Soso, hier soll es also geschehen sein, das Weihnachtswunder, das zweitausend Jahre Christenheit mit all ihren schönen und schrecklichen Seiten nach sich gezogen hat: Bethlehem. Nur Gott allein weiß, wie der Name zu deuten ist – beit lekhem, Hebräisch für „Haus des Brotes“, oder doch bait lahm, „Haus des Fleisches“ auf Arabisch? Und wohl nur versierte Christinnen und Christen könnten auf der Karte mit dem Finger auf jenen kleinen Punkt südlich von Jerusalem deuten, an welchem der Heiland zwischen Stroh und Vieh und mit Rückendeckung von drei Sterndeutern geboren sein soll.
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Dieser Artikel ist der letzte Teil einer Reihe, die unser Autor in Israel schreibt. Hier geht es zum ersten Bericht, hier zum zweiten und hier zum dritten.
Bethlehem liegt im Westjordanland und gehört damit, aus israelischer Sicht, zu Israel, aber: Seit die israelische Regierung 1995 die Kontrolle der Region an die Palästinensischen Autonomiebehörde abgegeben hat, befindet sich die Kleinstadt de facto in einem anderen Land. Wer am Heiligen Abend Jerusalem Richtung Süden verlässt, um zu Fuß oder mit dem Auto (wegweisende Sterne optional, je nach Wetter) hierhin zu gelangen, passiert eine acht Meter hohe Mauer aus Beton. Dass die militärisch bewachten Checkpoints Ende Dezember mitunter sogar festlich geschmückt und beleuchtet sind, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass einer der heiligsten Orte des Christentums in einer Krisen- und Konfliktregion liegt.
Besonders am 24. Dezember, dem Tag, der in Bethlehem mit einer traditionellen Dudelsack-Prozession durch die Altstadt beginnt, wird das deutlich: Hunderte Polizisten schirmen die Stadt ab, stellen Sperren auf, werfen misstrauische Blicke in einfahrende Busse und PKW. Sie wirken dennoch vergleichsweise milde gestimmt. Wenn keiner einreisen würde, so wie vergangenes Jahr aufgrund der Corona-Pandemie, wäre das wohl für niemanden hier gut. Heiligabend in Betlehem ist für Ortsansässige eine gute Gelegenheit zum Geldverdienen.
Umkämpftes Heiligtum
Die an Weihnachten nach Bethlehem strömenden Besucherinnen und Besucher wollen vor allem eines sehen: die frisch restaurierte und eindrucksvoll strahlende Geburtskirche. Die Church of the Nativity wurde um die Geburtsgrotte erbaut, dem eigentlichen, vermuteten Geburtsort von Jesus. Unter dem Altar steht die lateinische Inschrift Hic de Virgine Maria Jesus Christus Natus Est‚ „Hier wurde Jesus Christus von der Jungfrau Maria geboren“. Ein kleines Loch im Boden markiert die mystische Stelle.
Die Grotte hat eine nicht nur biblisch bewegte Geschichte. Schon ab dem 2. Jahrhundert soll der Ort von Gläubigen verehrt worden sein. Kaiser Konstantin war im 4. Jahrhundert vermutlich der erste, der hier eine Kirche erbauen ließ. Dann geschah, was so ziemlich jeden Ort in der Region ereilt: Erdbeben und Eroberungen. Die Bauten um die Geburtsgrotte wurden mehrfach zerstört, unter der Herrschaft der Osmanen verfiel die Stätte. 1948 eroberte Jordanien die Stadt im arabisch-israelischen Krieg. Aus den umliegenden, wiederum von Israel eroberten Gebieten, flohen etliche Musliminnen und Muslime nach Bethlehem. Folglich verwandelte sich der einst multireligiöse Wallfahrtsort zu einem mehrheitlich islamisch geprägten.
Im Sechstagekrieg 1967 eroberte dann wieder Israel die Stadt, und zog im Zuge des Oslo-Friedensprozesses 1995 seine Truppen ab. Verschont blieben Heiligtümer wie die Geburtskirche aber auch dann nicht. 2002, Zweite Intifada: Palästinensische Kämpfer verschanzten sich in den Gemäuern in der Hoffnung, den Schüssen der Israelis entkommen zu können – vergeblich.
Zu den territorialen Auseinandersetzungen kommen die religiösen. Bis heute wird sich ab und zu in der Geburtskirche gestritten. In jüngster Zeit verliefen die Konflikte glücklicherweise eher harmlos: Im Dezember 2011 kam es während des weihnachtlichen Kirchenputzes zu einer Streiterei zwischen griechisch-orthodoxen und armenischen Priestern. Etwa einhundert von ihnen gingen in religiöser Tracht mit Besen aufeinander los, Aufnahmen der BBC zeigen die Szene. Die Mauern überdauerten auch dieses schräge Schauspiel. Die Church of the Nativity gilt heute als älteste ununterbrochen genutzte Kirche in Israel und zählt zu den wenigen noch erhaltenen frühchristlichen Kirchenbauten auf der Welt.
