Kennedy Als der Demokrat 1960 zum Präsidenten gewählt wird, dient das dem Image der USA. Ein relativ junger Mann, der Football spielt und Künstler trifft. Es schien ein Neuanfang
Die jüngste Geschichte ist die einer riesigen Verschwörung, der Menschheit eine Art mechanisches Bewusstsein aufzuzwingen und alle Manifestationen des individuellen Teils des menschlichen Bewusstseins auszumerzen... Gleichzeitig hat sich ein Sprung aufgetan im amerikanischen Massenbewusstsein. Amerika erlebt gerade einen Nervenzusammenbruch.“ Schrieb der New Yorker Beat-Dichter Allen Ginsberg 1959.
Wie auch immer man diesen Text interpretiert: Durch den „Sprung“ im Massenbewusstsein drang neues Lichts. Am 8. November 1960 wurde der 43-jährige John F. Kennedy zum 35. und bisher jüngsten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Der Demokrat war der erste katholische Staatschef im protestantisch geprägten Amerika; er setzte sich in Szene
h in Szene als Vertreter einer „neuen Generation“. „Die Flamme ist an eine neue Generation weiter gegangen“, sagte er bei der Amtseinführung. Der scheidende Vorgänger Dwight Eisenhower war damals 70 Jahre alt.Erinnerung verschöntWas JFK wirklich bedeutet hat für die Nation und eine im Kalten Krieg festgefahrene Welt – und vor allem, was er getan hätte, wäre er am 22. November 1963 nicht ermordet worden, das bleibt umstritten. Erinnerung verschönt, und so leben Mythos und Mythen. Bei späteren Umfragen wollten die meisten Amerikaner JFK selbst gewählt haben. In Wirklichkeit erhielt der Senator John F. Kennedy, Sohn des Unternehmers Joseph Kennedy mit einem geschätzten Vermögen von mehreren 100 Millionen Dollar (Banking, Film- und Getränkeindustrie, Immobilien), und Ehemann der „hübschen“ – wie es im Fernsehen unweigerlich hieß – Jacqueline Bouvier Kennedy, am Wahltag nur etwa 113.000 Stimmen oder 0,2 Prozent mehr als sein Rivale Richard Nixon. Die Auszählung zog sich an jenem 8. November bis in die Morgenstunden hin, und noch heute wird gestritten, ob beim 9.000-Stimmen-Vorsprung im Bundesstaat Illinois wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen ist.„Ich hatte noch nie einen Präsidenten, der mich so begeistert hat, wie mein Vater damals die Menschen zu begeistern verstand“, schrieb Kennedys Tochter Caroline Anfang 2008, als die Vorwahlen in der Demokratischen Partei auf Hochtouren liefen und Barack Obama gegen Hillary Clinton antrat. Manchmal in der Geschichte tauche jemand auf, der „eine besondere Fähigkeit hat, uns Vertrauen zu uns selbst einzuflößen, und diesen Glauben an unsere höchsten Ideale zu binden“. Barack Obama, geboren im Jahr von Kennedys Amtsantritt, sei solch ein Mann. Die USA würden 2008 genauso wie 1960 „Wandel in der Führung der Nation“ brauchen. Für Hillary Clinton war die Schützenhilfe des Kennedy-Clans für Obama fast der politische Ko-Schlag.Kennedy passte 1960 zum Image, das die USA der Welt zeigen wollte. Ein relativ junger Mann, der Football spielte und Künstler ins Weiße Haus einlud. Das sah nach Neuanfang aus, besonders im Kontrast zu den steifen Herrenriegen im kommunistischen Osteuropa. Westeuropa hatte 15 Jahre nach Ende des Krieges noch mit dessen Erbe zu tun. Die Kolonialreiche zerfielen, und JFK erinnerte die Befreiungsbewegungen Afrikas daran, auch die USA seien durch einen Aufstand gegen eine Kolonialmacht entstanden.Kennedy war zugleich der erste „Medienpräsident“, Filmkameras folgten ihm auf Schritt und Tritt im Wahlkampf, als Nixon noch nicht kapiert hatte, dass Kampagnen auf die Kameras zugeschnitten werden müssen. Schon Vater Joseph hatte P.R. verstanden. Die Kennedy-Familie mit ihren neun Kindern bevölkerte bereits die Kinowochenschauen Ende der dreißiger Jahre, als Joseph Kennedy US-Botschafter in London war.Bei aller Euphorie des Aufbruchs wollte die letzte Rede von Präsident Eisenhower nicht recht zum Kennedy-Jubel passen. Der Ex-General warnte vor der zunehmenden Macht des militärisch-industriellen Komplexes, dessen „wirtschaftlicher, politischer und sogar