Michel Houellebecq, Chems-Eddine Hafiz und Frankreichs jüngstes Drama
Frankreich Der Schriftsteller Michel Houellebecq führt ein Gespräch mit einem anderen sich radikalisierenden älteren Herrn, u.a. über den Islam. Was folgt, ist ein Drama in drei Akten, das viel über das Frankreich der Gegenwart verrät
Dargeboten wurde ein Drama, das zu dem populären Genre „Älterer Herr radikalisiert sich“gehört
Foto: Philippe Matsas/Opale.Photo/Laif
Ein Moslem, ein Jude und ein Atheist gehen einen Kaffee trinken – was wie der Beginn eines Witzes klingt, ist der reale letzte Akt der jüngsten Affäre um den französischen Schriftsteller Michel Houellebecq. Die Rollenverteilung in der Posse geht so: Houellebecq gibt den Atheisten mit nostalgischen Gefühlen für den Katholizismus vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Sein Gegenspieler ist Chems-Eddine Hafiz, Anwalt und Rektor der Großen Moschee von Paris. Den Vermittler mimt Haïm Korsia, Oberrabbiner Frankreichs. Er lud die beiden Donnerstag vorige Woche, neun Uhr, zum Kaffee ein.
Aber eins nach dem anderen – zurück zum ersten Akt dieses Dramas, das zum populären Genre „Älterer Herr radikalisiert sich“ gehört. Vorh
6;rt. Vorhang auf. Im November erschien eine Sonderausgabe der Zeitschrift Front Populaire, 2020 von Michel Onfray gegründet. Der Name soll an die Volksfront-Regierung von 1936 erinnern, doch wer bei der Selbstbezeichnung der Zeitschrift als „souveränistisch“ an das deutsche Magazin Compact denkt, liegt eher richtig. Onfray ist auch so ein radikalisierter älterer Herr. Seine Haltung gegen Liberalismus, Globalisierung und die Europäische Union, für nationale Souveränität und die einheimische Arbeiterklasse, ist auch in Teilen der französischen Linken (und nicht nur dort) durchaus salonfähig.In der Ausgabe fand sich ein über 40 Seiten langes Gespräch zwischen Onfray und Houellebecq. Thema: der Untergang des Abendlandes. Darin spielen sie das Pingpong der neurechten Spenglerei. Onfray beklagt „den Fall des Christentums“ und den „Selbsthass“ der Franzosen, die an der Abschaffung ihrer eigenen Identität mitwirken würden. Houellebecq zeiht die Moderne einer unvermeidlichen Selbstzerstörung und nennt den „großen Austausch“ der europäischen durch eine afrikanische Bevölkerung einen „Fakt“ – glaubt allerdings nicht an den antisemitischen Kern dieser Verschwörungstheorie, wonach dahinter eine sinistre Elite stecken würde. Das Problem sei dabei nicht die mangelnde Assimilation – die einheimische französische Bevölkerung, die „Français de souche“, wollte nur, dass „die Muslime“ aufhören, sie zu bestehlen oder anzugreifen – oder eben, dass sie weggehen. Aber: Man könne schon feststellen, dass „die Leute“ sich bewaffnen, und wenn eines Tages „ganze Gebiete unter islamistischer Kontrolle sind“, werde es zu „Akten des Widerstands kommen“, also: „Anschläge und Schießereien in Moscheen, in von Muslimen besuchten Cafés, kurz, umgekehrte Bataclans“.Bloß keinen Wirbel machenAuftritt Chems-Eddine Hafiz: „Diese lapidaren Sätze Michel Houellebecqs sind inakzeptabel und von einer verblüffenden Brutalität“, erklärte er Ende Dezember in einer Pressemitteilung der Großen Moschee von Paris. Houellebecq stelle eine „essenzielle Opposition“ zwischen „den Muslimen“ und „den Français de souche“ her und behaupte, „dass die Muslime keine wahren Franzosen sind“. Und deshalb erstatte er Anzeige gegen Houellebecq wegen Aufstachelung zum Hass gegen Muslime.Hafiz und Houellebecq sind alte Bekannte. Schon vor 20 Jahren hatte Hafiz den Schriftsteller angezeigt. Stein des Anstoßes war dessen Aussage: „Die dümmste aller Religionen, das ist schon der Islam.“ Damals solidarisierten sich viele Intellektuelle mit Houellebecq und er wurde freigesprochen. Doch das gesellschaftliche Klima in Frankreich hat sich seither verändert.Erstens hat sich Frankreich nach rechts entwickelt, abzulesen nicht zuletzt an den Wahlergebnissen des Rassemblement National. Zweitens wurde die alte, laizistische Linke aufgerieben – viele ihrer Vertreter sind inzwischen Liberale oder Rechte. Drittens entstand eine neue Linke, die unter dem Banner des Antirassismus in den Kampf gegen „Islamophobie“ zieht und dabei den Islamismus ausblendet. Und viertens hat dieser gezeigt, dass er alles andere als ausgeblendet werden sollte.Diese Gemengelage erklärt, warum weder aus der Politik noch vonseiten französischer Intellektueller viele Solidaritätsbekundungen für den einen oder den anderen zu vernehmen waren. Das Magazin Le Point zitierte einen anonymen Politiker aus den Reihen der Regierung: „Michel Houellebecq hätte das niemals sagen sollen und Chems-Eddine Hafiz hätte sich niemals in diese juristische Auseinandersetzung begeben sollen.“ Das drückt die Stimmung ganz gut aus: bloß keinen Wirbel machen um den Islam.Einerseits nämlich wäre die Lage juristisch nicht einfach. Zwar fallen Houellebecqs Äußerungen nicht so eindeutig unter die Meinungsfreiheit wie 2002. Sie beziehen sich auf „die Muslime“. Doch er macht gar nicht deutlich, ob er die geschilderten Szenarien wünscht oder fürchtet. Allerdings gehen die Aussagen so weit, dass sie als „dog whistling“ bezeichnet werden können: Die Verwendung bestimmter Formulierungen oder suggestiver Stichworte, die zwar schwer angreifbar sind, einem bestimmten Publikum aber eine klare Botschaft schicken. In diesem Fall wäre das: Es gibt zu viele Muslime in Frankreich und „echte“ Franzosen sollten sich wehren.Ob man nun, wie der Romanist Markus Messling im Interview mit dem Deutschlandfunk, auch Houellebecqs Bücher einer „Ästhetik von rechts“ zuordnet oder darin eine Hoffnung spendende „Ästhetik des Trostes“ sieht, wie sie die Literaturwissenschaftlerin und Houellebecq-Expertin Agathe Novak-Lechevalier genannt hat – dass der Autor Houellebecq sich regelmäßig als Rechter outet, darf man nicht übersehen. Und wer für die Trennung von Werk und Autor plädiert, sollte den Autor als Intellektuellen ernst nehmen, und ihm nicht als schriftstellerische Fantasterei durchgehen lassen, was explizit politische Handlungen sind.Andererseits gibt es (nicht nur) in Frankreich ja gute Gründe, im Wortsinne islamophob zu sein – also Angst zu haben vor einer Religion, die immer wieder Vertreter hervorbringt, die den fünften Vers der neunten Sure ("Tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet") ernst nehmen. Der Fall des Lehrers Samuel Paty, den ein Islamist im Oktober 2020 enthauptete, weil er im Unterricht zur Aufklärung über Meinungsfreiheit Mohammed-Karikaturen gezeigt hatte, war dafür ein bitteres Paradebeispiel. Er machte deutlich, wie weit islamistische Einstellungen verbreitet sind (der Vater einer Schülerin hatte seine Entlassung gefordert), und wie bereitwillig linksliberale Franzosen die Meinungsfreiheit aufgeben, wenn es um den Islam geht (Kollegen hatten sich öffentlich von Paty distanziert).Um dem Islamismus das Wasser abzugraben, bemüht sich der französische Staat darum, den Islam selber zu politisieren: als liberal, republikanisch, verfassungstreu. Eine wichtige Rolle spielt dabei – Chems-Eddine Hafiz. Er unterhält gute Kontakte zu Innenminister Gérald Darmanin, veröffentlichte 2021 ein Buch mit theologischen Argumenten gegen den Islamismus und unterstützte die Wiederwahl Emmanuel Macrons. Seine Anzeige gegen Houellebecq begründete er damit, dass Gerichte der richtige Ort für solche Debatten seien. Als wolle er sagen: Seht her, wir enthaupten nicht, wir glauben an den Rechtsstaat!Rechtsstaat und TerrorDoch Hafiz wollte schon einmal per Rechtsstaat die Frage klären, ob gewisse Kritik am Islam erlaubt sein sollte – als Anwalt der Großen Moschee von Paris zeigte er 2006 Charlie Hebdo wegen ebenjener Karikaturen an, die ein Terrorkommando 2015 dazu veranlasste, die Redaktion der Satirezeitschrift nahezu auszulöschen.Es ist also nur ein wenig übertrieben, wenn der Philosoph Alain Finkielkraut davon spricht, Houellebecq sei „ein Ziel“ geworden, und sagt: „Wenn es eine Anstiftung zum Hass gibt, dann nicht in den Äußerungen des Autors – so schockierend sie auch sein mögen–, sondern in der strafrechtlichen Verfolgung, die gegen ihn eingeleitet wurde.“ Bei Paty stand am Anfang eine Untersuchung der Dienstaufsicht.Man kann nicht erwarten, dass jemand darauf verzichtet, sein Recht durchzusetzen, aus Angst davor, dass Dritte darin einen Aufruf zur Gewalt sehen. Doch eine solche Anzeige kann den Eindruck vermitteln, es gäbe Grund, sich als Muslim in seinen religiösen Gefühlen verletzt zu sehen, und so eine ähnliche Wirkung wie „dog whistling“ haben. Hafiz’ Kampf gegen den Islamismus in allen Ehren – so leicht lässt der sich vom Alltagsislam eben nicht trennen. Doch Houellebecqs Auftritte als Schmunzelfascho helfen auch niemandem.Ein Glück also, dass diese Farce nicht zur Tragödie wurde. Nun, letzter Akt, Auftritt Haïm Korsia. Nach dem Treffen tat Houellebecq kund, seine Äußerungen seien „ambivalent“ und er wolle sie für die Buchfassung des Gesprächs überarbeiten, damit sie nicht verletzend seien. Hafiz lässt dafür die Anzeige ruhen, vorerst. Vorhang zu.