Lewis Libby weiß um die Leichen im Keller

USA Der Ex-Stabschef von Vizepräsident Cheney hofft nach seiner Verurteilung auf Gnade, die ihm nur der "Commander in Chief" gewähren kann

Paris Hilton und Lewis Libby haben eines gemeinsam: Ihnen sind Richter über den Weg gelaufen, die an dem altmodischen Prinzip "gleiches Gesetz für alle" festhalten. Die blonde Millionenerbin aus Kalifornien darf genauso wie Normalsterbliche nicht ohne Führerschein Auto fahren. Und der grauhaarige Ex-Stabschef des US-Vizepräsidenten keinen Meineid schwören. Hilton verbringt im Juni ein paar Tage hinter Gittern, Libby wurde wegen Behinderung der Justiz zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Man versteht George W. Bushs Magenbeschwerden.

Dabei ist die Affäre Libby höchstens eine Fußnote der Geschichte, verständlich nur als Echo der Kriegstrommeln vor dem Angriff auf den Irak im März 2003. Saddam Hussein habe tonnenweise chemische Waffen, hieß es damals, er arbeite an scheußlichen biologischen; der Diktator unterstützte al-Qaida, und er sei drauf und dran, Atomwaffen zu bauen. Journalisten mit guten Kontakten zum Weißen Haus beteten nach und schrieben ab. Regierungsvertreter, die es besser wussten, hielten den Mund.

Die Medienkampagne erreichte ihr Ziel, funktionierte aber nicht lückenlos. Erster Querulant war Ex-Botschafter Joseph Wilson, der 2002 im Auftrag der CIA nach Niger reiste, um Berichte über Uran-Exporte an den Irak zu prüfen. Falsch, stellte Wilson fest, und informierte das Weiße Haus - was aber Bush und seine Umgebung nicht hinderte, weiter über Uran für Saddam aus dem Niger zu sprechen. Im Sommer 2003 ging der empörte Wilson an die Öffentlichkeit. Die Regierung schlug zurück: Wilson sei nicht ernst zu nehmen, sei er doch nur wegen seiner Ehefrau nach Niger geschickt worden, einer Mitarbeiterin des Geheimdienstes CIA. Irgendein Regierungsvertreter leitete deren Namen an die Presse weiter. Das habe deren Karriere ruiniert, klagte Wilson daraufhin. Außerdem verbietet ein Gesetz die Preisgabe der Namen von "undercover" tätigen CIA-Beamten.

Danach das Drama. Wer hatte geplaudert? Vermutungen, Spekulationen, Mutmaßungen; eine Journalistin ging in Beugehaft. Sonderstaatsanwalt Patrick Fitzgerald ermittelte aggressiv, zwang hohe Regierungsvertreter zur Aussage. Aber Fitzgerald fand den Schuldigen nicht, erhob jedoch Anklage gegen Libby: Dieser habe ihn angelogen und unter Eid durch Falschaussagen die Ermittlungen behindert. Ein Geschworenengericht sprach Libby schuldig, Richter Reggie Walton ließ sich nicht beeindrucken von mehr als hundert Prominenten aus der Politik, die um Milde baten für Libby. Zweieinhalb Jahre. Und eventuell will Richter Walton Libby schon während des Berufungsverfahrens in Haft nehmen.

Während das konservative Amerika gern auf "Recht und Gesetz" pocht, hört man nun Argumente zu Gunsten Libbys, wie man sie sich vorstellt bei Gangsterbanden-Treffs, auf denen bedauert wird, dass es einen erwischt hat, und der Betreffende ein Lob erhält, weil er den Mund hält. Das rechte Magazin Weekly Standard attackierte den Präsidenten: Loyalität sei doch das Oberste Gebot im Hause Bush. Bush müsse Libby begnadigen.

Der Präsident hält sich bedeckt, hofft wohl, dass Richter Walton seine Absicht, Libby während der Berufung einzusperren, nicht wahrmacht. Und dass sich eine Entscheidung bis zum Ende von Bushs Amtszeit im Januar 2009 hinzieht. Die Demokraten haben Träume: Ein von seinem Commander in Chief enttäuschter Libby könnte auspacken. Libby weiß, wo die sprichwörtlichen Leichen verscharrt sind.

Präsident Bush hat sich mit viel Erfolg bemüht, die politische Macht im Weißen Haus zu konzentrieren. Doch die Judikative zeigte sich manchmal störrisch. Ein Bundesberufungsgericht in Virginia urteilte Anfang Juni, ein seit vier Jahren als "feindlicher Kämpfer" in einem US-Militärgefängnis Inhaftierter müsse entweder freigelassen oder vor Gericht gestellt werden. Und Militärrichter ausgerechnet im Lager Guantanamo gefährdeten im Mai Bushs Vorhaben, die dortigen Terrorverdächtigen außerhalb des völkerrechtlichen Rahmens abzuurteilen. Die Inhaftierten seien keine "unrechtmäßigen feindlichen Kämpfer", wie Bush behaupte, urteilten die Richter.

Lewis Libby hat vor Richter Walton keine Reue gezeigt, obwohl man weiß, dass Richter gern zerknirschte Angeklagte sehen. Paris Hilton auch nicht. Aber aus der Haft erklärte sie bei einem Telefonanruf zum Sender ABC, Gott habe ihr eine neue Chance gegeben. Sie werde in Zukunft nicht mehr die "dumme" Blondine spielen. Ob Libby Gott gefunden hat, wie seinerzeit mehrere Watergate-Häftlinge, bleibt noch abzuwarten. Erfahrungen hat er freilich mit Gnadengesuchen: Lewis Libby war ein Anwalt des der Steuerhinterziehung angeklagten Finanzunternehmers Marc Rich, der 2001 von Bill Clinton begnadigt wurde.


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