und für Überraschungen wird laufend gesorgt

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

"S21 Das dümmste Großprojekt".

Kürzer und deutlicher als die "Süddeutsche" am 29.07.11 kann man es nicht formulieren.

Als gebürtiger Stuttgarter, der überwiegend aus der Ferne beobachten muß, was seiner Heimatstadt mit dem Skandal-Komplex S21 angetan wird, möchte ich vorweg "seriousguy" meine Anerkennung aussprechen, dessen Kommentare, die so treffend und stets passend temperiert die Szenerie beschreiben, ich sehr gerne lese.

Man sollte meinen, der einfachste und überzeugendste Weg, mit großer Mehrheit zu der besseren Lösung zu gelangen wäre der, so vorzugehen wie es alltäglich für wirtschaftliche Unternehmungen professionell praktiziert wird :

soweit irgend möglich objektivierte und messbare, positionsweise Gegenüberstellung der jeweiligen unterschiedlichen Merkmale von K21 / S21, unter allen für Projekte dieser Größenordnung üblicherweise betrachteten Aspekten (Technische Leistungs-Parameter, Sicherheit, Umwelt-beeinträchtigung, etc. jeweils mit den dazugehörigenKosten- und Risikoschätzungen). Gewiß würde der Großteil der Zeit für den absehbaren Streit der Parteien über die Festlegung allgemeingültiger und damit hoffentlich auch beidseits akzeptierbarer Kriterien verbraucht werden. Aber mit einem methodischen Ansatz, der dann auch von der mehr oder eher weniger interessierten Öffentlichkeit verstanden werden kann, wäre es eben gerade für diese distanzierten Beobachter möglich, Punkt für Punkt die Qualität der beiden Projekt-Varianten vergleichen zu können, hoffentlich auch mit dem Effekt, so den Fortgang der Diskussion und (vor allem !) den Informationsgehalt zu den einzelnen Hauptaspekten leichter verfolgen, gar verstehen zu können, am Ende gar selbst inhaltliches Interesse, im besten Falle auch noch Neugierde über die Hintergründe zu entwickeln … So stellt sich der Berufs-Alltags-Laie eigentlich auch einen Fakten-Check vor.

Gerade aus der räumlichen Distanz erlebe ich die Reaktionen meiner Umwelt auf das S21-Drama, "da unten in Stuttgart". Daß sich kaum jemand für die lokale Situation interessiert (z.B. die Auswirkungen auf Schlossgarten, Architektur, Gesamtbild der Stadt, jahrelange Beeinträchtigungen durch die Baustellen, Fahrplangestaltung bzw. -beschneidung etc.) kann ich nachvollziehen. Aber neben diesen gewaltigen Auswirkungen vor Ort stellt doch dieses vielschichtige Gemeinschaftskunde-Projekt S21 ein Muster-Lehrstück dar über die herrschenden Zustände in unserem Land. Das müsste (tja …) doch jeden halbwegs wachen Zeitgenossen zum Nachdenken geradezu anstacheln. Und hier sind mir erst richtig die Augen aufgegangen : es ist ja tatsächlich so schlimm, wie ich schon lange befürchtet hatte aber doch nicht glauben wollte ! Die wenigsten sind wach.

Es interessiert nicht. Über den gelegentlichen small-talk-Austausch von vorgestanzten und vorhersehbaren Standard-Äußerungen hinaus (wenn S21 gerade mal wieder frische Schlagzeilen lieferte) kommt da nichts. Der Versuch, wenigstens ansatzweise die tiefergehende Bedeutung und das riesige Potential dieses Konflikts rüberzubringen scheitert meist, weil vom RTL-verwöhnten Publikum jedes Thema, zu dem mehr als fünf Sätze benötigt werden, als lästige Zumutung empfunden wird. "Stresstest bestanden !"Na also. Was denn noch ?! Tenor : "Da müssten ja die Politiker alle blöd sein, so ein Projekt zu genehmigen, wenn das stimmen würde was die Gegner da alles behaupten !"- Mach meine heile Welt nicht kaputt. Zipfelmütze über die Ohren gezogen, der deutsche Michel will weiter duseln.


Es war mir persönlich auch noch nicht möglich, mit einem überzeugten S21-Befürworter in eine Sach-Diskussion einzutreten. Das versuchte ich ganz bewusst, zunächst in der Erwartung, selbst auch neue Erkenntnisse oder Denkanstöße zu erhalten, vielleicht selbst zu einer neuen Sicht der Dinge zu gelangen. Alles was ich zu hören bekomme sind die nachgebeteten Propaganda-Phrasen aus den S21-Werbebotschaften. Leider. Ich hätte gerne dazu gelernt. Inhaltlich. Klar, politisch habe ich immens viel dazugelernt. Und noch lange nicht alles verdaut.


