Da werden Zimmer frei

Spekulation Wer früher in Aktien investiert hat, kauft heute Immobilien. Auch Filme- und Theatermacher entdecken jetzt den Verlust von bezahlbaren Wohnungen als Thema
Ausgabe 22/2013

Die Stadt, die Straße hat sich für die Wurstfabrikantinnen und die Zahnarztgattinnen entschieden”, heißt es in Elfriede Jelineks Stück Die Straße. Die Stadt. Der Überfall, mit dem jüngst die Münchner Kammerspiele zu den Berliner Theatertagen eingeladen waren. In Jelinek-üblichen Textflächen und Satzgirlanden geht es um das bittere Verhältnis von Frauen zu Mode, selbstzerfleischendem Konsum und vor allem zu München und der Maximilianstraße: „Die Stadt hat sich entschieden, dass die Anwaltsgattinnen und sogar die Anwältinnen selber, die Arztgattinnen und sogar die Ärztinnen selber, all diese Menschen von gewaltigem Umfang, denen man auf den ersten Blick ansieht, dass sie zu befehlen verstehen, hier Vorrang haben und Vorrang genießen.“

Vorrang in München und in der Maximilianstraße hat das Geld, davon aber häufen nicht nur in München einige wenige immer mehr an, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im vergangenen Jahr feststellte: 0,1 Prozent der bundesdeutschen Haushalte besitzen 22,5 Prozent des gesamten Vermögens. Das reichste Prozent kommt auf 35,8 Prozent, also mehr als ein Drittel des Vermögens aus Einkommen und Besitz. Die obersten zehn Prozent besitzen zwei Drittel, während für die gesamte untere Hälfte gerade mal 1,4 Prozent bleiben. Fatal, so erläutert Nicola Liebert in Le Monde Diplomatique, ist dabei ein Mechanismus, der die Krisensymptome verstärkt: Die hohen und höchsten Einkommen tendieren dazu, einen Großteil ihres Vermögens in Anlageobjekten unterzubringen, also nicht im Wirtschaftskreislauf aus Produktion und Konsum zu lassen.

Eine Rucksackproduktion

Während die Spekulation an der Börse besonders im Mittelstand an Popularität verlor, haben Ärzte, Anwälte und Wurstfabrikanten seit Jahren oft ein anderes Hobby: Sie kaufen Wohnungen in Berlin, in Leipzig oder Hamburg. Die Idee ist einfach: Da Kriege unwahrscheinlicher geworden sind, kann man auch auf die Wertsteigerung der Immobilie wetten. Entweder ist die teuer ausgebaute Dachgeschosswohnung in Mitte ein netter Altersruhesitz oder die Mieteinnahmen ein hübsches Polster.

Die Zahlen für Berlin sind eindeutig: Eigentumswohnungen sind heute 73 Prozent teurer als vor fünf Jahren, im selben Zeitraum stiegen die Mieten bei neuen Verträgen um 28 Prozent.

Dies ist die Ausgangslage von Katrin Rothes Dokumentarfilm Betongold. Wie die Immobilienblase in mein Wohnzimmer kam. Das Thema Betongold und Immobilienspekulation ist seit einiger Zeit zu Hause im öffentlich-rechtlichen Programm. Es gibt Beiträge über den Run auf Immobilien bei etlichen Sendern, der WDR zeigte im Februar in der Sendereihe Die Story eine – ziemlich hölzerne – Dokumentation über geprellte Immobilienfonds-Anleger. Tageszeitungen berichten von Eingriffsmöglichkeiten, lange politisch ignoriert, verlacht sogar und nun in aller Munde: Milieuschutz, Genehmigungsstopp für Luxussanierungen. Katrin Rothe erzählt dagegen die Geschichte von innen – ihre eigene nämlich.

