Voll schlimm

Volksbühne Interimsdirektor Thorleifur Örn Arnarsson tut es nicht unter Homers „Odyssee“. Es gibt ganz viel Krieg, Körper und Konfetti. Was das soll, erschließt sich nicht
Ausgabe 38/2019

Von Heraklit stammt der Satz, dass der Krieg der Vater aller Dinge sei. So es den Trojanischen Krieg gegeben hat, ist er mittels Homer immerhin Vater zweier der wichtigsten Versepen der abendländischen Kultur: der Ilias und der Odyssee. Doch wie das so ist mit den Kindern der Väter: nicht alle geraten gleichermaßen zum Ruhme der Familie. Die Inszenierung der Odyssee – „nach Homer“ – mit der an der Volksbühne vergangenen Donnerstag die neue Spielzeit startete, ist genau so ein Fall.

In den beinahe vier Stunden hat Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson, der die Fassung gemeinsam mit Mikael Torfason geschrieben hat, sich immerhin jede Mühe gegeben, dick aufzutragen. Es beginnt mit einer sehr langen Tanzperformance. In hautfarbene Streifen gekleidet und mit satten Bässen und Live-Musik (Gabriel Cazes, Damiàn Dlaboha, Sir Henry) angetrieben, tanzen zahllose Leiber eine von vielen kleinen Asynchronitäten geprägte Choreografie und rezitieren dabei – ja, was eigentlich? Verständlich ist das nicht wirklich, aber es wird schon klar, dass hier gerade Krieg tobt, Krieg um Troja. Bevor die Befürchtung (im Nachhinein muss man fast sagen: die Hoffnung) aufkommt, dass es jetzt vier Stunden lang so geht, ist der Krieg vorüber. Dieser eine jedenfalls.

Irgendwie Afghanistan

Das Bühnenbild von Daniel Angermayr ist kolossal, im Lauf des ersten Teils verwandelt es sich peu à peu in ein Schlachtfeld. Niedergetrampelt von Penelope (Johanna Bantzer), Odysseus‘ ausharrender Frau, die ihren Sohn Telemachos (Nils Strunk), der sehr pubertär an einem Vaterkomplex nagt, vulgär beleidigt; von einem jammernden Odysseus (Daniel Nerlich) und nicht zuletzt von Menelaos (Theo Trebs) und Helena (Jella Haase), die mit einem durchlöcherten Panzer auf die Bühne rollen. Helena schwenkt die rote Fahne und schreit nach „Gerechtigkeit“, Menelaos schwadroniert von Rindfleischdiäten und präsentiert seinen Körper. Irgendwann hängt auch mal ein Elefant über der Bühne, sowie ein Gedicht von Heiner Müller (es ist immer noch die Volksbühne!), es fließt eine Menge weiße und rote Farbe, der Panzer schießt Konfetti ins Publikum und während die Musik wieder ordentlich wummert (die am Einlass bereitstehenden Ohrstöpsel waren eine Warnung) wird eine endlose Liste von bewaffneten Konflikten und ihrer Opferzahlen von den Perserkriegen bis heute vorgetragen. Zynischer body count? Ja, aber dennoch der erste und einzige Moment in diesem Stück, an dem sogar so etwas wie Gänsehaut entstehen kann. Eine Gänsehaut, mit der Dampfwalze aufgebracht. Zynisch wirkt hier ohnehin alles, zynisch und postheroisch. Die Kopplung an einen penetranten Pazifismus hebt beides jedoch auf, allerdings ganz undialektisch in ein dröhnendes Nichts.

Wer nach der Pause nicht geht, wird sogleich mit dem stilistischen Tiefpunkt belohnt: Trump, Kennedy und Clinton baumeln übergroß in der Luft, als nackte Kerle mit erigierten Penissen, inklusive baumelndem Spermatropfen. Ja, scheinbar glaubt man immer noch, im Jahr 2019 mit Penissen im Theater irgendwas anderes auszulösen, als müdes Augenrollen – und das wäre schon zu viel des Guten. Darunter wird biografisch über den Afghanistankrieg sinniert, der aus nicht erfindlichem Grund als modernes Abziehbild des Trojanischen herhalten muss. Torfasons Bruder hat dort gekämpft aber wie alle anderen Dialoge, die die zweite Hälfte bestimmen werden, trägt auch dieser nirgendwo wirklich hin.

Es wird ruhiger, müde. Was bleibt nach Gewaltmarsch und Durststrecke? Naja, irgendwas mit Krieg, klar. Doch was? Alles wird eingeebnet: alle Kriege sind irgendwie schlimm und es wird niemals aufhören. Da reihen sich die Toten des Zweiten Weltkriegs ein zu denen des Vietnamkriegs oder des Nahostkonflikts. Kontext ist was für Langweiler, damit lassen sich keine großen Bilder bauen. Wer braucht schon Geschichte? Denn wer ist nicht gegen Krieg?

Freilich sind Kriege zuvörderst amerikanische Kriege – so viel muss man dem linksdeutschen Publikum im Saal schon gönnen – davon zeugen nicht nur die Pimmel-Präsidenten in ihrer monumentalen Würdelosigkeit. In der Ankündigung zum Stück heißt es: „Echos des Krieges – in Afghanistan und Vietnam – hallen nach. Oder hat die Wirklichkeit den Mythos in seiner nicht linearen Komplexität längst eingeholt?“ So hochgestochen muss das klingen, will man verdecken, dass im Stück in Wirklichkeit gar nichts eingeholt, sondern vor allem weit ausgeholt wird, um ordentlich auf die Kacke zu hauen. Eine Form, die das Theater eigentlich überlebt haben sollte.

Thorleifur Örn Arnarsson, 1978 in Reykjavik geboren, absolvierte ein Regiestudium an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin und hat sich als Mythenaktualisierer bereits einen Namen gemacht. Es sind die großen Texte, an die er ran will: Shakespeare, Wagner, Brecht, die Edda, er bringt sie alle auf die Bühne. Die bietet ihm nun Interimsintendant Klaus Dörr, der den Isländer zum Schauspieldirektor der Volksbühne ernannte. Bis zum Ende der Spielzeit 2020/21 wird er also prägend sein für die Volksbühne Berlin. Damit der dann erfolgende Übergang zur Intendanz von René Pollesch nicht nur als Erlösung empfunden wird, muss noch einiges geschehen. Gutes Theater zum Beispiel.

Info

Eine Odyssee Mikael Torfason, Thorleifur Örn Arnarsson (Regie), Volksbühne Berlin

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