Wer entwickelt hier wen?

Weltwärts Seit zehn Jahren schickt die Bundesregierung Freiwillige in Sozialprojekte im globalen Süden. Das Ganze ist ein Subventionsprogramm für Mittelschichtskids auf Sinnsuche
Eine echte Erfolgsgeschichte?
Eine echte Erfolgsgeschichte?

Foto: imago/Phototek

Jubiläen sind Momente der Selbstbeweihräucherung, das ist klar. Nach Jahren der Arbeit kann man innehalten, zurückblicken, sich freuen, über Fehler lachen – und dann weitermachen wie bisher. Dieses Wochenende ist das den Beteiligten eines vor zehn Jahren ins Leben gerufenen Programms vergönnt: „weltwärts – der entwicklungspolitische Freiwilligendienst“ wurde im Januar 2008 von der damaligen Ministerin für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul ins Leben gerufen. Die SPD-Politikerin entsandte die ersten 50 Freiwilligen mit folgenden Worten in die Welt: „Mit Ihrer Entscheidung für weltwärts tragen Sie dazu bei, dass es in der Welt ein Stück gerechter zugeht.“

Nun, zehn Jahre und zwei Ministerwechsel später, lobt ihr Nachfolger Gerd Müller (CSU) die Arbeit: „Zehn Jahre weltwärts: zehn Jahre Begegnungen, zehn Jahre Miteinander für eine bessere Welt! Eine echte Erfolgsgeschichte!“ Mehr als 34.000 Menschen haben seitdem an dem Programm teilgenommen, „sie alle leben das globale Dorf“, glaubt der Minister.

Das Besondere an Weltwärts im Vergleich zu kommerziellen Anbietern von Freiwilligendiensten ist, dass die Teilnahme nicht vom Geldbeutel der Bewerber abhängen soll. Das Besondere im Vergleich zu anderen Programmen wie dem Internationalen Jugendfreiwilligendienstes des Bundesfamilienministeriums ist, dass die Entsendung nur in Länder des sogenannten Globalen Südens erfolgt. Entwicklungs- und Schwellenländer, in denen der allergrößte Teil der Freiwilligen mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, oft in Situationen großer Armut und Gewalt.

Hört man die Minister sprechen, ist es natürlich eine Erfolgs-Bilanz: allein die Teilnehmerzahlen sprechen Bände. Seit 2013 gibt es sogar eine „Süd-Nord-Komponente“, die es Jugendlichen aus besagtem Globalem Süden ermöglicht, einen Freiwilligendienst in Deutschland zu absolvieren. Auf 34.000 Nord-Süd-Absolventen kommen insgesamt erkleckliche 1.500 Süd-Nord-Freiwillige. Das Problem ist allerdings: diese Komponente stellt wahrscheinlich den einzig wirklich sinnvollen Aspekt des Weltwärts-Programms dar.

Augenwischerei und Zynismus

Ehrlich betrachtet besteht der Name „entwicklungspolitischer Freiwilligendienst“ zu drei Vierteln aus einer Lüge. Der einzige Namensbestandteil, dem nicht abgesprochen werden kann, zu stimmen, ist das Wörtchen „freiwillig“. Tatsächlich gibt es keine Hinweise darauf, dass die Teilnehmer unter Zwang an dem Programm teilnehmen. Doch alles andere ist Augenwischerei. Wenn man im Ministerium davon spricht, es gehe um eine „gerechte Welt“, dann ist das nicht nur eine maßlose Überschätzung der Entsendeten, sondern im Grunde zynisch.

Denn was ist Weltwärts eigentlich? Die meisten Teilnehmer sind jung und haben gerade ihr Abitur abgelegt. Sie kommen aus deutschen Mittelschichtsfamilien, haben je nach Kontext unterschiedliche Ideale und Motivationen. Da die Abwicklung nicht direkt durch Weltwärts erfolgt, gibt es zahlreiche Entsendeorganisationen, die für jede Motivation etwas anbieten: christliche Verbände, säkulare Organisationen, Anthroposophen. Die Kosten trägt zum größten Teil das Ministerium, die Teilnehmer müssen einen gewissen Betrag an Spenden eintreiben, was jedoch gleichzeitig keine ausschließende Bedingung ist. Beratung, Betreuung, Vor- und Nachbereitung – all das obliegt den einzelnen Entsendeorganisationen und unterliegt damit gewissen Qualitätsschwankungen.