spiritueller Einfluss“ überall in den USA zu spüren sei. Die Gesellschaft müsse auf der Hut sein; es bestehe die Möglichkeit eines „katastrophalen Machtmissbrauchs“. Demokratische Politiker hatten im Wahlkampf (Vergleiche zu George W. Bushs Angstmache vor Terrorismus drängen sich auf) ohne Rücksicht auf Fakten Alarm geschlagen, dass die Sowjetunion die USA mit ihrem überlegenen Atomraketenarsenal bedrohe. Es bestehe ein Missile Gap. Kennedy sprach von einem atomaren Vorteil der UdSSR, und seine Wahlplattform warf Eisenhowers und Nixons Republikanern vor, sie seien bei Fragen der nationalen Verteidigung schwach auf der Brust. Kennedys Verteidigungsminister Robert McNamara räumte schon 1962 ein, solch ein Missile Gap habe nie existiert. Aber aufgerüstet wurde wie noch nie zu Friedenszeiten. Berater Theodore Sorensen, einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen, hat in seinen Erinnerungen Kennedys Denken so erläutert: Das Konzept der nuklearen Abschreckung habe „nicht nur überlegene Atomstreitkräfte erfordert“, sondern ein „Maß der Überlegenheit, das – sollte es bekannt gemacht werden, und die Kennedy-Regierung unternahm größte Schritte, es bekannt zu machen – unsere Verbündeten und Gegner überzeugen würde.“ Doch Kennedy war auch Realist: „Wir müssen die Tatsache annehmen, dass die Vereinigten Staaten weder allmächtig noch allwissend sind“, sagte er im November 1961, „und dass wir nur sechs Prozent der Weltbevölkerung ausmachen und den anderen 94 Prozent nicht unseren Willen aufzwingen können.“Im April 1961 gab Kennedy sein Einverständnis zum desaströsen Versuch von Exil-Kubanern, mit Hilfe der CIA Fidel Castro zu stürzen. Der Präsident beschwerte sich hinterher, seine Generäle und Geheimdienstler hätten ihn schlecht beraten. Im August 1961 wurde in Berlin die Mauer hochgezogen. Kennedy blieb auch hier Realist. Eine Mauer sei besser als ein Krieg. Nachdem er die Sperranlagen von der „verteidigten Insel der Freiheit“ aus besichtigte hatte, rief der Präsident im Juni 1963 vor dem Schöneberger Rathaus: „Ich bin ein Berliner!“, und fügte hinzu, das sei „der stolzeste Satz, den jemand in der freien Welt sagen kann“. Der Kalte Krieg sei zu jener Zeit oft heiß gewesen, sagte Verteidigungsminister McNamara später in manchem Interview. Nur durch „Glück“ („It was luck“) habe bei der Krise wegen der auf Kuba stationierten sowjetischen Kernwaffen im Oktober 1962 ein Atomkrieg verhindert werden können. Und dann sei da noch Vietnam gewesen.Exit-Strategie für VietnamIm April 1961 entsandte Kennedy die ersten 400 Militärberater. Zwei Jahre danach waren es schon 16.000. Noch heute streiten Historiker, ob Kennedy den Krieg weiter forciert hätte, wie sein Nachfolger Lyndon B. Johnson es tat. Hinweise mehren sich, dass Kennedy nicht eskalieren wollte. Vielmehr habe er McNamara 1962 Anweisung gegeben, eine Exit-Strategie für einen Rückzug bis zum Jahr 1965 zu entwickeln, erklärt der Historiker Robert Dallek. Aber die Generäle machten Druck, sie wollten Kampftruppen in Südvietnam. Und bekamen diesen Wunsch erfüllt nach dem Mord an Kennedy. McNamara kurz vor seinem Tod 2009: Der Vietnamkrieg war ein Fehler. Vietnam, das sei ein innerer Konflikt, ein Bürgerkrieg, gewesen, und Streitkräfte von außen könnten nie einen Bürgerkrieg gewinnen.Allen Ginsbergs Welt, seine Träume und Halluzinationen, dürfte John F. Kennedy wohl nie verstanden haben. Die sozialen Bewegungen, die Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre ihren Anfang nahmen, gingen in ihren Hoffnungen weit über das hinaus, was Kennedys „Neuanfang“ versprach. 1968 wuchs nochmal die Hoffnung bei vielen aus diesen Bewegungen. JFKs Bruder Robert kandidierte für das Präsidentenamt. Deutlich radikaler, gegen den Vietnamkrieg, für Bürgerrechte, für Arbeiterrechte, doch wurde der Bewerber im Juni 1968 bei einer Wahlveranstaltung in Los Angeles ermordet. Fünf Monate später wählten die Amerikaner Richard Nixon zum Präsidenten.
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