Wenn Bill Clinton beim demokratischen Parteitag in Kalifornien seinen Vize Al Gore als würdigen Nachfolger angepriesen hat, fliegt der Präsident zurück nach Washington, und die "Clinton Ära" ist de facto vorbei. Der bleierne Friede der "Mitte" liegt über dem Land - bekräftigt durch Al Gores Wahl des militant zentristischen Senators Joseph Lieberman zum Vizepräsidentenkandidaten. Leid tun kann einem aber besonders das rechtsideologische Amerika. Monicas Part Time Lover scheidet mit hohen Schulden bei seinen Rechtsanwälten, aber nicht im Impeachment-Sünderkarren. In Zukunft fehlt dem rechten Amerika der Lieblingsfeind, es sei denn, Hillary gewinnt die Senatswahlen in New York.
Richard Nixon hatte bei seinem Abtritt vor einem Vierteljahrhundert wehleidig vermerkt: Jetzt würden seine politischen Gegner niemanden mehr zum Drangsalieren haben. Clintons Selbstmitleid dagegen wäre gerechtfertigt. Kein amerikanischer Präsident wurde je so vielen wüsten Attacken ausgesetzt. Glaubt man den Anklägern, ging es im Weißen Haus zu, als wären Cosa-Nostra-Padrones in die "Akte X" geraten. Mordanschläge auf politische Gegner und Mitstreiter, die "zuviel wussten", Drogenschmuggel, Betrug und Steuerhinterziehung (alles unter der Rubrik "Whitewater"), Kokainkonsum im Amt, Landesverrat bei militärischen Geschäften mit China. Und, nicht zu vergessen, der angebliche Plan, nach dem Y2K-Computerkollaps in den USA das Militärrecht auszurufen.
Der "Durchschnittsbürger" hatte Grund, Clintons Wahrhaftigkeit zu bezweifeln. Mit seinem enormen rhetorischen Talent hat der Präsident dem Wahlvolk manchmal zugeredet wie ein Gebrauchtwagenhändler, der ein fragwürdiges Modell loswerden will. Die Fernsehprediger, rechtsrepublikanische Politiker, rechte TV- und Radiopersönlichkeiten trauten Clinton aber anscheinend einfach alles zu. Vielleicht weil Bill und Hillary die gesellschaftlichen Veränderungen der sechziger und siebziger Jahre personifizierten. Oder Clinton wurde als Prolet angesehen, als "white trash" aus Arkansas, der seine verlotterten Werte und Vorlieben mit in den Tempel der Macht gebracht hatte. Oder weil die moralisch Rechten instinktiv doch merken, dass der Clintonsche Triumphhzug des Freihandels ethnische Belange zertrampelt. Es bräuchte aber einen nationalen Tiefenpsychologen, um diesen Hass völlig auszuloten. Vermutlich wäre Freud am besten.
Die Sonderermittler haben es trotz zermürbender jahrelanger Untersuchungen nicht geschafft, den Clintons irgendetwas Illegales und bei einem Strafprozess Verwendbares anzuhängen. Nur eine Enthüllung gelang den Sittenwächtern: Bill hatte nicht nur mit Hillary Sex. Er hat dazu unter Eid die Unwahrheit gesagt, aber das lässt sich juristisch schwer verwenden; daher kein Prozess. Die USA sind wegen dieser Sexlügen haarscharf an einer Verfassungskrise vorbeigeschlittert, so unglaublich das jetzt klingen mag, zwei Jahre danach. Aber im Herbst 1998 war das Amtsenthebungsverfahren durchaus im Bereich des Möglichen gewesen.
Gerettet hat Clinton zweierlei: Die politische Klasse kam zur Vernunft, und viele Wähler begriffen, dass die Ermittlungsmethoden des Kenneth Starr mit dem voyeuristischen Aufdecken aller verfügbaren sexuellen Details bedrohlicher seien als die Flunkereien des Ehebrechers. Starrs Leute hatten sich in ihren Phantasien vom teuflischen Bösewicht im politischen Niemandsland verrannt. Außerdem - so wird heute bei der publizistischen Nachwäsche des Skandals glaubhaft argumentiert - seien die Gerüchte von langjährigen, sehr weit rechts stehenden Gegenspielern des Präsidenten gezielt in Umlauf gebracht worden - und so bis in die "respektablen" Medien vorgedrungen: Dank zahlungskräftiger rechter Gönner, der Internet-Kommunikationsrevolution und des Karrierehungers einiger Journalisten aus gutem Hause, die den "Skandal" am Leben halten wollten.
Gore macht jetzt eine Gratwanderung. Er will Clintons Erbe als Wohlstandspräsident antreten, aber auch betonen, dass er anders ist und Moral und Anstand wieder ins Weiße Haus bringen wird. Daher Lieberman, der schon lange Sex und Gewalt in den Medien bekriegt und Clinton von Anfang an kritisiert hat. Bei ihrem Parteikonvent in Philadelphia hatten die Republikaner auf eben dieses Thema gehämmert: Anstand und Ehre, ausgerechnet unter einem republikanischen Präsidenten, dessen wilde Jahre als "Jugendsünden" (unter vierzig) zu den Akten gelegt werden. Und lang ist Clintons Schatten über der Republikanischen Partei. Bush verdankt es dem Hass der Rechtschristen auf Clinton, dass ihm kein Aufstand von dieser Seite drohte.
Im Grunde genommen ist Bush nämlich nicht der Wunschkandidat der Rechten. Aber er gilt als gutbetuchter Kandidat mit realen Erfolgsaussichten. Nach acht Jahren auf dem Abstellgleis ist eine Stimme gegen Gore vielleicht die letzte Chance, Clinton eins auszuwischen. Selbst der ultrakonservative Fernsehprediger Jerry Falwell hatte seinen Leuten beim republikanischen Parteitag eingeschärft, den Mund zu halten, um die stimmenheischende Botschaft vom "großen republikanischen Zelt" nicht zu stören.
Clinton bleibt eine komplexe Figur; und eine wirklich befriedigende Erklärung für seine Eskapaden und den Hass der Rechten auf ihn wird es wohl nicht geben. Unverständlich sei auch, warum so viele Unternehmen den Republikanern größere Schecks schicken als den Demokraten, kommentierte vor kurzem Clintons früherer Arbeitsminister Robert Reich. Schließlich habe sich kein anderer Präsident so stark und so effektiv für die Interessen der Unternehmer eingesetzt - von der Forcierung des Außenhandels, über die Abschaffung "hinderlicher" Vorschriften bis hin zu kapitalfreundlichem Umweltvorschriften. Die Kapitäne der Wirtschaft, so Reich, sollten sich von gegenteiliger republikanischer Rhetorik nicht in die Irre führen lassen. Und: Auf Gore könnten sich die Geschäftswelt noch besser verlassen; sicherer jedenfalls als auf den unerprobten George W. Bush.
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