Fotografien von William Eggleston in Berlin: „Dad hat eine untergehende Welt abgebildet“
Ausstellung Mit „William Eggleston: Mystery of the Ordinary“ zeigt C/O Berlin die wohl spektakulärste Fotoausstellung des Frühjahrs. Kurz vor der Eröffnung traf unser Autor zwei seiner Kinder beim Aufbau an
Eingangsfrage, was man sich eben so überlegt, wenn man mit Andra Eggleston und William Eggleston III am Zugang zur Ausstellung ihres Vaters steht. Blick auf eine groß abgezogene Aufnahme, rechts parkt ein Straßenkreuzer gegen ein von Ziegelsteinen im Griff gehaltenes Beet, in der silbernen Autolackierung spiegelt sich das Magenta der untergegangenen Sonne, die magic hour der Südstaaten löst das tiefe Blau des Himmels auf, der Rest warmen Lichts verdichtet sich an den scharfen Blechkanten. In der Bildmitte führt das Braun des schon vergehenden Gewächses, Lichtflecken auf dem Mäuerchen, zur roten Musterung der angegessenen Fassadenverkleidung. Ein Bild, wie es nur William Eggleston komponiert, eine poetische Mischung aus Nachlässigkeit, gescheiter
Nachlässigkeit, gescheiterter Geste und Eleganz. Die Aufnahme ist aus seiner Kodachromes-Zeit, der Phase von 1969 bis 1974, die Eggleston bekannt machte. Sie ist einer neuen Serie entnommen, William Eggleston III und Mitherausgeber Mark Holborn haben dafür die rund 5.000 Aufnahmen aus dieser Zeit in einem elfjährigen Auswahlprozess noch einmal für eine dreibändige Ausgabe durchforstet, sie erschien 2021 als The Outlands. In Berlin werden zum ersten Mal Abzüge gezeigt, große Formate, digitaler Pigmentdruck statt der sonst Eggleston-üblichen, erheblich kleineren dye transfer Prints.Am Tag vor der Eröffnung stehen Wasserflaschen herum, Menschen bohren, messen, sortieren, die Galerie C/O Berlin landet mit all dem sicherlich die spektakulärste Fotoausstellung des Frühjahrs. Jetzt zur Frage, hat William Eggleston eigentlich auch private Fotos gemacht? Von der Familie, bei Weihnachtsfeiern, vom Sport, beim Spiel?Flüchtige Schnappschüsse erhob er zur KunstDabei geht es um Bildästhetik und Kunstverständnis, den Modus von Eggleston Seniors Arbeit: Der zur Kunst erhobene flüchtige Schnappschuss, die Reduktion auf eine, oder ganz wenige Aufnahmen pro Motiv, die eigene Welt, die Eggleston mit seinen Bildern durchstreift, in denen er Farben, Formen und Motive gleichberechtigt nebeneinanderstellt. Weil sie eben für sich immer ein Spektrum bilden, immer eine Tür in eine eigene Welt aufstoßen. Ja nun, sagt William III, es war nicht so, dass ihr Vater ständig Aufnahmen gemacht hätte. Aber während der langen Zeit der Auswahl von The Outlands seien sie auf „a bucket“, also etwa einen Waschkorb, an Aufnahmen gestoßen, die Freunde und Familie darstellten. Ihr Vater fotografierte immer in Schüben, meistens im Sommer, grade eine Handvoll Aufnahmen seiner Frau oder seiner Kinder streute er in die Serien. William III wird später auf einen kleinen Jungen zeigen, ein ganz Achselzucken-gewordener Körper in einer brennend roten Strickjacke. Das ist er selbst. Auch William Egglestons privater Blick hatte wohl einen kompositorischen Anspruch. Wir werden uns davon überzeugen können: Sein Sohn will den Friends&Family-Band bald veröffentlichen. Placeholder image-1In Berlin beginnt hinter dem Vestibül ein dramaturgischer Bogen, zugleich eine Art Eggleston-Essenz: Von den schwarzweißen Bildern aus den späten 1950er Jahren – die als Before Color erschienen und viele Farbmotive bereits vorwegnahmen – zu Aufnahmen aus seinem konzeptionell dichtesten Werkkorpus Democratic Forest (1983-1986), bevor es zurück über die Los Alamos-Serie aus den Jahren 1965-1974 zu The Outlands geht. Alle Serien landeten irgendwann beim Steidl-Verlag, der mit gewaltigem Aufwand neu gescannte, erheblich erweiterte, brillante Ausgaben druckte – an der Wand sind die Aufnahmen noch einmal ein ganz eigenes Fest. Bevor man dann ins entsättigte Wintergrau der Stadt läuft, bilden einige Aufnahmen von Egglestons Reisen nach Berlin in den 1980er Jahren noch eine Art Epilog.Im Mittelpunkt aber stehen The Outlands. Wenn man den Kurator Felix Hoffmann danach fragt, sagt er in etwa, dass es im Interesse der Eggleston Art Foundation mit Präsident William III und