Realitäts-Check am Stützpunkt

USA Zehntausende US-Amerikaner demonstrierten "präventiv" für Frieden, doch sie bleiben eine Minderheit, wenn auch mit steigender Tendenz

Kann man ewig streiten, wie viele es nun waren bei den Anti-Kriegskundgebungen am Wochenende in der klirrenden Kälte in Washington und unter der strahlenden Sonne San Franciscos? Viele auf jeden Fall, Zehntausende, und genug, um den Kriegsgegnern den Rücken zu stärken. Ganz Amerika sei nicht für diesen angekündigten Krieg. Man erlebe "die größte vorbeugende Friedensbewegung in der Geschichte der Vereinigten Staaten", sagte ein Kundgebungssprecher in der Hauptstadt. Die traditionelle Skepsis der Amerikaner gegen "die Regierung", lange verschüttet unter den Trümmern der Terroranschläge des 11. September 2001, meldet sich anscheinend zurück.

In Washington zogen die Massen vom Capitol zu einem Marinestützpunkt im Südosten der Stadt, um dort als "Volks-Inspektoren" symbolisch nach Massenvernichtungswaffen zu suchen. Medientypische "junge Radikale" in zerschlissenen Jeansjacken neben Familien in teuren Wintermänteln, viele Ältere, die wohl schon zu Zeiten des Vietnam-Krieges auf die Straße gegangen waren, Schwarze und Weiße. Plakate von Gewerkschaften gegen den Krieg, Plakate mit Bibelzitaten. Nicht die Soldaten seien Feind der Kriegsgegner, betonte der Redner vor der Kaserne, man wolle den Soldaten das Leben retten. An einem Büro der Republikanischen Partei hingen Plakate: "Hippies, go home!" Und die Demonstranten riefen zurück: "We are home" - wir sind hier zu Hause.

Das Hochgefühl über außerordentlich erfolgreiche Kundgebungen verleitet zu überoptimistischen Analysen. Im Vietnamkrieg habe es Jahre gedauert bis zu Massenkundgebungen, da seien die gegenwärtigen Riesenveranstaltungen doch ein riesiger Fortschritt, heißt es. Stimmt, aber der Vietnamkrieg dauerte eben auch Jahre. So viel Zeit zum Mobilisieren ist diesmal nicht. Der Irak-Krieg, fängt er einmal an, wäre angesichts der enormen Militärübermacht der USA höchstwahrscheinlich schnell zu Ende. Wie schwierig danach die Besetzung des Landes sein könnte, ist eine andere Frage. Deshalb der Realitäts-Check: Die Kriegsgegner in den USA sind nach wie vor eine Minderheit, wenn auch mit steigender Tendenz. Und noch immer haben die Friedensleute kaum Ansprechpartner im offiziellen Washington. Die Führung der Demokratischen Partei hält den Mund. Obwohl kürzliche Meinungsumfragen zeigen, dass es Freiraum gibt für Oppositionspolitik. Das Magazin Newsweek veröffentlichte gerade: 60 Prozent meinten, Bush solle sich mehr Zeit nehmen für nicht-militärische Lösungen. 81 Prozent erklärten, sie würden einen Krieg mit voller Unterstützung des UN-Sicherheitsrates für gut heißen. Nur 39 Prozent aber befürworteten einen Angriff der USA allein oder mit nur einigen wenigen Verbündeten. Bushs Beliebtheit sinke - berichtet eine Gallup-Umfrage - von einem Hoch von 90 Prozent nach dem 11. September auf derzeit 58 Prozent.

Bemerkenswert auch Verteidigungsminister Rumsfelds Fernsehinterview am Wochenende der Friedenskundgebungen, die USA wären möglicherweise zufrieden, ginge Saddam mit einer Zusage der Straffreiheit ins Exil. Und ebenfalls bemerkenswert die Zurückhaltung der Regierung angesichts der im Irak aufgefundenen, nicht deklarierten Gefechtsköpfe. Aber die Mobilisierung der Streitkräfte für den Irak hält an. Gegenwärtig hätten 119.000 Soldaten, Matrosen und Marineinfanteristen Marschbefehle erhalten oder seien unterwegs in den Nahen Osten, rechnete das unabhängige Militärforschungsinstitut globalsecurity.com Mitte Januar nach - wegen der restriktiven Informationspolitik des Pentagons wisse man allerdings vieles nicht.

General Joseph Hoar befehligte von August 1991 bis 1994 das für den Nahen Osten zuständige US Central Command. Heute sieht er den angekündigten Krieg eher skeptisch. Aber der Krieg werde kommen, prophezeit er. Denn wenn militärische Vorbereitungen einmal so weit gediehen seien, entwickle sich eine nicht mehr aufhaltbare Eigendynamik. Es werde noch ein paar Wochen dauern, noch seien nicht alle Rüstungsgüter und Streitkräfte vor Ort. Obwohl man Hoar die Fachkompetenz und Erfahrung sicher nicht absprechen kann: Die Achillesferse der Kriegspläne sind vielleicht die vielen Amerikaner, die nicht einsehen wollen, dass die USA in einer neuen unipolaren Welt präemptive und unbegrenzte Kriege führen sollen.

Es kommentierte gar die New York Times: "Mr.Bush und sein Kriegskabinett wären gut beraten, betrachteten sie die Demonstranten als deutliches Zeichen, dass eine gewichtige Zahl der Amerikaner sich nicht länger verpflichtet fühlt, wegen des Schocks vom 11. September die Kriegspläne der Regierung salutierend zu begrüßen".

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