Da werden also Tausende unausgebildete, naive Jugendliche jedes Jahr mit Hilfe großer Summen Steuergelder in den Globalen Süden geschickt, um sich dort zu „engagieren“, wie es auf der Webseite des Programms heißt. Für viele dürfte es ihr erstes Mal außerhalb Europas sein, für noch mehr der erste Aufenthalt in einem armen Land. Die Zusammenhänge, in die einzelne Freiwillige kommen können, sind höchst unterschiedlich: vom Township in Südafrika bis zum Öko-Tourismus im Amazonas kann alles dabei sein.

Und inwiefern ist das jetzt „entwicklungspolitisch“? Anders gefragt: was haben die empfangenden Organisationen davon? Genau: nicht sehr viel. Zwar gibt es zahllose Regeln, die verhindern sollen, dass der Dienst den Empfängern zum Nachteil gereicht. Dazu gehört neben einer gewissenhaften Auswahl der Freiwilligen die Regel, dass sie vor Ort keine Arbeitsplätze ersetzen dürfen. Das heißt, sofern es überhaupt stimmt, im Umkehrschluss allerdings, dass sie keine „notwendige“ Arbeit verrichten dürfen. Freiwillige sollen Extras sein, die zum Beispiel nette Bastelworkshops anbieten. Tatsächlich bedeuten sie in aller Regel für die Empfänger jedoch eins: Arbeitm – wie jeder Praktikant, plus schwerer Kulturschock und oft mangelnde Sprachkenntnisse. Nach einer langen Einarbeitungszeit folgt meist ein einmonatiger Urlaub, dann ist es nach wenigen Monaten schon wieder vorbei. Nach etwa vier Wochen Pause kommt die nächste Ladung.

Reiche Gäste

Dabei sind die Jugendlichen Teil eines staatlichen Programmes und Mama und Papa zu Hause wollen ja (zurecht), dass es den Kindern gut geht. Wenngleich also in der Regel starke Einbußen im Lebensstandard hinzunehmen sind, kommt es nicht selten vor, dass Freiwillige dank übernommener Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Taschen- und Kindergeld über mehr Einkommen verfügen als einige Kollegen. In Ländern wie Paraguay kommt man beispielsweise mit 100 Euro für Verpflegung, 100 Euro Taschengeld und 190 Euro Kindergeld auf etwa 2,6 Millionen Guaraníes – der Mindestlohn liegt bei 2,1 Millionen.

Warum die Empfänger dann überhaupt Freiwillige aufnehmen? Die Gründe sind mannigfaltig und oft gut. Sowieso geht es nicht darum, hehre Intentionen in Abrede zu stellen. Die meisten jungen Menschen gehen voller Elan an die Arbeit – und machen einen guten Job, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Auch als Selbstfindungstrip ist so ein Dienst vollkommen legitim. Die Erfahrung ist es allemal wert. Aber ein Beitrag zur Entwicklungshilfe ist Weltwärts nicht. Wenn man mal von der konkreten Devisenübertragung absieht, die durch die Ausgaben der Freiwilligen vor Ort stattfindet, ist die „Richtung“ des Dienstes eigentlich eine ganz andere: unausgebildete, junge Leute aus Deutschland reisen, vom Steuerzahler gefüttert, in den Globalen Süden, um dort von engagierten Kolleginnen und Kollegen in ihrem Reifeprozess unterstützt zu werden. Wer entwickelt wen? Einmal nach Hause zurückgekehrt, engagieren sie sich womöglich in entwicklungspolitischen Zusammenhängen, aber vor allem prangen die Worte „Auslandsaufenthalt“ und „Freiwilligendienst“ im Lebenslauf. Wer daraus Kapital schlägt, sind die in Arbeitnehmer transformierten Jugendlichen, nicht die Empfängerländer. Die Kinder und Jugendlichen dort haben vielleicht ein paar nette, womöglich sogar inspirierende Gespräche geführt – an ihrer Situation ändern die Freiwilligen in der Regel wenig bis gar nichts. So gesehen ist Weltwärts keine Maßnahme der Entwicklungspolitik, wie der Name zumindest suggeriert, sondern ein Subventionsprogramm für Sinn suchende Mittelschichtskinder.

Denen ist daraus allerdings kein Vorwurf zu machen. Nicht nur, weil es, wie bereits erwähnt, nicht um die Kritik von Intentionen, sondern von Strukturen geht. Die meisten Menschen, die auf den verschiedenen Ebenen an der Verwirklichung des Programms beteiligt sind, leisten erstklassige Arbeit. Die Vorbereitung vieler Organisation ist so gut, dass die meisten Freiwilligendienste erfolgreich verlaufen – oder zumindest nicht im Desaster enden. Selbst die hier vorgebrachten Kritikpunkte an Weltwärts spielen in Vorbereitungsseminaren oft eine Rolle, gern wird dort etwa der Text "Ego-Trip ins Elend" aus dem Jahr 2008 herumgereicht. Das Perfide daran ist indes, das durch die zunächst deprimierende Selbstkritik ein Effekt der Läuterung ausgelöst wird. Im Sinne eines „jetzt erst recht“, wird noch die harscheste Kritik zur Rechtfertigung des eigenen Tuns herangezogen – denn man hat es ja „reflektiert“.

Ist es das wert?

Davon abgesehen gibt es allerdings immer wieder Fälle, in denen der Dienst nicht „gut“ ausgeht. Über alle Stränge schlagende post-pubertäre Jungs sind da noch das geringste Problem und leider ein nicht zu vermeidendes Übel. Die kann man vorzeitig nach Hause schicken. Viel tragischer ist, dass kaum bedacht wird, welche psychischen Folgen es für 18-Jährige haben kann, aus dem trotz aller Probleme wohlhabenden Deutschland (zumal die meisten Teilnehmer ja nicht aus Orten wie Duisburg-Marxloh, sondern eher aus Gegenden wie der bayrischen Provinz kommen) in eine Situation verfrachtet zu werden, die sie mit krasser Armut und Gewalt konfrontiert. Gewiss, auch das wird in jedem Seminar thematisiert und in einer ausgeprägten Form des „poverty porn“ mag dies sogar Teil mancher Motivation sein. Doch was es wirklich heißt, mit drogenkranken Jugendlichen zu Mittag zu essen, Kinderpornografie von Handys zu löschen, von Polizisten zugefügte Platzwunden zu verarzten und schwangere Teenager zum Krankenhaus zu begleiten – darauf kann einen niemand vorbereiten.

Bei schweren Krisen können kollektive Antworten gegeben werden. So wurden beispielsweise im Mai alle Freiwilligen aus Nicaragua zurückgeholt, weil die Lage vor Ort zu brenzlig wurde. Doch alltägliche Mikrotraumata, die entweder durch eigene Gewalterfahrungen oder durch emotionale Überforderung entstehen, bleiben oft unbemerkt. Sicher, in den Fällen, in denen sich Freiwillige umgebracht haben, bestanden in der Regel psychische Vorerkrankungen – diese nicht erkannt und bedacht zu haben, macht das Armutszeugnis indes nicht weniger schwerwiegend. Doch längst gibt es Berichte über Freiwillige mit posttraumatischer Belastungsstörung, selbstverletzendem Verhalten und Depressionen. Ist es das wert?

„Eine echte Erfolgsgeschichte“ also, wie sich Minister Müller ausdrückt? Für wen? Wie groß wäre eigentlich der Erfolg, wenn die Millionen, die in Weltwärts gesteckt werden, in echte Entwicklungshilfe flössen? Oder in Bildungsprogramme in Deutschland? Muss der Staat Jugendlichen ihren Selbstfindungstrip finanzieren? Viele Organisationen haben inzwischen das Ganze umetikettiert, und auch auf der Homepage von Weltwärts ist man selbstkritisch: es handle sich um einen Lerndienst. Das ist wenigstens ehrlich.

Leander F. Badura hat 2013 einen Weltwärts-Freiwilligendienst in Paraguay absolviert

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