Zur Filmpressearbeit gehört die Pressevorführung, die es dem Kritiker ermöglicht, seinen Text rechtzeitig zum Start des Films zu schreiben. Manchmal verbindet sich der Vorführungstermin mit einem Interview. Macht man meistens nicht. Soll aber gerade deshalb hier einmal ausprobiert werden. Also hinein ins Berliner Soho House, ein urst schickes Club-Hotel, in dem man sonst nichts zu suchen hat. Dort ist der neue Film von Anton Corbijn zu sehen und er zu sprechen.
Corbijn hat jahrzehntelang Musiker fotografiert, viele waren schon sehr bekannt oder wurden es mit der Zeit. Die meisten Bilder wurden ebenfalls sehr bekannt. Und so wurde es Corbijn. Und weil dann alle sehr bekannt waren, gab es Ausstellungen: Im Herbst eröffnet eine Schau im C/O Berlin, ein prächtiger Bildband dazu ist erschienen: 1-2-3-4; die meisten Musiker darin kennt man aus den 1980er und 1990er Jahren. Viele stehen oder sitzen vor nüchternen Wänden herum, in schwarz-weiß. „Mit diesem Buch möchte ich meine Arbeit in der Musikwelt feiern, ohne mich dafür entschuldigen zu müssen“, schreibt Corbijn.
Corbijn ist nicht beim Fotografieren geblieben. Er hat zu den Liedern der bekannten Musiker Videos gedreht. Da wurde es bunt, Corbijn war ein Star der MTV-Zeit. Als die vorbei war, fing er an, Kinofilme zu machen. Sein Biopic über Joy Divisions Ian Curtis hieß Control, ist schwarz-weiß, nüchtern und wurde gefeiert.
Und dann steht man im Soho House, das unter der wässrigen Vokabel „kreativ“ ungeniert Business macht. Zuerst saß in dem Gebäude das jüdische Kaufhaus Jonaß, dann diente es der Hitlerjugend und dem Zentralkomitee der SED. Jetzt beherbergt es Madonna, wenn sie in Berlin weilt. In der Lobby hat einer mit Strichen einen Haifisch an die Sichtbetonwand gesprüht und „Damien Hirst“ darunter geschrieben. Vielleicht war es Damien Hirst, und er fand das total cool, und die Leute in dem Club-Hotel fanden das auch total cool.
Im Kino im Keller ist es rotplüschig und das Regal voll mit ledernen Buchrücken, die auf einer Metallschiene kleben: lauter Attrappen. Die Kassettendecke ist grüngrau und aus Plastik. Corbijns neuer Film heißt Life. Ein Film über einen Fotografen. Der wird gespielt von Robert Pattinson, heißt Dennis Stock und hängt zwischen einer vermurksten Ehe, einer vermurksenden Vaterschaft, irgendetwas mit Aufbruch und einer erst halb-erfolgreichen Karriere als Fotograf. In Los Angeles trifft er den halb-bekannten James Dean (Dane DeHaan), der auch quer hängt zwischen dem Anspruch, gute Rollen in guten Filmen zu spielen und dem Preis, den Hollywood dafür einfordert: Publicity zu machen.
Die letzten beiden Corbijn-Filme hinterließen keinen großen Eindruck: The American (2010) handelte von einem Auftragskiller, der sich verliebt, aussteigen will, durch halb Europa reist und selbst ins Fadenkreuz gerät – etwas flach und ziemlich fad. A Most Wanted Man (2014), ein Spionagethriller von John le Carré, hatte einige schöne Bildkompositionen von Architektur in Hamburg, war aber trotzdem belanglos, dünne Charaktere, nur geradeaus. War vielleicht beides nicht Corbijns Materie.
Nun aber: Ein Fotograf macht einen Spielfilm über einen Fotografen und die Probleme, die ein launiger Schauspieler macht, das Ringen um die große Illusion, die damals schon unklar war und heute mindestens noch unklarer ist: Integrität. Authentizität. Und den großen Gegenspieler: Business. Ist doch Corbijns Materie. Muss doch krachen. Kracht aber nicht. Life ist ein brav inszenierter, brav fotografierter und brav geschnittener Film.
Luke Davies’ Drehbuch und Corbijns Regie erzählen eine Geschichte wie für Drehbuch-Workshops gemacht: Der Protagonist muss an den turning points vorbei – er trifft auf Widerstände, muss Entscheidungen fällen. Es fluppt nicht zwischen ihm und James Dean. Erste Aufnahmen sind mies. Ex-Frau und Sohn nerven. Es gibt eine Alternative: belanglose Aufnahmen an einem Filmset in Japan zu machen, Geld zu verdienen.
