An schwarzen Listen fehlt es nicht

China Nicht die Boomregionen in der chinesischen Küstenzone, sondern die Landwirtschaftsbetriebe in Zentralchina verursachen derzeit die schwersten Umweltschäden

Für die Umwelt – zur Not gegen die Unternehmen heißt die Devise in der südchinesischen Stadt Kunming. „Luft und Gewässer verschmutzende Firmen sind alle entlarvt und auf eine schwarze Liste gesetzt“, verkündet Gao Zhigang, Vize-Chef des lokalen Umweltbüros, „und sie werden sich auf ewig vom Markt verabschieden müssen.“ 43 Betriebe habe man 2009 geschlossen und in diesem Jahr bereits sechs Unternehmen des ökologischen Sündenfalls überführt. Zu Beginn des Neuen Jahres in China haben gerade viele Metropolen ähnliche Meldungen veröffentlicht. Einzelne Firmen, oft aus der Chemie- oder Verarbeitungsbranche, werden als Umweltschädlinge gegeißelt und publik gemacht. Warum gerade diese, bleibt unklar.

Pestizide und Dünger

Fest steht: Überall in China kann sich kein Lokalpolitiker mehr verschmutztes Trinkwasser, stickige Luft oder schon gar keinen handfesten Umweltskandale mehr leisten. Im August 2009 gingen wütenden Bewohner in den Provinzen Shaanxi, Henan und Fujian gegen erhöhte Krebsrisiken auf die Straße, als deren Urheber Chemiebetriebe und Gerbereien galten. Nach dem Urteil chinesischer Forschern kostet die Umweltverschmutzung das Reich der Mitte zwischenzeitlich bis zu zehn Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukt – für 2009 wären das knapp 335 Milliarden Euro.
Neben der medienwirksamen Anklage bereits geschlossener Firmen wagen sich Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace Beijing zögerlich an die sensible Evaluierung einheimischer Unternehmen. Das Pekinger Umweltministerium führt zwar seit 2006 ebenfalls schwarze Listen mit den Verursachern schwerer Umweltschäden, deren Namen jedoch bleiben unter Verschluss. Diese Praxis muss allerdings durch den vom Pekinger Agrarministerien Ende Februar veröffentlichten „Umweltzensus“ relativiert werden. Die dort nachzulesenden Angaben stellen für die Nicht-Fachwelt Vorstellungen von Umweltverschmutzung vollkommen auf den Kopf. Nicht die Industrie – die Landwirtschaft firmiert als größte Gefahr für Chinas Gewässer. Der Agrarsektor ist für 67 Prozent der Phosphor- und 57 Prozent der Nitrogen-Ableitungen verantwortlich. „Pestizide und Dünger haben letzten Endes den Sprung in der Produktivität erst ermöglicht“, sagt Wang Yanliang vom wissenschaftlichen Büro des zuständigen Ministeriums auf einer Pressekonferenz in Peking. „Deren Missbrauch lässt die Umwelt nicht ungeschoren.“

Trägheit und Konkurrenz

Laut einer Mitte Januar erschienenen gemeinsamen Studie von Greenpeace und der Fakultät für ländliche Entwicklung der Renmin-Universität produziert die Volksrepublik inzwischen 24 Prozent der weltweiten Getreidemenge. Dafür verbraucht das Land 35 Prozent des global produzierten Nitrogens. Was die Zentralregierung damit begründet, dass China mit einer vergleichsweise geringen agrarischen Nutzfläche gesegnet sei, deren Ertrag mehr als ein Fünftel der Erdbevölkerung ernähren müsse.

Regionen um Flüsse und Seen in Zentralchina sind von der Umweltverschmutzung besonders betroffen. Fabriken für die Weiterverarbeitung ländlicher Produkte sowie Papier- und Textilbetriebe liegen dort beim chemischen Sauerstoffverbrauch – einer der Hauptquelle für die Wasserverschmutzung – ganz vorn. In puncto Nitrogenverbrauch sind neben Bauern und ländlichen Genossenschaften die Chemie wie die Metallverarbeitung die heftigsten Umweltsünder.

Trotz dieser Bilanz ist zu befürchten, dass vorerst kaum mit radikalen Sanktionen des Staates zu rechnen ist. Das liegt vorrangig an Trägheit und Konkurrenzdenken innerhalb der zentralen Administration. Die Daten des erwähnten Zensus zu erheben, hat zwei Jahre gedauert, auch weil sich das Agrarministerium lange gegen eine Veröffentlichung wehrte. Gefragt nach einer effizienteren Umweltpolitik – etwa einer Umweltsteuer und einem Bruttoinlandsprodukt (BIP), das Umweltschäden als Verlustbilanz ausweist – weicht Vize-Umweltminister Zhang Lijun aus. Dies sei kaum möglich, weil die Meinungen über diese Maßnahmen viel zu kontrovers seien. Auch der augenblicklich tagende Nationale Volkskongress werde daran kaum etwas ändern.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden