Grrrl-Zines sind wichtiger als Hetero-Sex

Genderkolumne Warum Missy wichtiger ist als die Financial Times Deutschland und der Journalist_innenverein ProQuote nervt. Ein Text über Medien

30 Prozent Frauen in den Chefsesseln der Mainstream-Medien fordert der zahme Journalist_innenverein ProQuote – gerade wieder prominent in der Öffentlichkeit vertreten durch die Kaperung der taz. Die am vergangenen Samstag erschienene Sonderausgabe präsentiert auf schmackhafte Weise alle wirtschaftlichen Vorteile einer freiwilligen Frauenquote in Redaktionen und betont, welch grandiose Möglichkeiten sich dadurch auch den Männern eröffnen. Denn nicht nur Image-Gewinn, sondern zum Beispiel mehr und einfacherer Hetero-Sex auf der gleichen Hierarchieebene werden durch die Quote möglich. Das nervt. Die Quote braucht es nicht für die Wirtschaft, für die Männer oder gar für Sexismus, sondern wenn, dann schon wegen der strukturellen Benachteiligung von Frauen.

Aber eine Frauenquote kann nicht allein für einen Journalismus sorgen, der die Ungleichbehandlung der Geschlechter kritisiert statt fortzuschreiben. Das können nur Feminist_innen. Und die gibt es zu wenig in Mainstream-Medien, zu 100 Prozent aber in einer feministischen Gegenöffentlichkeit, bei alternativen Zines, Magazinen, Blogs oder Radiosendungen.

Mehr Abos für Missy

Zu dem kleinen Teil feministischer Medien, die professionell und kommerziell erfolgreich sind, zählt neben den österreichischen an.schlägen und der alteingesessenen Emma mein Lieblings-Popkulturmagazin Missy. Und das startet gerade eine große Kampagne, um mehr Abonnent_innen zu gewinnen. Die Macherinnen wollen das Heft auf festere Beine stellen, wollen mehr Sicherheit, um Missy bis in alle Ewigkeit weitermachen zu können. Damit kämpfen sie gegen ein in feministischen wie auch journalistischen – hallo FTD, hallo Zeitungssterben – Kreisen weit verbreitetes Problem: dem Fehlen von Geld. Natürlich auch deswegen, weil das Missy Magazine im Kiosk vertreten sein will, weil es sich im Lauf von vier Jahren schon erfolgreich im professionellen Journalismus positioniert hat. Und das mit deutlich mehr feministischem Inhalt – das heißt kritischem Denken über gesellschaftliche Unterschiede, als das gerade die ProQuote-Mitglieder präsentieren.

Für ihre Abo-Kampagne fährt die Missy-Redaktion gerade zehn Tage von Magdeburg über Würzburg nach Kiel – auf Einladung ihrer Leser_innen – um auch mal mit Interessierten außerhalb von Berlin und Hamburg in Kontakt zu kommen. Und um mit ihnen über Sex und Pop zu diskutieren oder ein Fanzine zu gestalten. Ermöglicht wird das durch ein Soli-Konzert von der immer noch lauten Peaches und den wütenden Jolly Goods am 29. November im Berliner Festsaal Kreuzberg. Natürlich machen die Redakteurinnen das auch, um jede einzelne Abonnentin davon zu überzeugen, sich dem Heft zu verpflichten. Und um klarzustellen, dass es sich bei Missy um ein Liebhaberinnenprojekt handelt, das nicht aufgrund kapitalistischer Überlegungen gegründet wurde, sondern weil eine aktualisierte und popkulturelle Sichtweise auf feministische Themen in einer breiteren Öffentlichkeit fehlte.

Und weil das viel beschworene Zeitungssterben von alternden Medien bei mir kein herzzerreißendes Mitgefühl auslöst, weiß ich ganz genau, wo ich meine paar Euro hintrage. Feministische und alternative Stimmen in der Öffentlichkeit braucht es – aber eine schwerfällige Zeitungs-App?

Ein Archiv voller feministischer Medien

Unabhängiger von kapitalistischer Ökonomien agieren kleinere feministische DIY-Medienprojekte wie Zines und Blogs oder eher aus dem akademischen Kontext stammende Publikationen, von denen es in Europa noch viel mehr gibt. Diese Medien erreichen zwar meist nur eine kleine Zielgruppe und dienen zum Austausch der feministischen Szenen, haben dafür aber Platz für heterogene feministische Gesellschaftskritik.

Die Vielfalt feministischen Medienprojekte hat die Kommunikationswissenschaftlerin Elke Zobl über fünf Jahre mit ihren Kolleg_innen im Uni-Forschungsprojekt „Feminist Media Production in Europe“ ausführlich dokumentiert. Es ist ein frei im Netz zugängliches, jedoch etwas unschickes Online-Archiv entstanden, das die vielfältigen Stimmen alternativer feministischer Medien archiviert, vernetzt und vor Augen führt, welche Bandbreite überhaupt existiert. Insgesamt 425 Print-, Online-, Radio- und Fernsehmedien, sowie Archive und Kunstprojekte wurden für die Studie erfasst und analysiert, wobei es sich nur um einen Ausschnitt und keinen vollständigen Überblick der Medienlandschaft handelt – die ändert sich schließlich ständig. Daraus ist die Idee für die englischsprachige und im September bei Transcript erschienene Anthologie „Feminist Media“ entstanden, die sich in unterschiedlichen Beiträgen unter anderem mit der Auflösung der Grenze zwischen Konsument_in und Produzent_in und dem politische Potential feministischer Medien beschäftigt. Zobl betont: „Im Mittelpunkt steht weniger der Erfolg in Hinblick auf die Anzahl der Leserinnen, sondern es geht darum, aktiv zu werden und an der Gesellschaft kritisch teilzuhaben.“

Die Wissenschaftlerin selbst beschäftigt sich schon seit rund 15 Jahren nicht nur auf akademischer Ebene mit Grrrl-Zines, sie gibt auch Zine-Workshops für Mädchen und verfolgt mit ihren Forschungsprojekten einen aktivistisch-politischen Ansatz. Einen Ansatz, den auch feministische Medienmacher_innen pflegen, die wir mindestens genauso dringend in unserer Medienlandschaft brauchen, wie Frauen in Chefredaktionssesseln.

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