Dennis Stock wählt: weitermachen. Er öffnet sich ein wenig, James Dean öffnet sich ein wenig. Beide laufen durch den Regen, es fluppt ein wenig. Widerstände scheinen überwunden, die Bilder werden gut. Weiter: Aufs Land, eine Farm und ein weiterer turning point. Schließlich wechselt der Film die Perspektive, wandert zu James Dean, endet da. Sonnenuntergang, Flugzeug, ein Gedicht vom Volkspoeten James Whitcomb Riley: „We must get home! How could we stray like this?“ Das kann man ein aufgeschlossenes Verhältnis zum Pathos nennen.
Dabei haftet Life etwas Mechanisches an, mit einem Räderwerk aus Plastik, aus dem Plastik, aus dem der angeklebte Oberlippenbart von Ben Kingsley als Jack Warner ist. Plastik, hat der französische Philosoph Roland Barthes bemerkt, sei „weniger eine Substanz als vielmehr die Idee ihrer endlosen Umwandlung“ und damit vom Erstaunen vor dieser Umwandlung durchdrungen. Einerseits sublimierte Bewegung, andererseits fast substanzlos: Life erstaunt nicht. Ein Film wie die Kassettendecke nebenan. Was macht man jetzt? Einfach raus, auf das Treffen mit Corbijn pfeifen? Worüber spricht man in diesen Arrangements mit einem Regisseur, dem man nicht sagen kann, dass einem sein Film gefallen hat?
Zumal Corbijn mit seinen Fotografien 30 Jahre lang nicht nur ein Medium bediente: Wir haben auch auf diese Bilder gewartet. Mit jeder Lederjacke hing den Rockstars der Verdacht über die Schulter, dass sie das kategorial Andere zu Konvention, zum sauber gebürsteten Lebenslauf im Industriekapitalismus waren und irgendwie war es auch Corbijn, der ihnen die Lederjacke überhängte. Wieso macht der jetzt solche Filme?
Also hinauf, 5. Stock, Zimmer 64. Corbijn sitzt mit dem Rücken zum Fenster, sehr gelassen, sehr professionell, sehr freundlich. Erzählt Schnurren aus der Zeit als Rockstar-Fotograf und gibt eine halbe Stunde Anschauungsunterricht in entspanntem Pragmatismus. Erster Satz: Es klinge „vielleicht banal“, aber nach so vielen Jahren mit Fotografie gehe es ihm darum, sich zu beweisen, dass er überhaupt „Filme machen könne“. Weniger intellektuelles Ringen, mehr Hobby, learning by doing. Corbijn.
Etwas überdramatisiert
Erzählt vom Lernenwollen, dass er nach Control das Gegenteil versuchte, nicht mit eigenem Geld, sondern mit einem Studio, einem Team aus den USA, George Clooney. Und 20 Millionen Dollar. The American spielte mehr als das Dreifache ein. Bei A Most Wanted Man wollte er seine kompositorische Sicherheit überprüfen, indem er mit Handkamera arbeitete, weniger Entscheidungsmacht hatte. 15 Millionen Dollar. Wieder war der Rücklauf prächtig.
Corbijn sagt Sätze, die zur PR taugen: dass das Drehbuch von Life ihn erinnert habe, wie er als junger Fotograf nicht verstanden habe, „wie die Balance zwischen dem, der Bilder macht und dem, der sie machen lässt, funktioniert“. Wir sind jetzt beim Gegenteil von Subversion. Trotzdem will man an solchen Sätzen noch etwas kauen, vor allem, nachdem man Life gesehen hat. Der Ertrag ist gering: Über die Balance verfügt, kann man denken, wer das Geschäft dahinter versteht. Vor allem verraucht an dem alle Kritik, die ist plötzlich das kategorial Andere.
Corbijn erzählt weiter über die Balance, über das Verhältnis zwischen Fotografen und angehendem Star. Ausgestattet mit der Erinnerung an eine Zeit, da sich für einen kurzen Moment in der Fotografie ein Handwerk mit dem Selbstverständnis von Kunst mischte. Kann man romantisch nennen. Oder nostalgisch. Corbijn wirkt völlig balanciert. Wir sind zu jung, waren nicht dabei. Wir sitzen jetzt im Soho House.
So geht es einem mit dem Interview. Man trifft einen völlig entspannten Regisseur, der Filmemachen als Selbsterfahrung verkauft, die ökonomisch funktioniert. Der sich, ohne mit der Wimper zu zucken, den Einwand gegen die Dramaturgie und das kitschige Ende des Films anhört. Und dann locker sagt: „There’s no big message.“ Der ein wenig grinst, vielleicht sei der Schluss etwas „überdramatisiert“, er habe schon auch gedacht, dass sich das anders anfühle als der Rest des Films. „Sollte ich mir vielleicht noch einmal anschauen.“
Life Anton Corbijn Kanada/Deutschland/ Australien/USA 2014, 111 Minuten 1-2-3-4 Anton Corbijn Prestel 2015, 352 S., 69 €
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