Vorträge Der Sozialphilosoph Axel Honneth sprach drei Abende lang in einem Berliner Freiluftkino über die „Demokratische Theorie der Arbeitsteilung“ – leidlich eloquent
Wer in einer Demokratie lebt, geht wählen. Doch Analysen zeigen immer wieder: Nicht alle nutzen ihr Recht, nicht alle werden gehört, nicht alle haben gleichermaßen Teil an demokratischen Prozessen. Wer genauer hinsieht, stellt fest: Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen sozialer Stellung und demokratischer Teilhabe. Soziale Stellung bedeutet dabei nichts anderes als die Stellung im Produktionsprozess, die ein Individuum einnimmt. Weniger marxistisch ausgedrückt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Arbeit und Demokratie.
Genau diesem Zusammenhang widmete sich vorige Woche in drei Vorträgen der Sozialphilosoph Axel Honneth. Auf Einladung des Humanities and Social Change Center der Humboldt-Universität zu Berlin hielt Honneth die sogenannten Walter-Benja
lter-Benjamin-Lectures im Freiluftkino des Volksparks Hasenheide in Neukölln. Sie sollen namhaften Philosoph:innen die Gelegenheit bieten, einen Themenkomplex über drei Tage hinweg zu entfalten.Der Anerkennungs-HonnethAxel Honneth, der als einer der wichtigsten Köpfe der sogenannten dritten Generation der Frankfurter Schule gilt, wurde einst vor allem durch die Theoretisierung des Begriffs „Anerkennung“ bekannt, Thema nicht nur seiner Habilitation bei Jürgen Habermas 1990. Ein Umstand, auf den die Leiterin des einladenden Forschungszentrums Rahel Jaeggi in ihrer Vorstellung mit einer ironischen Wendung einging, die von Honneth selbst wiederum humorvoll in seiner Rede aufgegriffen wurde: „Jetzt kommt der Anerkennungs-Honneth.“Bezüglich der Frage des Zusammenhangs von Demokratie und Arbeit ging Honneth der These nach, dass die Art und Weise, wie eine Gesellschaft ihre Arbeit organisiert, aufteilt und honoriert, einen Einfluss darauf hat, ob sie demokratisch funktioniert. Sein Vorgehen entfaltete er durchaus mit beeindruckender Stringenz und Eloquenz. Ausgangspunkt bildete ein bestimmtes historisches Paradigma der Kritik an Arbeit. Schon Adam Smith und Hegel fürchteten, die kleinteilige, zerstückelte Arbeit, die sich im Zuge der Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise in den westlichen Ländern durchsetzte, verunmögliche es den Arbeitenden, am gesellschaftlichen Ganzen, dem Politischen teilzuhaben.Arbeit sei also nicht als Zweck an sich, sondern als Zweck für die Demokratie zu betrachten. Damit dieser Zweck erfüllt werden kann, muss nicht jede Arbeit sorglos sein, aber ein Minimum erfüllen, das sich Honneth zufolge in vier Kategorien ausdrückt: Ökonomie, Zeit, Psychologie und Soziales. Das heißt: Die Arbeiter:innen brauchen mehr Geld, Freizeit, Selbstbewusstsein und demokratische Praxis, um bei der Demokratie mitzumachen.Und das ist sie dann schon, die Quintessenz des Honneth’schen Vortrags. Die folgenden Tage sind der Erörterung der Realität der gesellschaftlichen Arbeit sowie möglichen Lösungen gewidmet. Doch auch die Tendenzen, die Honneth in gegenwärtigen Arbeitsprozessen zu erkennen glaubt, vermögen nicht zu verblüffen: dass die fortschreitende Isolierung der Arbeiter:innen, die Zerstückelung der Arbeitsbiografien, die Entstofflichung der Arbeit durch Digitalisierung und die Prekarisierung ehemals sozial abgesicherter Berufsgruppen die Arbeit der Gegenwart prägen, kann ja gerade in einer Stadt wie Berlin niemand übersehen. Der Eindruck, dass hier eher ein müdes Manuskript als ein machtvolles Manifest zum Vortrag kam, drängt sich auch angesichts dessen auf, dass Honneth von der erschwerten Organisierung der Arbeiter:innen in ihrer Vereinzelung sprach, während nur wenige Tage zuvor Fahrer:innen des Lebensmittel-Lieferdienstes Gorillas aus Anlass der Kündigung eines Kollegen in einen politischen Streik getreten waren (siehe Seite 18). So verwundert nicht, dass dem Philosophen wenig mehr einfällt, als was auch der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert: mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz, höhere Mindestlöhne und Arbeitszeitverkürzung, kurz: verbesserte Arbeitsbedingungen.Es ist nicht so, als sei radikale Kritik von einem zu erwarten, der beim wohl institutionengläubigsten Philosophen seit Hegel habilitiert hat. Doch wem das Etikett der Kritischen Theorie anhaftet, der muss sich an den geistigen Ahnen messen lassen. Schon Marx schrieb im dritten Band des Kapitals: „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.“ Das Programm der Kritik der Verhältnisse unter der Herrschaft des Kapitals muss die Abschaffung der Arbeit sein, nicht ihre reglementarische Einhegung; das wäre Sozialdemokratismus.Auch wenn man den kommunistischen Maßstab beiseitelässt und Honneths Vortrag als den Linksliberalismus ernst nimmt, als der er zu erwarten war, lässt sich nicht übersehen, dass hier einer, der als Großer gilt, eher recht kleine, weil längst bekannte Gedanken von sich gibt. Das war eher ein mit philosophischen Bemerkungen versehener Forschungsbericht der Arbeitssoziologie der letzten Jahre. So schrumpfte in diesen drei Tagen – wie einst in der Genealogie der Kritischen Theoriker die Marxisten zu Reformern – der berühmte Anerkennungs-Honneth zum leidlich eloquenten DGB-Axel.
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