Feministisch Handeln mit The Knife

Genderkolumne Es ist da, es ist groß und es ist sperrig. Das neue Album von The Knife buchstabiert das politische Interesse des schwedischen Geschwisterpaars aus und begeistert
Das schwedische Pop-Duo The Knife auf der Schaukel
Das schwedische Pop-Duo The Knife auf der Schaukel

Foto: dpa

So wie Shaking the Habitual muss es wohl sein, das Album, das alle Wünsche der Gender-und-Popkultur-Kolumnistin erfüllt. Denn bei dem neuen Album von The Knife, müssen nicht nach einer queeren Lesart gesucht oder die Pro und Contras abgewogen werden. Hier kann man musikalisch wie politisch aus den Vollen schöpfen. Ganz nebenbei zeigt es, wie feministisches Handeln funktioniert.

Kurz zurück zum Beginn: Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer machen schon seit 1999 zusammen Musik und traten spätestens mit ihrer zum Hit gewordenen Single Heartbeats vor ein großes Publikum. Einen Hang zum Spiel mit Geschlechternormen findet sich schon immer bei dem Duo. Das wird zum Beispiel bei Hangin' out vom 2003 erschienenen, noch sehr eingängigen und Synthpop-lastigen Album Deep Cuts deutlich. In dem Song wird männliches Dominanzgehabe im Beruf thematisiert. Und zwar mit einer so nachbearbeiteten und entnaturalisierten Stimme von Dreijer Andersson, dass häufig angenommen wurde, ihr Bruder singe. Stattdessen nimmt sie im Song die Mackerposition ein und führt dessen Verhalten vor. Aber auch bei Awardshows sorgten sie für feministische Statements. Zum Beispiel, als das Soloprojekt Fever Ray von Dreijer Andersson in Schweden ausgezeichnet wurde – die Dankesrede sagt alles:

Mit dem darauf folgenden Album Silent Shout aus dem Jahr 2006 wurde der Sound elektronischer, düsterer und erfolgreicher. Das brachte den Musiker_innen jedoch keine Bestätigung, sondern Selbstzweifel und Erholungsbedarf. Fast sieben Jahre sollten vergehen, bis das Duo jetzt mit seinem vierten Album Shaking the Habitual zurück ist – und ziemlich viel infrage stellt, was The Knife ausmachte.

Raus aus der Komfortzone

Das Album ist hörbare Verweigerung, die dezidiert Gesellschaftskritik formuliert – an Patriarchat, Rassismus, Kapitalismus, natürlich inklusive Musikindustrie. Die Platte und ihr Entstehungsprozess sind Fortführung der anfänglichen Inspiration in Texten aus dem Bereich der Queer Studies. Der Titel Shaking the Habitual stammt von einem Zitat Michel Foulcaults, dem Held der Diskurstheorie. Er bezieht sich auf den Wunsch, gesellschaftliche Normen zu überschreiten und Verunsicherung zu schaffen. Diese theoretischen Gedanken – von feministischer Theorie über Postcolonial und Critical Whiteness Studies bis hin zu fiktionalen Texten wie denen von Jeanette Winterson – führen sie so gekonnt in ihrer Musik, in der visuellen Umsetzung und ihrer Arbeitsweise weiter, dass ich mehr als beeindruckt bin. So sieht feministisches Handeln aus.

Das erste Video zu Full of Fire vom neuen Album zeigt dies deutlich. Es handelt sich um einen Kurzfilm, der mit einer hohen Dichte verschiedener Geschlechterdarstellungen aufwartet und von der Filmemacherin Marit Östberg gedreht wurde. Die kennt eine_r vielleicht von der feministischen Pornosammlung Dirty Diaries. Dazu sagt Dreijer im Interview: „Die Art, wie wir unsere musikalischen Projekte organisieren, ist ein Weg, politisch zu sein. Besonders seit der Arbeit an diesem Album ist uns das bewusst geworden und stellt eine große Veränderung dar. Zum Beispiel hatten wir früher nur Männer als Videoregisseure oder in unserer Tour-Crew. Das ist jetzt anders.“ Genauso legen sie Wert auf eine Arbeit im Kollektiv mit anderen Künstler_innen – hier ist kein weißes, männliches Genie sondern eine Gemeinschaft am Werk. Die eigene Arbeitsweise kritisch zu hinterfragen und die Verantwortung, die mit einer machtvollen Position einhergeht, ernstzunehmen, ist ein wichtiger Schritt für feministisches und solidarisches Handeln.

Klare Ansage

Aber auch der Mut und der Wunsch klare politische Aussagen zu formulieren und seine musikalischen Werke zu erklären, widerspricht dem, was in der Popkultur, in Zeiten überschwemmender Ironie und wissenschaftlicher Verklausulierung üblich ist. So kann unter dem Full-of-Fire-Video gelesen werden: “Who takes care of our stories when the big history, written by straight rich white men, erase the complexity of human's lives, desires and conditions?” Alternativ stehen auf der Website ein Interview-Film zur Entstehung des Albums oder ein Comic, der das Ende extremen Reichtums fordert, zur Verfügung. Klare Worte statt mystischer Masken und geheimnisvoller Aussagen sind das Mittel der Wahl. Diese Entscheidung war auch davon beeinflusst, dass The Knife das Gefühl hatten, von einem Teil ihrer Zuhörer_innen nicht verstanden zu werden. Der Versuch Verständigungshürden abzubauen, ist wichtig – statt lediglich zu kommunizieren wie viel Ahnung eine_r hat.

Und dann noch die Musik, die als allererstes Zeit fordert. Zeit, um das Album durchzuhören. Es dauert knapp hundert Minuten. Zeit, um das Album anzunehmen und kennenzulernen. Zwar sind mit ein bisschen Geduld typische Knife-Perlen zu finden – wie das flötenartig klingende Without You My Life Would Be Boring oder das pulsierende Ready to Lose – die werden aber von brutalen Beats und 20-minütigen Ambientfallen in Schach gehalten. Hier finden sich keine in den Schlaf wiegenden Strophe-Refrain-Muster, dieses Album rüttelt wach, fordert Aufmerksamkeit und ein Loslassen der Hörgewohnkeiten. Da bleibt mir nur noch zu sagen: I am „ready to lose“.

The Knife
"Shaking the Habitual"
Rabid / Coop / Universal
theknife.net
Album auf soundcloud.com

Liz Weidinger hat an dieser Stelle alle 14 Tage immer mittwochs über Gender- und Popkultur geschrieben. In Begleitung einer ihrer Lieblingsbands beendet sie diese Kolumne.

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Geschrieben von

liz weidinger

freie journalistin und girlmonster

liz weidinger

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