Rothes Filme entstammen der Kategorie Rucksackproduktion – mit wenig Aufwand, ohne übermäßig gestalterisches Interesse an Kamera und Schnitt, aber aus persönlicher Perspektive. Als der Feuilletonist Georg Diez vor Jahren die Kategorie „die ungeschminkte Kathrin“ schuf, eine Frau von hemdsärmeliger Emanzipiertheit und gar nicht leicht unterzukriegen, könnte er Katrin Rothe gemeint haben: Die Mutter von zwei Kindern stellt sich zu Beginn des Films ganz unprätentiös vor die Kamera, als der pensionierte Nachbar mit abenteuerlichen Konstruktionen auf seinem Gepäckträger vorbeiradelt. Seine anfängliche Behauptung, dass sie „zu viel rede“, muss er wieder einkassieren und sagt: „Ach, du willst ja Regisseurin werden.“ Sie antwortet knapp: „Bin ich.“

Katrin Rothe wohnt seit 16 Jahren in einer Berliner Altbauwohnung in Berlin-Mitte. Nun kommt ihr eine Modernisierungsankündigung ins Haus (siehe Interview). Das heißt: viel Ärger, viel Schmutz, aber potenziell eine nette Abfindung. Und schon dreht sie einen Film, über sich und das Haus, das saniert werden soll: Betongold (am 30. Mai auf Arte) handelt zunächst von einer alten und etwas schmuddeligen Mietwohnung, die in eine anders geschnittene Altbau-Eigentumswohnung – also eine restaurierte alte Fassade mit modernisiertem Kern – verwandelt wird.

Revolutionäre Geste

Der neue Hausbesitzer Sascha Klupp scheint ein aufdringlicher Geselle zu sein, er macht den Mietern das Leben schwer: Sie sind dem Wiederverkauf ein Klotz am Bein. Die Mieter setzen sich gegen die kalte Entmietung zusammen und zur Wehr: Allerdings ist da dem Film bereits der Zahn des Widerstandsepos gezogen. Es gibt eine Studenten-WG im Erdgeschoss, die sofort den Rückzug antritt – vermutlich mit einer lächerlichen Summe abgefunden. Was für eine Geschichte ist das also, die Katrin Rothe erzählt? Sie, die ein Kuvert mit dem Widerspruch gegen die Modernisierungsankündigung zur Post bringt, also mit revolutionärer Geste den Rechtsstaat anruft?

Rothe bleibt mit ihrem Spannungsbogen in der Kleinräumigkeit ihrer Wohnung und ihres Hauses: Wir lernen nichts über den Kiez, bleiben beim Persönlichen, nah an der Erzählerin, die lernen muss, gegen schlechte Manieren zu bestehen, und sich mit Anwälten berät, um in der prozeduralen Suppe aus Einsprüchen, Gerichtsterminen und Mietrecht zu bestehen.

Immer deutlicher tritt allerdings der scheiternde Widerstand hervor: Immer mehr Hausbewohner beugen sich den Drohungen, dem unreparierten Durchlauferhitzer, dem Dreck aus dem Treppenhaus. Man kann es ihnen nicht verdenken. Am Ende geht Katrin Rothe selbst, mit 50.000 Euro vermutlich um ein Vielfaches über der Studenten-WG abgefunden. Da zeigt sich die Durchlässigkeit bei der Gentrifizierung: Mit ein bisschen Ruppigkeit und etwas Spielgeld bekommt man ein Haus offensichtlich immer entmietet.

Während Jan Peter Bremer in seinem Roman Der amerikanische Investor (Berlin Verlag) eben jenem einen utopischen Brief schreiben und ihn mit der Kraft der Worte daran hindern möchte, ihn aus Wohnung und Kiez zu befördern, erleben wir bei Rothe eine verständliche Form von Käuflichkeit. Wenn sie und ihre Mitmieter das Feld geräumt haben, wird so ein weiteres Haus in Berlin-Mitte gegen niedrigere Einkommen oder andere Lebensentwürfe immunisiert: mit Fußbodenheizung, zweitem Bad und Extrabalkon. Für ein paar Jahre kann sich die Regisseurin, können wir uns alle noch in fußläufiger Entfernung zur Infrastruktur von Berlin-Mitte oder Prenzlauer Berg halten. Dann sieht Berlin womöglich noch mehr aus wie München, das stellenweise schon Hochpreisslum ist.

Mitten in diesem wuchernden kulturellen Ödland aber liegen die Kammerspiele, die Elfriede Jelineks Text rauschend in Szene setzten. Darin heißt es: „Die Seele der Stadt, jetzt tot. Die Stadt als Ganzes, als schwebendes Gemeinwesen: lebt auch nicht mehr, sie weiß es nur nicht.“

Lennart Laberenz schrieb im Freitag zuletzt über die Touristifizierung Berlins anhand des Clubs Berghain

Den anderen Teil unseres Themenschwerpunktes über Entmietung finden Sie hier

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