In der landläufigen Vorstellung von einem Faschisten ist kein Platz für Umweltbewusstsein. Was soll das für ein Faschist sein, der nichtweiße Menschen verachtet, aber gleichzeitig die Artenvielfalt der Tier- und Pflanzenwelt bewahren will? Als der Attentäter von Christchurch in seinem 87-seitigen Manifest geradezu marxistisch von der Arbeiterklasse und den Produktionsmitteln schwadronierte, und schrieb, er begreife sich als „Ökofaschist“, erzeugte das eine erhebliche Menge kognitiver Dissonanz bei den Kommentatoren. So könne nur ein Wahnsinniger schreiben. Dabei ist es völlig irrelevant, ob ein pathologischer Wahn vorliegt oder nicht, wenn es gesellschaftliche Zustände sind, die diesen Wahn produzieren. Die Anschlagsserie der vergangenen Woche deutet darauf hin, dass – Wahn oder nicht – ein neuer, mörderischer Faschismus existiert, der die Gefahren des Klimawandels gerade nicht bestreitet, sondern zur Legitimation seines Handelns heranzieht.
Der Mörder in El Paso, der 20 Menschen erschoss, bezog sich direkt auf das Pamphlet des Christchurch-Täters, und verkündete nebst Rassismus:
„Der amerikanische Lebensstil ermöglicht unseren Bürgern einen unglaublichen Lebensstandard. Aber unser Lebensstil zerstört die Umwelt unseres Landes. Die Dezimierung der Umwelt schafft eine große Bürde für zukünftige Generationen. Unternehmen führen die Zerstörung der Umwelt an, indem sie schamlos die Ressourcen überbeanspruchen. [...] Wir benutzen sogar Gott weiß wie viele Bäume in Form von Papierhandtüchern, nur um Wasser von unseren Händen zu wischen. Alles, was ich in meinem kurzen Leben gesehen und gehört habe, führt mich zu dem Glauben, dass der Durchschnittsamerikaner nicht willens ist, seinen Lebensstil zu ändern, selbst wenn die Änderung nur eine kleine Unbequemlichkeit zur Folge hätte.“
Angesichts der furchtbaren Morde sparen wir uns Zynismus. Trotzdem möge die Feststellung erlaubt sein: Ohne Kontextualisierung könnte hier ein Klimaaktivist gesprochen haben, und kein rechtsextremer Rassentheoretiker. Der Unterschied offenbart sich wenige Zeilen später:
„Ich will nur sagen, dass ich die Menschen dieses Landes liebe, aber, verdammt nochmal, ihr seid einfach zu stur, euren Lebensstil zu ändern. Also ist der nächste logische Schritt, die Anzahl der Menschen in Amerika zu reduzieren, die Ressourcen verbrauchen. Wenn wir genug Menschen loswerden, kann unser Leben nachhaltiger werden.“
Wenige Medien führten diese Passagen aus, weil sie auf den ersten Blick nicht maßgeblich erschienen, wenn der Täter ebenso festhielt, sein Angriff sei in erster Linie eine Reaktion auf Migration. Seine Ausführungen zu den ökologischen „Gründen“ für die Tat füllen im Pamphlet aber über eine Seite. Sie zu verschweigen, vernachlässigt ein Kernmotiv seiner Tat.
Muss man sich mit diesem Wahn überhaupt beschäftigen? Es ist gewiss erleichternd, die obigen Denkschritte als Irrsinn beiseitezuschieben. Es ist aber auch gefährlich, weil es die logische Durchschlagskraft unterschätzt. Die Gefahr ist, dass der Wahn kein individueller, sondern ein kollektiver ist, dass er längst in vielen Menschen brodelt und damit eine tödliche Gefahr darstellt.
Eine andere Realität ist nicht vorstellbar
Die Idee, die den Attentäter treibt, kennen Ökonomen seit weit über 200 Jahren als Malthusianische Katastrophe: Die Ressourcen wachsen nicht so schnell wie die Bevölkerung. Seine panische Angst vor dem Klimawandel und seine Machtlosigkeit gegenüber dem Konsumkapitalismus führt er zu einem Schluss: Wenn sich die Menschen nicht ändern können, müssen sie weg. Wie bei allen Faschisten beantworten Rassismus und Antisemitismus nur noch die Frage, welche Menschen es (zuerst) treffen soll. Im Falle des Täters von El Paso ist der Rassismus nicht das Fundament, sondern die wahnsinnige Vervollständigung.
Als Klimaschutz noch Naturschutz hieß, konnten sich viele erinnern, dass auch die Nazis ihren „Lebensraum“ auf ganz ähnliche Art bewahren wollten, dass sie kapitalistischen Konflikten auch mörderisch begegneten. Zu glauben, Klimaschutz sei automatisch progressiv, und ginge daher nicht mit Faschismus zusammen, ist naiv. Abstrakt ist er seit Jahrhunderten nahtlos anschlussfähig für alle Formen der Menschenverachtung. Real wird er in Synthese mit einer gefühlten Ausweglosigkeit, die zur (selbst-)zerstörerischen Tat treibt. Einen Systemwandel konnte sich der Täter nicht vorstellen, also nahm er die unvermeidliche Katastrophe vorweg.
Noch verarbeiten viele Medien die Anschlagsserie mit den üblichen Abwehrmechanismen: Die Washington Post schrieb: „Über dem El Paso-Massaker braut sich die Trump'sche Anti-Migrations-Rhetorik zusammen.“ Gewiss schläft es sich ruhiger, sobald der mächtige Verantwortliche für die furchtbaren Taten gefunden ist. Es gibt aber keinen Anlass zur Beruhigung. Der Schütze von El Paso war Waffenfanatiker und Trump-Anhänger, sein Gesinnungsgenosse aus Christchurch betrachtete den Präsidenten ambivalent, schätzte ihn als Symbol, nicht als Führungsfigur. Die Elemente des Ökologismus innerhalb der tödlichen Ideologie zu vernachlässigen, zu unterschlagen oder zu relativieren, ist dumm bis fahrlässig. Die Schützen haben die Gefahren des Klimawandels zum zentralen Gegenstand ihres morbiden, neurotischen Glaubens gemacht. Sie haben sie nicht falsch verstanden, sondern verinnerlicht.
So sehr man als Linker, als Klimaschützer, als Antifaschist dieses Faktum gern verdrängen würde, weil es schmerzlich an den eigenen Überzeugungen nagt, sollte es einen doch umso mehr beschäftigen. Nicht, um diese Überzeugungen über Bord zu werfen, sondern um sie in die Vernunft hinüberzuretten.
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