Am 11. September muss General Petraeus als Oberkommandierender der US-Armee im Irak dem Kongress eine erste Bilanz der aufgestockten Truppenpräsenz vorlegen. Der durchschlagende Erfolg ist ausgeblieben, die Sicherheitslage bleibt desolat. Inzwischen wird immer offensichtlicher, dass die Regierung von Premier al-Maliki in den Augen der Amerikaner versagt. Auf dem Nordamerika-Gipfel in Kanada gebrauchte Präsident Bush am 22. August die ominöse Formulierung: "Das irakische Volk wird seine Regierung ersetzen, wenn die untätig bleibt."
Die amerikanische Debatte um den Irak-Krieg bewegt sich zusehends in einem Reich des Bizarren. Der Präsident zitiert den Vietnam-Krieg, um die fortgesetzte US-Besatzung zu rechtfertigen, und betont, dass Amerikaner sich fragten, ob die Iraker "dankbar genug" seien für die Hilfe der Vereinigten Staaten. Eine Gruppe rechter Aktivisten, angeführt von Bushs früherem Pressesprecher Ari Fleischer (2001 - 2003), der seinerzeit vor Massenvernichtungswaffen im Irak warnte und die Öffentlichkeit über - wegen der US-Intervention - "vor Freude tanzende Iraker" informierte, finanziert nun eine 15 Millionen Dollar teure Fernsehwerbekampagne, dass man jetzt nicht "aufgeben" dürfe im Krieg gegen den "globalen Terrorismus".
Die USA sind gelähmt. Am symbolischen 11. September soll David Petraeus, der kommandierende US-General in Bagdad, seinen Lagebericht präsentieren, ob die Aufstockung der US-Streitkräfte auf 160.000 Mann Positives gebracht hat. Kritiker sollten doch bitteschön den "Petraeus-Bericht" abwarten, bevor sie Forderungen stellen, heißt es im Weißen Haus seit Monaten. Auch demokratische Politiker sprechen mit Respekt über den General. Dabei weiß man auch ohne Zugang zum inneren Kreis der Entscheidungsträger, was in dem Report stehen wird: Man habe militärische Fortschritte gemacht, wird formuliert sein, vorrangig in Bagdad. Die politischen Reformen ließen allerdings zu wünschen übrig. Schlussfolgerung: Man brauche mehr Zeit.
"Mehr Zeit" und "die kommenden Monate sind entscheidend" hört man freilich seit Jahren. Eine gewisse Lethargie hat sich eingestellt in Washington: Die Kontrahenten haben ihre Rhetorik schon oft rezitiert. Weitermachen, verkündet das Weiße Haus. Das hat einen Vorteil in seiner Klarheit verglichen mit den Sprüchen vieler Demokraten, die einen baldigen Abzug verlangen, aber gleichzeitig Streitkräfte stationieren wollen, um die Terroristen zu bekämpfen und um das Öl zu sichern. Die demokratische Präsidentschaftsanwärterin Hillary Clinton setzte kürzlich noch einen drauf, um sich für die Mitgliedschaft im Club der Verwalter des Imperiums zu qualifizieren: Die US-Regierung dürfe den Einsatz von Atomwaffen gegen "Terroristen" nicht von vorn herein ausschließen.
Washington ist konzeptlos und schießt sich ein auf den irakischen Premier Nuri al-Malaki. Demokratische Politiker, auch Hillary Clinton, haben ihn zum Rücktritt aufgefordert. Er sei nicht der richtige Mann, um die Nation zu vereinen. US-Botschafter Crocker schulmeistert in Bagdad, die USA erwarteten "Ergebnisse". Bush schwankt. Er sei "frustriert" über al-Maliki, sagte er einmal, und ein anderes Mal, al-Maliki sei ein "guter Typ", der einen "schweren Job" habe. Derweilen spielt al-Malikis potentieller Nachfolger Iyad Allawi in Washington das politische Spiel. Der interimistische Premierminister vor den irakischen Parlamentswahlen von 2005 (bei denen er schlecht abschnitt), der angeblich über beste Kontakte verfügt zu US-Geheimdiensten, hat nach eigenen Angaben in Washington eine PR-Firma angeheuert.
Wie verfahren die Irak-Politik ist, selbst nach Ansicht der Militärs und Geheimdienste, illustrierte der vergangene Woche vorgestellte gemeinsame Bericht ("Perspektiven für die Stabilität des Irak") von 16 US-Geheimdiensten: Trotz einiger Fortschritte im Sicherheitsbereich rechne man damit, dass die "aufständische und sektiererische Gewalt hoch bleiben wird", auch wenn "robuste Counterinsurgency-Operationen" anhalten, besagt das Papier. Bush freilich interpretiert das als Nachweis für den Erfolg seiner Strategie. Im Militär wächst aber die Besorgnis, dass die Streitkräfte am Ende ihrer Kraft angelangt sind: General Peter Pace, der Vorsitzende der Vereinten Stabschef, wird Ende August in der Los Angeles Times damit zitiert, dass er 2008 mit einer Reduzierung des Irak-Korps auf 100.000 Soldaten rechne. Und die US-Army verspricht jungen Männern und Frauen seit kurzem 20.000 Dollar, wenn sie innerhalb einiger weniger Tage die Uniform anziehen.
Die Irak-Debatte in Washington ist weit entfernt von der Realität der Menschen im Irak. Mehr als eine Million Iraker sind geflohen. Nach Angaben der Agentur Associated Press (AP) sind allein im Jahr 2007 bisher 14.800 Menschen kriegsbedingt oder durch Gewalttaten ums Leben gekommen, etwa 1.000 mehr als im gesamten Jahr 2006. Diese Angaben seien "konservativ", schreibt AP. Die wirklichen Todeszahlen seien wohl höher. Die Familie Bush hat derweil die Verlobung der Tochter Jenna bekannt gemacht. Hochzeit im Weißen Haus? Wie damals 1971 bei Trisha Nixon? Aber wie opulent darf man feiern, wenn die amerikanischen Boys und Girls noch immer im Irak verbluten? 3.725 sind bereits gefallen.
Ebenso weit von der Realität entfernt war George Bushs Irak-Vietnam-Vergleich. Von Vietnam müsse man lernen, sagte er in einer Ansprache vor den Veterans of Foreign Wars, dass "Millionen unschuldige Bürger den Preis für Amerikas Abzug" gezahlt hätten, die Opfer geworden seien der "Umerziehungslager" und der "killing fields" in Kambodscha. Die Realität: Die USA zogen ihre Hauptstreitkräfte Mitte 1973 - nach dem Pariser Vietnam-Abkommen - aus Indochina ab. Die Roten Khmer unter Pol Pot eroberten im April 1975 die Macht in Phnom Penh; schätzungsweise zwei Millionen Menschen kamen unter ihrer Schreckensherrschaft ums Leben. Vietnamesische Streitkräfte besiegten 1978/79 die Roten Khmer, die dann noch jahrelang einen Guerilla-Krieg führten - und dabei politische Rückendeckung erhielten vor allem von den Vereinigten Staaten.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.