Ein systematischer Fakten-Check und Modell –Vergleich in einer über die Zeitreihe gleichbleibenden Struktur würde den weniger intensiven Beobachtern die Möglichkeit bieten, sich konkrete Themen genauer anzuschauen und am Ende auch zu erkennen, wer da wie mit seinen Informationen umgeht, wenn die Antwortfelder berechtigter Fragen (z.B. Kosten, Kalkulationsgrundsätze, Risikoportfolio, …) einfach leer bleiben.

So könnte der brauchbare Teil der bequemen Mehrheit eventuell noch mitgenommen werden. Sich selbst um Details zu kümmern ist anstrengend, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen mitunter schwierig. Scheinbar streiten ja die Parteien ständig über etwas anderes. "Genau, immer wenn den Gegnern ein Ergebnis nicht passt, dann suchen sie wieder ein neues Thema. Da kommt ja keiner mehr mit."

Am Ende hätte diese Teilmenge mündiger Bürger sogar die Chance zu verstehen, worum es bei der angepeilten Volksabstimmung eigentlich geht und könnte animiert werden ihren Stimmenanteil beizutragen. Denn zahlenmäßig wird (wie so oft) der inhaltlich eher wenig interessierte und informierte Teil den Volksentscheid beeinflussen.

Geißlers Überraschungs-Coup vom Freitag ? Unter der Zielrichtung "wieder Frieden schaffen" unbedingt anerkennenswert. Inhaltlich : wird wohl bald als Blase zerplatzen. Grundkosten und grundsätzliche Probleme und Risiken für Tiefbahnhof und Zuführstrecken bleiben fast gleich, als Voraussetzung zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Kombi-Modell müsste es ganz schnell sehr viel guten Willen, Vernunft, Denk- und Veränderungsbereitschaft auf die S21-Protagonisten herunterregnen. Naive Vorstellung ?

Wenigstens ist es am Freitag dem Schlichtungs-Guru nicht gelungen, wie während der Schlichtungsrunden so häufig, mit seinen "Opa versteht nicht"-Zwischenfragen und Einwürfen bei Redebeiträgen der Gegner den roten Faden zu zerdröseln. Gerade bei den weniger publicity-gewohnten Fach-Experten musste ich wiederholtin der Schlichtung feststellen, dass nach einem stringent und logisch aufgebauten Teil-Vortrag, nach den Einwürfen Geißlers für den Zuhörer das eigentliche Thema gar nicht mehr zu erkennen war, die Argumentationskette zerrissen, die Pointe verlorengegangen.

Palmer ist ein Glücksfall für das Aktionsbündnis, nicht nur rhetorisch, aber er ist eben Vollblut-Politiker, damit seine langfristige Position in dem "Spiel" verschiedenen Einflüssen unterworfen.Persönlichkeiten wie Dahlbender oder Hopfenzitz beeindrucken neben ihrer Sachkenntnis durch ihre Redlichkeit. Ob das Punkte bringt in der Gesamtbewertung bleibt abzuwarten.Rockenbauchs Einwürfe sind inhaltlich nicht falsch, seine gezeigten Emotionen nicht verwerflich, aber … das weit entfernte Publikum nimmt da einen recht aggressiven jungen Mann wahr, der respektlos den älteren in die Parade fährt. Unerhört ! Auch das beeinflusst "Meinungs"-bildung.

Und viele der erschütternden Tatsachen und der nach 16 Jahren Planung immer noch nicht ansatzweisegeklärten Probleme sind beim Publikum trotz Schlichtung und trotz fast täglicher Pressemeldungen inhaltlich gar nicht angekommen.

Als ein Beispiel von vielen : Sicherheit im neuen Bahnhof. Da habe ich selbst zum Schluß noch eine konkrete Frage in die Runde. Vielleicht kann sie mir jemand beantworten :

In dem DB-Risikopapier ("Chancen und Risiken" der DB ProjektBau GmbH vom 25.03.2011) ist im Cluster B unter der ersten Position die zu ändernde Brandschutzklasse (F30 statt F0) für die Stegkonstruktion in der Bahnhofshalle aufgeführt. Verstehe ich das richtig, dass bisher die Fußgängerstege mit F0 quasi keine Feuerbeständigkeit besessen hätten, mit F30 wenigstens 30 min. einem Feuer standhalten müßten ?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kopfmachen21

S21 Das dümmste Großprojekt

Kopfmachen21

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden