der Volksgemeinschaft

George W. Bush, Reagans politischer Enkel, belebt mit seinem Terrorismuskrieg, zu dem angeblich auch der Irak-Krieg gehört, eben diese rechte Koalition und wird von ihr getragen. Auch wenn sein Sozial- und Wirtschaftsprogramm so ganz eindeutig Partei ergreift für die Wirtschaft und die Begüterten und die Menschen auseinander treibt und gegeneinander ausspielt. Im Krieg gegen den Terrorismus müsse sich Amerika zusammentun in der Wagenburg. Die Helden kämpfen weit weg von der Heimatfront gegen die Indianer. Die in der Wagenburg müssen dankbar sein, dürfen nicht kritisieren, wenn es im Irak trotz Saddams Festnahme nicht immer so richtig klappt. Vielen Amerikanern leuchtet es ein, dass der Präsident sagt, US-Firmen sollten bevorzugt Irak-Verträge bekommen, hielten die GIs doch den Kopf hin. Viele kennen inzwischen persönlich Soldaten im Irak oder Angehörige der Soldaten. Da werden die fast täglichen Nachrichten von erschossenen GIs anders aufgenommen.

Die demokratischen Rivalen haben diesem Weltbild und dem Mythos von der Volksgemeinschaft nicht viel entgegenzusetzen. Sie schlittern hin und her zwischen Kritik am Krieg und der Furcht, sich zu weit vorzuwagen mit ihren Bedenken. Nach Ursachen des Phänomens, das man als Terrorismus bezeichnet, soll nicht gesucht werden. Wie schlecht es aussieht in der Demokratischen Partei, zeigt der kürzliche Wirbel um die Entscheidung des Ex-Vizepräsidenten Al Gore, sich für den Präsidentschaftsbewerber Howard Dean einzusetzen. Ausgerechnet der Politiker, der es geschafft hatte, die Wahl von 2000 trotz des Wirtschaftsbooms selbst in seinem Heimatstaat Tennessee zu verlieren, soll nun plötzlich der Königsmacher sein dürfen. Und der demokratische Senator John Kerry tritt als Alternative zu Dean auf, weil er außenpolitische Erfahrung habe und im Vietnamkrieg gewesen sei. Sein Ja bei der Senatsabstimmung zum Irak-Krieg erklärt er damit, von Bush "getäuscht" worden zu sein. Das weckt kein Vertrauen in Kerrys Kompetenz. Seit Neuestem fordert Kerry auch eine Personalaufstockung beim Militär.

Das Votum der Kirchgänger

Zu Beginn der vorweihnachtlichen Einkaufszeit gab das Heimatschutzministerium zu bedenken, dass den großen Shopping Malls (Einkaufszentren) Anschläge drohten. Dann hieß es wieder, es könnte leicht erneut zu einem Flugzeugattentat kommen; man habe bei Tests gefährliche Stoffe selbst in Socken gefunden, die möglicherweise unentdeckt im Gepäck an Bord geschmuggelt werden könnten. Mitte Dezember brachte ein unbekannter Täter den Verkehr auf zwei Washingtoner U-Bahnstrecken mit einer simplen Telefondrohung stundenlang zum Stillstand. Gefunden wurde eine "verdächtige" Schachtel, die sich als harmlos entpuppte, und eine leere Brieftasche.

Der "Krieg gegen den Terrorismus" plus die Besatzung im Irak und die Einsätze im Afghanistan selber sind im wesentlichen Tintentupfer in einem Rohrschachtest der politischen Gesinnung. Laut Bush und Rumsfeld wird schon alles gut werden, obwohl Mitte Dezember die Hälfte der neuen irakischen Sicherheitstruppe ihren Hut nahm. Die Neokonservativen träumen noch immer von der "Demokratisierung" des Nahen Ostens, die man nicht übers Knie brechen könne. Halliburton und Bechtel wollen Geld machen. Washingtoner Beraterfirmen veranstalten Konferenzen zum Irak für ihre Klienten. Und manche in der Friedensbewegung fahren sich so fest in ihrer Opposition gegen den "Krieg für Öl" oder den neuen US-Imperialismus, dass sie in Gefahr geraten, den bewaffneten Widerstand im Irak als Befreiungskampf zu deuten, obwohl viele Anschläge durch Angehörige von Saddam Husseins Folterregime ausgeführt werden. Und viele Kritiker des "Krieges gegen den Terrorismus" betonen, Osama bin Laden sei letztendlich doch eine Kreatur der USA. In den Hintergrund gedrängt wird, dass al Qaida eine zutiefst demokratiefeindliche Politik verfolgt.

