Der eine Satz

Meinungsfreiheit Warum ein Satz meine Empörung ausgelöst hat

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Es kommt wohl nicht allzu oft vor, dass sich jemand über einen einzigen Satz, der ganz unscheinbar in einer großen deutschen Zeitung geschrieben steht, so empört. Zu groß wäre die Gefahr, dass man ihn einfach nur falsch verstanden hat, zu groß die Gefahr, einen Satz auf die Goldwaage zu legen, der in Unachtsamkeit geschrieben ganz anders gedacht war. Leider scheint mir aber nichts so sinnvoll zurzeit, als Ihnen von einem ganz besonderen Satz zu berichten:

Es ist ein Satz, der gefallen ist in der Debatte um den Verleger Mathias Döpfner. In der Rubrik „Streit“ der aktuellen ZEIT-Ausgabe antwortete der ZEIT-Korrespondent Stefan Schirmer auf einen Essay der Philosophin Thea Dorn, in dem sie gegen moralischen „Reinheitsfuror“ und für eine Trennung von Privatem und Öffentlichem plädiert. Der Gegentext argumentiert, Döpfners Geisteshaltung sei aufgrund seiner mächtigen Position äußerst öffentlichkeitsrelevant und schließt mit dem Statement: „Diese Sorte Geheimnis verdient keinen Schutz.“ Aber nein, der Satz, der mich sorgt und plagt, der mich nicht schlafen sondern dies schreiben lässt, folgt noch.

Döpfner hatte sich also mit seiner Nachricht die zwei mittlerweile viel besprochenen Zitate vom „DDR-Obrigkeitsstaat“ und den deutschen „Propaganda-Assistenten“ zuschulden kommen lassen. Und schwerer wiegt vielleicht noch, dass er den Sturz Reichelts mit dessen regierungskritischer Arbeit in Verbindung brachte. In modernster journalistischer Manier schafft nun Stefan Schirmer den Spagat zwischen dem moralisch mahnenden Finger und Feindbild-Framing vom Feinsten: „Es ist eine schrille Wortwahl, die man eher in demokratieverwahrlosten Querdenker- oder Pegida-Kreisen erwarten würde.“ Und anschließend, meine Damen und Herren, folgender Satz:

„Weil das alles so klingt, als wolle Döpfner ein Widerstandsrecht gegen das System nahelegen.“

Vielleicht finden Sie das in Ordnung, dass dieser Satz in der ZEIT steht. Vielleicht stimmen Sie sogar zu: Wie in aller Welt kann dieser Halunke wirklich nahelegen, es gäbe ein Widerstandsrecht gegen das System! Vielleicht aber müssen Sie den Satz zwei-, dreimal lesen und kommen – wie ich – an den Punkt, wo Sie widersprechen: Moment mal, ist es nicht möglicherweise ureigenes Grundprinzip einer Demokratie, dieses Widerstandsrecht? Ist es denn überhaupt noch eine Demokratie, wenn es eben dieses Widerstandsrecht nicht mehr gibt? Immerhin scheint es auch ein „Recht“ zu sein…

Als jemand, der hin und wieder eine Zeitung aufschlägt, der ab und zu auch hört, was im Radio und auf der Welt so läuft und als jemand, der sogar manchmal mitbekommt, was zeitgenössische Philosophen und Intellektuelle denken, sagen und schreiben, muss ich vielleicht zugeben, dass manche gesellschaftspolitischen Tendenzen bisweilen von mir nicht gänzlich unbemerkt geblieben sind. Es ist mir nicht entgangen, dass Schauspieler, die zweimal gewagt haben, für Meinungsfreiheit und wissenschaftlichen Diskurs aufzustehen, zweimal der Unterstützung eines „gefährlichen Narrativs“ bezichtigt worden sind. Es fällt nicht nur mir auf, dass eine ernsthafte linke Opposition von nur einem einzigen saarländischen Ehepaar geführt wird. Nicht nur ich musste feststellen, dass es tatsächlich ein fragwürdiges Verhalten der Polizei bei Demonstrationen der Corona-Opposition in Berlin gab und beim Personalausweis ist der Fingerabdruck jetzt Pflicht.

Das sind für machen Liberalen sicherlich beunruhigende Tendenzen. Aber jetzt schon die Hysterie zu bekommen, wäre unangebracht. Denn es sind – Gott sei Dank – keine dauerhaften Zustände, es sind auch keine großen Umwälzungen, sondern einzelne Entwicklungen, die auch nicht erst seit der Pandemie vergeblich versuchen, mein Vertrauen und meine Hoffnung in eine demokratische und freie Gesellschaft zu schwächen. Ich möchte auch jene ermutigen, die mittlerweile der Ansicht sind, wir lebten bereits in einer Diktatur, Gelassenheit walten zu lassen und konstruktiv am Ausbau des offenen Diskurses mitzuarbeiten. (Im Übrigen halte ich auch den „DDR-Obrigkeitsstaat“ für eine zynische Übertreibung.) Aber gerade die Tatsache, dass solche Denkhaltungen über die letzten eineinhalb Jahre durchaus entstanden sind, sollte uns eigentlich ermahnen, dass wir zwar weiterhin Vertrauen haben dürfen in eine gesunde Demokratie, aber dennoch die Augen nicht naiv vor dem verschließen sollten, was sie bedroht. Es darf und es sollte uns wundern, wenn ein Satz wie jener Obenstehende in einer wichtigen Zeitung steht. Denn die Gefahr besteht, dass Generationen kommen werden, die nicht mehr das Gefühl haben, es sei legitim, seine Stimme gegen etwas zu erheben, mit dem man nicht einverstanden ist. Es besteht die Gefahr, dass künftige Generationen kein Widerstandsrecht gegen das System mehr voraussetzen. Und dass das ohne Zweifel das Ende der Demokratie selbst wäre, muss man hoffentlich nur noch einem erklären.

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