Es wäre fast tröstend, könnte man nur die Betonköpfe der Tea Party verantwortlich machen für den Beinahe-Staatsbankrott und den Kompromiss der Republikaner mit Präsident Obama, um die Zahlungsunfähigkeit der Vereinigten Staaten abzuwenden. Die Misere steckt viel tiefer. Der Weg der USA, kommentiert Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, führt hin zum „Status einer Bananenrepublik“. In einer solchen entscheiden die Plantagenbesitzer ohne Rücksicht auf die Bananenpflücker. Die Qualität ihrer Schulen und Unterkünfte ist nicht von Bedeutung. Moderne Besitzer kaufen sich Politiker, die Plantagen einen demokratischen Anstrich verleihen.
Es gibt eindeutige Gewinner der Übereinkunft. Die Bankkonten der Superreichen, überhaupt Banken- und Hedgefonds, bleiben unangetastet. Washington verzichtet auf eine Steuerreform. Auch viele Großkonzerne zahlen trotz hoher Gewinne weiter nichts oder fast nichts. Darunter, wie US-Senator Bernie Sanders für 2009 nachrechnete, ExxonMobil, die Bank of America und die Citigroup. Andererseits verbietet der Deal Programme zum Ankurbeln der schwachen Wirtschaft, ganz gleich, ob 14 Prozent der Amerikaner auf Lebensmittelmarken angewiesen sind, ob die allgemeine Arbeitslosenrate neun und die Jugendarbeitslosigkeit 20 Prozent erreicht. In der ersten Sparrunde werden rund 917 Milliarden Dollar gestrichen, verteilt über zehn Jahre. 1,2 bis 1,5 Billionen in einer zweiten Runde, über die der Kongress einen Tag vor dem Heiligen Abend abstimmen soll. Auch der Militäretat soll gekürzt werden.
Im Büro von Paul Begala, seinerzeit Berater des demokratischen Präsidenten Clinton, liegt der in Leder gebundene US-Haushaltsentwurf für 1999. Ein Geschenk von Clinton, schrieb Begala am Wochenende: der erste ausgeglichene Haushaltsentwurf in Jahrzehnten. So viel Überschuss wurde damals prognostiziert, dass man erwartete, bis 2009 die Staatsschulden zu tilgen. Es kam anders. Im Rückblick sind die Hauptgründe klar: Steuernachlässe für die Reichen, zwei mit Kreditkarte finanzierte Kriege, eine kostspielige Reform der Krankenversicherung für Senioren (unter George W. Bush!) und eine Deregulierung der Wall Street, wodurch die Wirtschaft zum Kasino gemacht und eine große Rezession ausgelöst wurde. Geschehen vorrangig in den Jahren republikanischer Kontrolle.
Die Plantagenbesitzer haben dafür gesorgt, dass jetzt Sparmaßnahmen im Vordergrund stehen, die mit den Ursachen des Defizits nicht viel zu tun haben. Joseph Stiglitz, ebenfalls Wirtschaftsnobelpreisträger, analysierte jüngst bei Vanity Fair die US-Wirtschaftszustände. Das reichste ein Prozent der US-Einwohner kassiere rund ein Viertel des Gesamteinkommens. Vor 25 Jahren seien es zwölf Prozent gewesen. Das Top-Prozent besitzt 40 Prozent des Gesamtvermögens. Vor 25 Jahren seien es 33 Prozent gewesen. Viele Länder der Dritten Welt hätten den Einkommensunterschied zwischen Arm und Reich reduziert. In den USA sei er gewachsen. Stiglitz meint, je ungleicher der Wohlstand verteilt sei, desto mehr zögerten die Top-Verdiener, Geld für das gesellschaftliche Wohlergehen auszugeben, sprich: Steuern zu zahlen. Die Reichen machen sich Sorgen um eine starke Regierung, denn die könnte ja den Wohlstand umverteilen. Eine nicht besonders entschlussfähige Exekutive wie die Obamas untermauere hingegen die These, Regierungen können keine Probleme lösen.
Um so mehr überschwemmen die Wohlhabenden die Politik mit Spenden. Nicht nur die Republikaner kassieren ab, auch Meister-Spendeneintreiber Obama und dessen Parteifreunde. Die Geber investieren klug. Viele Demokraten vertreten heute ehemals republikanische Wirtschaftskonzepte, und die Republikaner sind unterwegs zum „neuen politischen Hyperraum, wo normale Mathematik und Wirtschaftslehren nicht mehr gelten“, sagt der Politikwissenschaftler Thomas Ferguson.
Auch wenn man nicht zu persönlich werden will: Die meisten Senatoren und Abgeordneten gehören zum reichsten ein Prozent, rechnet Stiglitz vor: „Sie werden an der Macht gehalten vom Geld des einen Prozents, und sie wissen, dass sie nach ihrem Rücktritt belohnt werden, sollten sie den Interessen des einen Prozents gedient haben.“ Es gilt das Prinzip der Drehtür, durch die Politiker hin und her wandeln zwischen öffentlichen und privatem Leben. Das ist keine Verschwörung; man nimmt nur seine Interessen wahr.
Jenseits der Ringautobahn um die Hauptstadt hat „Washington“ keinen guten Ruf mehr. „Der Amerikaner“ riecht die vornehme Korruption der Elite. Das hat die Tea Party kapiert. Aktivisten mischen das Opfergefühl mit Regierungs- und Intellektuellenfeindlichkeit, mit Glauben an die Einzigartigkeit Amerikas und mit Skepsis gegenüber dem „Alien“ Barack Obama – und schon hat man eine Bewegung, die dem besagten einen Prozent bestens passt.
Das progressive Amerika erscheint wie gelähmt. Dass nach Umfragen an die drei Viertel der Amerikaner die Steuern der Reichsten erhöhen möchten, blieb in den Verhandlungen ohne Effekt. Da kann man nur noch hoffen, dass intelligente Plantagenbesitzer irgendwann einsehen, dass ihr System keine Zukunft hat, weil die Nation zerfällt und nicht mithalten kann mit der Konkurrenz weltweit.
Konrad Ege ist USA-Korrespondent des Freitag
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