Nach Umfragen unterstützt gut die Hälfte der Amerikaner das Konzept "Krieg gegen Terrorismus" und die Truppenpräsenz im Irak. Männer sind eher dafür als Frauen, Weiße eher als Schwarze und Hispanics. Ein besonders starker Indikator für die Sympathie mit Bush ist die Religiosität: Mehr als 60 Prozent der häufigen Kirchgänger erklärten in einer jüngsten Erhebung, sie würden den Präsidenten unterstützen. Auch hier herrscht Schweigen bei der Opposition: Bush hat die "christliche" Rhetorik und die Wertediskussion gepachtet. Spricht eine religiös verbrämte Sprache, die von den Seinen verstanden wird, die alles begründet, vom Nein zur Abtreibungspille bis hin zum Terrorismuskrieg. Während die demokratischen Kandidaten mit Ausnahme Joe Liebermans und des für US-Verhältnisse ganz links stehenden Dennis Kucinich der Wertediskussion aus dem Weg gehen, anstatt ihre eigenen Überzeugungen - sofern vorhanden - in die Wagschale zu werfen.

Bettelarmer Santa Claus

Innenpolitisch geht Bushs Rechnung mit dem Krieg gegen den "Terrorismus" auf. Und das ist elf Monate vor der Präsidentschaftswahl wohl ein Hauptkriterium aus Sicht des Weißen Hauses. Im Windschatten des Krieges konnte Bush radikale Wirtschaftsprogramme durchsetzen und seinem polizeistaatlich orientierten Justizminister die Bahn frei machen. Weltpolitisch betrachtet, lässt sich der Krieg gegen den Terrorismus nicht sonderlich positiv verbuchen. Die Strategen dieses Krieges gingen allem Anschein nach davon aus, die USA könnten dank ihrer militärischen Stärke ihren Platz als unbestrittene Führungsmacht ausbauen, der gefährdet schien, da der vermeintliche Bedarf an militärischer Macht nach dem "Ausscheiden" des Hauptrivalen Sowjetunion nachgelassen hatte.

Das hat nicht so richtig funktioniert. Man erinnere sich des Desasters - aus US-Regierungssicht - im UN-Sicherheitsrat vor dem Irak-Krieg. Und jetzt leidet Washington wegen der "Massenvernichtungswaffen" an einem Legitimitätsverlust. Ob der "Terrorismuskrieg" den muslimischen Extremismus à la al Qaida eingedämmt hat, lässt sich schwer sagen. In anderen Konfliktzonen, etwa vor vier Monaten bei der Konferenz der Welthandelsorganisation WTO in Cancun oder den ökonomischen Rivalitäten zwischen Europa beziehungsweise Asien mit den USA zeichnet sich - verglichen mit den Jahren des Kalten Krieges - eher ein Machtverlust der Amerikaner ab. Und der einst allmächtige Dollar fällt weiter in den Keller.

Zu den Festtagen hat Bush anderthalb Millionen Grußkarten verschickt. Auf der Webseite des Weißen Hauses liest Laura Bush eine Weihnachtsgeschichte über einen bettelarmen, aus Altersgründen entlassenen Briefträger, der aber zu Weihnachten nicht mehr einsam ist, weil er ein Santa-Claus-Kostüm anzieht und deshalb zu Partys eingeladen wird. Mitfühlender Konservatismus in Aktion, Amerika unter Bush halt. Soll dessen Ära 2004 zu Ende gehen, müssen die demokratischen Rivalen den Wählern gute Gründe geben, den Republikaner packen zu schicken. Oder zumindest das Diskussionsfeld erweitern und einmal ernsthaft in Frage stellen, ob der Krieg gegen den sogenannten Terrorismus die USA wirklich sicherer gemacht hat. Und ob es wirklich gut ist, dass ein ausrangierter Postbote sich verkleiden muss, um zu Weihnachten genug essen zu können.


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