Zehn Jahre gelten nach der Faustregel als typische Dauer für die polit-ökonomischen Zyklen Argentiniens. Aufstieg, Absturz und Krise folgen aufeinander und zeitigen die entsprechenden Regierungen: sozialpopulistische wie die nach dem Staatsbankrott von 2001 an die Macht gekommenen Kirchners, oder neoliberale wie jene von Carlos Menem, der 1989 bis 1999 regierte – oder die von Mauricio Macri seit 2015. Es sind unselige Krisenzyklen, die regelmäßig Millionen Menschen in die Armut stoßen – aus der sie sich stets mühevoll wieder herauskämpfen müssen. Die Zyklen sorgen für die steigenden und fallenden Konjunkturen der beiden politischen Blöcke: (Neo-)Liberalismus und sozialer Korporatismus peronistischer Prägung. Der blutige Kon
Konflikt zwischen beiden ist inzwischen weitgehend demokratisiert, erschüttert das Land aber nicht weniger.Derzeit ist der Absturz dran, die Krise scheint vor der Tür zu stehen. Sie abzuwenden, ist keine leichte Aufgabe für den Präsidenten, dessen Wahlversprechen einer „Revolution der Freude“ für viele Argentinier längst zum Albtraum geworden ist. Die Inflation ist auf 27 Prozent geklettert, während die Arbeitgeber in den laufenden Verhandlungen mit den Gewerkschaften lediglich 15 Prozent Lohnerhöhung anbieten. Zu den Reallohnverlusten gesellt sich ein Anstieg der Lebenshaltungskosten. Der Abbau der Subventionen für öffentliche Güter wie Gas, Strom, Wasser und Nahverkehr war ein zentrales Projekt Macris, um die Staatsausgaben zu senken, dazu kamen die Entlassungen zahlreicher Staatsbediensteter. Bereits beim „tarifazo“ von 2016, wie die Erhöhungen genannt werden, stiegen die Preise für den Nahverkehr im Großraum Buenos Aires um 100 Prozent. Auch Strom- und Treibstoffpreise wurden angehoben, woraufhin sich an den Grenzen zu Paraguay und Brasilien kilometerlange Schlangen zum Tanken bildeten. Die letzten Erhöhungen gab es zum 1. Juni 2018, die nächsten drohen bereits im August. Mitten im Winter setzen vor allem die höheren Gaspreise vielen Haushalten zu.Dazu kommt eine Rezession, die mindestens zwei Trimester anhalten soll – wenn es nicht weiter abwärts geht. Grund für das Erlahmen der Wirtschaft ist nicht zuletzt die „globale Zinswende“ (der Freitag 24/2018), die jede Bemühung, die Schuldenlast des Landes zu verringern, konterkariert und einen Abzug ausländischen Kapitals ausgelöst hat.25 Pesos für einen DollarIm Mai sackte der Peso so weit ab, dass über 25 davon berappt werden müssen, um einen Dollar zu kaufen. Eine Wirtschaft, die stark vom Dollar abhängig ist und zugleich chronisch an einem Mangel desselben leidet, wird davon besonders hart getroffen. Die Folgen sind offensichtlich: Die Armut steigt. Hinter wenigen Prozentpunkten Veränderung stehen Hunderttausende Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, das Nötigste zu bezahlen, warnt das Observatorio de la Deuda Social der Katholischen Universität.Durch den Verlust der Kaufkraft der unteren Mittelschicht und der Notwendigkeit, einen immer größeren Teil des Einkommens für Heizung und Transportkosten auszugeben, fällt vor allem die Nachfrage im informellen Sektor und bei Kleinstunternehmen: Kleine Werkstätten, Kiosks, günstige Restaurants werden weniger Arbeit anbieten können, was noch mehr Menschen in Richtung Armutsgrenze drückt – oder darunter.Es wäre einerseits zu einfach, die derzeitige Lage einzig auf die Weltwirtschaft zu schieben beziehungsweise sie allein Macri anzulasten – wie das die argentinische Linke gerne tut. Die Probleme hatten sich bereits im letzten Mandat Cristina Kirchners abgezeichnet. Weshalb diese versucht hatte, Argentinien langsam wieder an die Finanzmärkte heranzuführen – nachdem ihr Vorgänger und Ehemann Néstor 2006 den Internationalen Währungsfonds (IWF) „aus dem Land geworfen“ hatte und sich beharrlich weigerte, einen Gutteil der alten Schulden zu begleichen.Lagarde lobtEine Überraschung war es also nicht, dass Macri im Mai bekannt gab, ein 50 Milliarden Dollar schweres Stand-by-Abkommen mit dem IWF schließen zu wollen. Eine Entscheidung, die umgehend Proteste auslöste. Viele erinnern sich nur zu gut an die Austeritätsprogramme der 1990er Jahre – an deren Ende nicht nur fast alles privatisiert war, was nicht niet- und nagelfest war, sondern außerdem die Staatskassen leer und über die Hälfte der Bevölkerung arm.Schon vor der jüngst gegebenen Zustimmung des Executive Board des IWF hatte dessen Chefin Christine Lagarde das von Argentinien vorgelegte Programm gelobt – und die Bemühungen, sozial Benachteiligte zu schützen, hervorgehoben. Der IWF geht mit wirtschaftsliberalen Regierungen in kriselnden Ländern traditionell nachsichtiger um als mit linken und dürfte Macri Handlungsspielraum lassen. Die mittlerweile sogar bis zum IWF durchgedrungene Kritik an harter Sparpolitik ohne Rücksicht auf die Konjunktur sollte eine Wiederholung vergangener Fehler zumindest teilweise verhindern. Macris Chancen, nächstes Jahr wiedergewählt zu werden, hängen empfindlich vom Erfolg des Programms ab. Derzeit sieht es schlecht aus. Aber zehn Jahre sind ja noch nicht vorbei.