Ein bisschen Zusammenkunft
Bethlehem hat sich in den zurückliegenden zweitausend Jahren von einem Dorf zu einer palästinensischen Kleinstadt entwickelt. Heute leben hier etwa 23.000 Menschen, in fünf Jahren sollen es laut palästinensischer Statistikbehörde 25.000 sein. Aber Bethlehem kann sich räumlich kaum noch ausdehnen: Die umliegenden Siedlungsprojekte Israels setzen den Wohnmarkt unter Druck.
Weniger als die Hälfte der hier Wohnenden sind arabische Christinnen und Christen, der Rest kann zumindest aus religiös-kultureller Sicht mit Heiligabend wenig anfangen. Dieses Jahr gesellt sich dazu unerwarteter Besuch: Einige wenige christliche Gläubige unterschiedlicher Konfessionen aus Gaza sollen an den Feierlichkeiten teilnehmen. Die israelische Regierung erteilte 500 temporäre Ausreisegenehmigungen. Üblicherweise dürfen die Bewohner*innen von Gaza die militärische Sperrzone nicht verlassen
Selbst Israelis können eigentlich nicht nach Betlehem, wie in viele Gebiete, die von der Autonomiebehörde verwaltet werden. Einige Autos mit israelischen Kennzeichen deuten aber darauf hin, dass für den Heiligen Abend mehrere Genehmigungen erteilt worden sind. Zusammenkunft, zumindest ein bisschen.
Einige Einheimische schauen den ankommenden Reisegruppen aus Jerusalem, Tel Aviv und von anderswo im Land eher belustigt zu, andere versuchen unermüdlich, die Gäste von heimischen Speisen, Getränken und anderen Waren zu überzeugen. Noch am Mittag hatten Besucherinnen und Besucher der Geburtskirche die seltene Gelegenheit, in der heiligen Stätte fast ganz für sich allein meditieren zu können. Gegen Abend füllt sich dann doch nicht nur die Kirche, sondern auch der davorliegende Krippenplatz (Manger Square). An vielen kleinen Ständen werden Kaffee, Tee und warmer Mais mit Zucker oder Gewürzen in Pappbechern verkauft.
Für einige ist es ihr Jahresgeschäft. Die Einheimischen sind bei weitem nicht so kaufkräftig wie Besucherinnen und Besucher aus den USA, Deutschland oder den Philippinen. Ein Verkäufer beschwert sich bei mir, dass trotzdem wenig gekauft wird. Nur zwei Geschäfte hat er heute machen können. Der junge Mann spricht vor dem Familiengeschäft – handwerklich bestickte Tücher, Schals und Taschen sowie einige kunstvoll dekorierte hölzerne Schachspiele werden hier verkauft – gezielt Vorbeiziehende in perfektem Englisch an.
Sanfter Trubel
Traditionell spricht zur Mitternachtsmesse der lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, in der Geburtskirche. Glockenschlag um null Uhr: Während in der festlich geschmückten Stätte der stundenlange Gottesdienst abgehalten wird, schauen viele draußen via Public Viewing zu. Die 1.500 Tickets für die Predigt wurden restlos verkauft – draußen dealen die Besucher*innen untereinander mit den Karten, um dem ein oder anderen doch noch einen Blick in das funkelnde Gotteshaus zu ermöglichen. Die internationale Presse ist vor Ort.
Pizzaballa rief in seiner Predigt zu mehr Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern auf. Ihm schien nicht entgangen zu sein, dass es in den vergangenen Wochen zu überdurchschnittlich vielen Auseinandersetzungen in und um Jerusalem kam, oft mit tödlichem Ausgang für die eine oder die andere Seite. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas fehlte dieses Jahr. Er ließ sich von seinem Stellvertreter, dem palästinensischen Ministerpräsidenten Mohammed Schtajjeh vertreten, der kurz vor Beginn der Mitternachtsmesse mit einem bewaffneten Konvoi in die Stadt einfuhr.
Seit sich hier vor etwa 2.000 Jahren etwas zugetragen hat, über das sich viele nie einig werden konnten, ist Bethlehem einmal im Jahr ein multikulturelles Brennglas für alles Schöne und Schaurige, das der Nahe Osten zu bieten hat. Drinnen die andachtsvolle Predigt zwischen Orgeltönen, Weihrauch und Kerzen; draußen sanfter Trubel mit Dieselaggregaten, Polizeisirenen und Kalaschnikows. Auf der Rückfahrt frage ich einen amerikanischen Besucher, wie er den Abend empfunden hat: „Beautiful, but harsh", antwortet er, „schön, aber rau“. So soll’s gewesen sein.
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