Medien in Kampfmontur

Rhetorik Etwas ist an der Griechenland-Berichterstattung faul. Aber was genau? Weiß die Diskursanalyse mehr?
Ausgabe 27/2015
Da liegt sie, die gesamte griechische Gesellschaft: hochbezahlt, nichtstuend, alimentiert
Da liegt sie, die gesamte griechische Gesellschaft: hochbezahlt, nichtstuend, alimentiert

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Vor der Emil-Figge-Straße 59, 44227 Dortmund, steht ein Gingko-Baum. Weil drumherum das Internationale Begegnungszentrum der TU Dortmund gebaut ist, kommt so ein Gingko nicht ohne pädagogischen Impuls aus. Goethes Gedicht muss her, auf eine mannsgroße Tafel, es endet so: „Fühlst du nicht an meinen Liedern, dass ich eins und doppelt bin?“ Ein guter Ort, meint man, um einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, was eins und doppelt ist an deutschen Medienliedern über Griechenland, was an Weltsicht, Sachzwang, Ohnmacht und Parasitentum in der Aufmerksamkeitsökonomie verwoben ist. Das haben auch Jürgen Link und Matthias Thiele gedacht und zu einer Tagung mit „Kultur- und medienwissenschaftlichen Analysen“ geladen.

Man reist nach Dortmund mit dem Eindruck, dass sich spätestens seit Januar auch ernsthafte Medien mit Blick auf Griechenland in schriller Rhetorik gefallen. Irgendetwas ist da verrutscht. Seit Syriza in Regierungsverantwortung gewählt wurde, scheint der Grundton ins Markussöderhafte gerückt: Radau und Gebell. Mindestens aber finden sich ölige Belehrungen, die der Brüsseler ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause in jeder Schalte und jedem Presseclub so herzhaft verkörpert.

Vor exakt drei Jahren stellte Slavoj Žižek in der London Review of Books fest, dass es zwei wesentliche Mediengeschichten gebe: die „deutsch-griechische Erzählung“, nach der die Griechen faul, steuerbetrügend und vieles mehr seien. Also müssten sie unter Kontrolle und in finanzielle Disziplin gezwungen werden. Dazu gebe es die „griechische Erzählung“, nach der die nationale Souveränität von der neoliberalen Technokratie in Brüssel bedroht sei. „Als die Notlage der Griechen nicht mehr zu ignorieren war, tauchte eine dritte Geschichte auf: Die Griechen wurden jetzt präsentiert als humanitäre Opfer, der Hilfe bedürftig, als hätte ein Krieg oder eine Naturkatastrophe das Land getroffen. Während alle drei Geschichten falsch sind, ist die dritte wohl die ekelhafteste. Die Griechen sind keine passiven Opfer.“ Hier hätte Žižek enden können. Er schrieb aber mehr: Die Griechen seien im „Krieg mit dem ökonomischen Establishment Europas. Was sie brauchen, ist Solidarität in ihrem Kampf.“ So einfach kann man es sich machen und die Kleptokratie als subversiven Kampf versimpeln. Der Blick auf Griechenland scheint immer auch die eigene Weltsicht freizulegen. Die Rhetorik zu untersuchen, könnte ein Stück weit entlasten und aus der unübersichtlichen Lage befreien.

Aber so einfach wird es nicht. Kürzlich titelte der britische Telegraph: „Greek debt crisis is the Iraq War of finance“. Der Irakkrieg – der letzte, irgendwie beendete und irgendwie noch andauernde – begann mit folkloristischen Behauptungen zu Massenvernichtungsmitteln und einem schwer gedrechselten Zusammenhang zum elften September. Unter diesem Propagandamäntelchen versuchten Staaten wirtschaftlichen Einfluss zu sichern und einen Schuldigen für eigenes Versagen zu suchen. Der Irakkrieg der Finanzwirtschaft geht nicht um Öl, funktioniert aber ähnlich.

Stimmungsmache

Es gibt, stellt der Ökonom Thomas Piketty nüchtern fest, drei Möglichkeiten, eine Verschuldung der öffentlichen Hand zu senken, selbst wenn sie europäische Dimensionen erreicht hat: Steuern auf Kapital, Inflation und Austeritätsprogramme. „Eine Ausnahmesteuer auf privates Kapital ist die gerechteste und effizienteste Lösung. Wenn dies misslingt, kann Inflation eine hilfreiche Rolle spielen – historisch gesehen ist so meist mit hoher öffentlicher Verschuldung umgegangen worden. Die schlechteste Lösung im Sinne der Gerechtigkeit und Effizienz sind anhaltende Austeritätsmaßnahmen. Allerdings ist das der Kurs, den Europa gegenwärtig unternimmt.“

„Das Spektakel ist erstaunlich“, schreibt Ambrose Evans-Pritchard im Telegraph, „die Europäische Zentralbank, der Rettungsschirm und der Währungsfonds keilen wütend gegen eine gewählte Regierung, die ablehnt, was ihr befohlen wird. Dabei vermeiden sie vollständig, ihre eigene Verantwortung anzuerkennen, und übersehen fünf Jahre grober politischer Fehler, die in die Sackgasse geführt haben.“

(Die Frage ist hypothetisch, aber wie sähe es eigentlich aus, wenn die Troika anders handelte? Gar ihre Austeritätspolitik revidierte? Würde sich dann ein Teil des Furors, der sich jetzt gegen Syrzia richtet, gegen jene richten?)