Vizepräsidentin Andra Eggleston lag, sie groß zu zeigen und die Möglichkeit bot, nach langen Jahren in Europa eine große Schau zusammenzustellen. Dafür griff C/O Berlin tief in die Tasche: Eggleston gilt als einer der teuersten Fotografen, neun Pigment-Drucke musste C/O Berlin außerdem bezuschussen, sowas läppert sich. Hoffmann hat die genauen Zahlen jetzt grade nicht parat, 90.000 Euro allein dafür waren es sicher. Dafür hängen hier jetzt Aufnahmen, aus denen Konturen und Farben scheinbar in die Ausstellungsräume hineindrängen, das Licht, das durch ein Flugzeugfenster fällt, verströmt erst seine irisierende Wärme, indem es sich im Cocktailglas mit Eiswürfeln bündelt. Es überträgt sich auf die Frauenhand und lässt einen wieder nach draußen blicken, auf das Blau der Ferne, das die Distanz umgibt. Farbsatt hängt im Raum eine ganze Parade von Vereinzelungen, die Moderne hat sich zwischen die Menschen gedrängt, die große Leere vernutzter Landschaft. Andra Eggleston zeigt auf einen kleinen, wenig funktional geformten Pool, das Grundstück grenzt an Felder, all das wirkt hoffnungslos. Wir stehen einen Moment, tatsächlich war es das Grundstück ihrer Großtante und ihres Großonkels in Mississippi. „Sie sind da umringt von Leere. Eines Tages entschließen sie sich, lass uns einen Pool bauen. Dieses Haus braucht einen Pool! Aber sie fühlen noch immer dieselbe Isolation in der Landschaft. Sie haben auf den Pool geschaut und gedacht, well, das hat überhaupt nichts besser gemacht.“ Exakt so sieht der Pool auch aus.„Dad hat eine untergehende Welt abgebildet“, sagt William Eggleston IIIWilliam III will zurück zu einem Überblick auf die Outlands: „Dad“, sagt er „hat eine verschwindende, untergehende Welt abgebildet.“ Darin liegt ein Bündel von Themen, die Eggleston en passant ins Bild rückt. Mit William Faulkner teilt er nicht nur Licht und den schwebenden Zustand zwischen Bewohnern des Südens, eine Alltagspoesie von Schildern und Schatten, beide schauen auch auf die rabiat zurückgedrängte Natur. Eggleston findet an ihrer Stelle Industrie-Farmen, Parkplätze, Tankstellen, allenfalls noch verwilderte Gärten. Man kann dabei an Robert Musil denken, im Mann ohne Eigenschaften hält er fest, dass das Leben eine Oberfläche bilde, „die so tut, als ob sie so sein müsste, aber unter ihrer Haut treiben und drängen die Dinge.“Placeholder image-2Manches Drängen hat William Eggleston weniger wahrgenommen. Man kann ihn unbedingt als einen fotografischen Anthropologen von Städten, Vororten und Zersiedelung bestaunen – wenn man aber Aufnahmen des nicht minder farbfreudigen, für Situationen wachen Gordon Parks danebenlegt, erkennt man, was Eggleston in den ausgehenden 60er und frühen 70er Jahren kaum sieht: Die Rassentrennung in Tennessee funktionierte wie im Rest der Südstaaten – neben sichtbaren Schildern, die Afroamerikaner*innen von Trinkfontänen, Parkbänken, den Haupteingängen von Restaurants fernhielten, konnte plötzliche Gewalt ausbrechen, brannten Kreuze in Vorgärten, wurden Menschen gelyncht. Eggleston schaut nicht auf solche Dinge. Nicht auf Demonstrationen, das Ringen um Macht, das vor seiner Haustür stattfand; das Aufbegehren gegen die alte, überkommene Ordnung, bei der der weiße Mann an der Spitze der Nahrungskette zu stehen habe, kommen bei ihm eigentlich nicht vor. Vielleicht ist das der Preis des Poetischen.Höchstens hängt da einmal ein Schild in einem Familienkombi – REGISTER COMMUNISTS, NOT GUN OWNERS. Die Aufnahme allerdings ist eine kleine Sensation, sie erinnert in der Komposition an eine der bekanntesten Eggleston-Fotografien, das riesengroße Spielzeugdreirad auf einer Vorort-Straße, in der Flucht Vorgärten, Ziegelmauern, vorn ein jauchzendes Versprechen in der Blickhöhe eines Kindes. Auch das Auto wird überlebensgroß, der Asphalt davor nimmt fast die Hälfte des Bildes ein, der Wagen wirkt wie die bedrohliche Elterngeneration der Dreiradeigners. William III läuft zurück, holt den Katalog der MoMa-Ausstellung von 1976, das Dreirad ist auf den Einband gedruckt. Die Fotografien müssen in direkter Folge entstanden sein. Das Dreirad stand genau vor dem Familienwagen, können wir jetzt erkennen. Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.