Grob überblickt stehen sich nun in den Medien zwei Parteien gegenüber und sprechen irgendwie doch nur zu sich selbst: eine großes Bündnis derer, die wild mit dem Finger herumfuchteln, „Strukturreformen“ und „Sparkurse“ anmahnen und nebenbei vor „Halbstarkentum“ solcher warnen, die sich eigenmächtig von „Hausaufgaben“ dispensiert hätten. Für sie ist Syriza wahlweise ein Kindergarten oder ein Machohaufen. Dagegen sammelte sich eine reflexhaft „Neoliberalismus, Neoliberalismus!“ rufende Kommentatorentruppe, die dann nicht mehr über die eigentümliche Verhandlungsstrategie vielleicht auch von Syriza nachzudenken braucht. Warum? Die Antwort liegt vielleicht auch in der vom Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen gestellten Frage : „Wie schafft man in Zeiten der rasanten Atomisierung von Kulturinhalten zumindest noch ein Bündelgefühl für das eigene journalistische Angebot und die eigene Medienmarke?“

Wenn Gesinnungsprosa die Antwort ist, ist die Medienkrise eine intellektuelle. Wenn man nur einen Moment lang Bild auch als journalistisches Erzeugnis verstehen will, dazu auch ARD-Brennpunkte, Talkshows, den Spiegel, (nicht nur) die Wirtschaftsseiten der FAZ und der Süddeutschen verfolgt, findet man Berichte, Kommentare, Überschriften, die von Pleite-Griechen faseln. Der Eindruck wird vermittelt, da läge eine ganze Gesellschaft am Inselstrand, hochbezahlt, nichtstuend, alimentiert von irrsinnig hohen Renten. Springer-Blätter orgeln, dass die Rechnung dafür fleißig schaffenden Häuslebauern, artig sparenden Normalarbeitern und pünktlich Sozialbeiträge und Steuern abführenden Unternehmen, also uns, untergejubelt würde. Es scheint, als sehnten sich viele Wirtschaftsjournalisten innerlich nach einem Ordoliberalismus, ganz so, als stünde gesunde Marktwirtschaft in der Bundesrepublik in satter Blüte. Der nervöse Blick auf den griechischen Staat als korrupten Haufen – den wir freilich jahrelang gut durchfütterten – weist wohl vor allem auf das erschütterte Staats- und Politikvertrauen hierzulande.

Es geht also um Stimmung. Und wo Unsinn erzählt wird, sind Experten wie der Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn sowieso dabei, die FAZ sekundiert ihm, von Sachkenntnis über das Währungsprozedere ungetrübt: „Wäre es vernünftig, die Griechen jetzt aus dem Euro zu werfen?“ Der – juristisch unmögliche – Euro-Rausschmiss als Katharsis. „Hinausbegleiten“ nannte es der Pensionär Edmund Stoiber, seine Ratlosigkeit mit Bierzelt-Aufregung überspielend. Der Journalist Günther Jauch saß daneben und fragte nicht weiter.

Gut abgehangen

In Dortmund ist es der erste heiße Tag des Sommers, alte Kämpen eines jung gebliebenen Marxismus finden locker Platz. Man ist nett zueinander, stellt Talkshows unter Journalismusverdacht, zwei Frauen aus Duisburg wollen unbedingt die SZ neoliberal finden, Jürgen Link lässt Bild akademische Ehren zukommen. Die Diskursanalyse, wie er sie versteht, kümmert sich um Wortverwendungen, leitet Bedeutungskomplexe ab, die „von den Medien organisiert“ würden. Schnell zeigt sich, dass es an einer Grundlage, die zum Kern, zu Motivation und Ursprung vordringen könnte, fehlt.

Link hält sich an sein Schema der „Normalisierung“, bei der eine „mediopolitische Klasse“ am Werk sei und Griechenland schlicht in eine „untere Normalitätsklasse“ einordne. So allerdings wird Diskursanalyse zur Homogenisierungsmaschine, durch Auswertungen von Berichten und Kommentaren glitzert auch ein ziemlich naives Verständnis von Redaktionsarbeit. Nicht in jedem Artikel ist gleich Blattlinie.

Kein Wunder, dass „erschreckend ähnliche Befunde aufgestellt werden“, wie Clemens Knobloch den dichtesten Vortrag des Tages zu „Worthülsen und Imagekämpfe im deutschen Griechenlanddiskurs“ einleitet. Allerdings liegt es vielleicht daran, dass ihr theoretisches Instrumentarium gut abgehangen ist. Pierre Bourdieus Habitusbegriff etwa könnte helfen, das Unbehagen an Politikern des Typus Tsipras oder Varoufakis zu erklären, aber er scheint fremd. Dekanin Ute Gerhard blieb bei ihrer Eröffnung unter drei Minuten, als sie das entscheidende Verb für den Tagesverlauf fand: „Wir müssen für eine faire Berichterstattung zu Griechenland kämpfen.“

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