Sarah Lund ist eine harte Sau, geniale Außenseiterin, gebrochene Einzelkämpferin, wortkarge Kriminalpolizistin in Kopenhagen und Star der dänischen Krimi-Triologie Das Verbrechen.
Unbeeindruckt von strömendem Regen, beruflichen Vorschriften, Kleidungsnormen, politischen Vertuschungsversuchen oder den Problemen ihres Sohnes ist sie mit verschränkten Armen, kritischem Blick, gerunzelter Stirn und einem Nikotinkaugummi im Mund auf der Jagd nach dem Mörder. Alles andere gerät aus dem Blick: ein Tschüss am Telefon, selbstgekochtes Essen, ausreichend Schlaf? Unwichtiger Quatsch.
Dänische Erfolgsserie
Und genau diese einnehmende und ungewöhnliche Lund zeigte sich nach anfänglichen Täuschungsversuchen des Autors Søren Sveistrup auch in der dritten Staffel der erfolgreichen und vielgelobten Thriller-Serie, deren angeblich finales und verstörendes Ende am vergangenen Sonntagabend im ZDF für Aufregung sorgte. Fünf Doppelfolgen à 115 Minuten verwendete die Serie zur Erzählung eines Falls, der sich diesmal rund um die Entführung der Tochter von Reederei- und Ölfirma-Chef Robert Zeuthen auf politischer, wirtschaftlicher, polizeilicher und privater Ebene entspinnt. Daraus entwickelt sich eine in düsteren, langsamen und detailreichen Bildern erzählte Geschichte, die durch unerwartete Wendungen, vielschichtige Charaktere und das Fehlen einer eindeutig guten und bösen Seite überzeugt.
Im Jahr 2007 lief die erste Folge des dänischen Originals Forbrydelsen. Inzwischen sorgte die Serie nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch in Deutschland oder Großbritannien für Traumquoten, wurde mit dem britischen Fernsehpreis BAFTA ausgezeichnet, als US-Remake mit dem Titel The Killing in Seattle noch einmal gedreht und in einen Kriminalroman zum Nachlesen umgewandelt.
Männliche Ermittlerklischees
Dabei befindet sich die Serie klar zwischen klassischem Quotenerfolg, der mit Klischees von islamistischen Terrorist_innen oder linken Spinner_innen operiert, und viel besserem Fernsehen, als eine das von hiesigen Produktionen kennt. Besonders die von Sofie Gråbøl gespielte Ermittlerin ist eine Figur, die sonst nur älteren Herren vorbehalten ist.
Sie erinnert in ihren Umrissen an ausufernd leidende Tatort-Kommissare wie den ewigen Junggesellen Murot, dessen ruppige, manchmal zynische Art laut Website nicht jedermanns Sache sei. Oder an den risikofreudigen und unberechenbaren Faber in Dortmund, für den sein Job nach dem Tod von Frau und Tochter alles ist. Damit besetzt sie so rücksichtslos, wie sie nach den Täter_innen sucht, ein männliches Ermittlerklischee. Lund macht nur, was sie wirklich will und zieht ohne Kompromisse ihr eigenes Ding durch, da werden Kollegen schnell mal zu Assistenten und die Anweisungen des Chefs rigoros ignoriert – egal, ob sie damit ihre Karriere aufs Spiel setzt.
Sie widerspricht mit voller Breitseite all den Anforderungen, die die Gesellschaft gern an Frauen heranträgt: hohe Sozialkompetenz und Einfühlungsvermögen, fürsorgliches Mutterdasein oder eine Inszenierung als sexuelles Objekt. Die große Kluft zwischen Lunds Privatleben und den Mordfällen ist ein in jeder Staffel verhandeltes Grundthema und wird zum großen Widerspruch stilisiert. So ist es für Lund am Ende des dritten Falls die größtmögliche Strafe erneut als Mutter zu scheitern und ihren Sohn und frischen Vater im Stich zu lassen. Das Opfer privaten Glücks muss sie bringen. Schließlich erschießt Lund eigenmächtig ohne jegliche Notwehr einen durch polizeiliche Ermittlungen nicht bestrafbaren Vergewaltiger und muss mit dem Flugzeug ins Ausland fliehen.
Drastische Begründungen
Der Zwiespalt zwischen Privatleben und Job wird durch den eigentlichen Wunsch Lunds entweder mit ihrem Freund und Sohn nach Schweden zu ziehen, wie in der ersten Staffel, oder ihrer Versetzung auf einen ruhigen Verwaltungsjob, um endlich ihrer Rolle als Mutter besser gerecht zu werden, wie in der dritten Staffel, veranschaulicht. Denn es braucht möglichst drastische und komplizierte Fälle, um die gnadenlose Ermittlerin hervorzuholen, die sie eigentlich ist. Dass dabei in zwei von drei Fällen die Vergewaltigung von Teenagerinnen, die Kommissarin nicht mehr loslässt – und damit Vermutungen um ähnliche Erfahrungen Lunds möglich macht, zeigt wie häufig sexuelle Gewalt gegen Frauen in Krimis verwendet wird, um eine möglichst packende Geschichte zu erzählen. Auf diese Weise nimmt sexuelle Gewalt gegen Frauen einen wichtigen fiktionalen Raum ein, reproduziert diese Gewalt immer wieder und nimmt keinerlei Rücksicht auf Überlebende.
In diesem Aspekt schlägt sich vielleicht das männlich dominierte Produzent_innenteam der Serie nieder, das auch dafür sorgt, dass Lund in der dritten Staffel endlich mal Sex hat und Zukunftspläne mit einem Mann macht. Zum Glück hat sie diese am Ende mit ihrem gezielten Schuss in den Kopf des Vergewaltigers unmöglich gemacht. Auf ihre geballte Kompetenz, Sachen in den Sand zu setzen, ist Verlass. Und es bleibt eine beschissene Welt.
Kommentare 17
Bitterböse Träume, die so jederzeit und überall Wirklichkeit werden können, oder längst schon sind!
Die Tatortfolgen der ARD sind kalter Kaffee und bieder blöd..
Amerikanische Krimis können nicht ohne dumme Autoverfolgungen leben, wobei leben selten Leben ist..
Das Ende mit der Tötung des Täters ist letztlich die Selbsttötung der Lund, wennder Zuschauer den Abflug weiter spinnt....
Schöner Artikel. Einzig den Tatort-Vergleich braucht es nicht, weil Vergleiche dieser Art in die Irre führen.
Ich weiß nicht, woran es liegt, vielleicht ist ja schlicht die Ausbildung schuld. Bei deutschen Produktionen hat man in 90% der Fälle den Eindruck, eine spezifische Art von Fernsehgemachtheit präsentiert zu bekommen. Man bekommt die gleichen Klischees zu sehen, die man auch in internationalen Produktionen sieht, doch man sieht dieses Klischees immer an, dass sie irgendwie dazu dienen sollen, ein Publikum zu bedienen, von dem die Macher immer zu wissen glauben, was man ihm zumuten darf. Da wird dann aus dem Zuhälter schnell der sprichwörtliche Zuhälter, dessen starke Gesichtstätowierung aus 50m Entfernung Gefahr symbolisiert oder eben aus einem Mädchenmörder das Sinnbild des Bösen schlechthin. Dahinter steht eine Idee des Fernsehen, dass immer auch einen Bildunsgauftrag verfolgen will.
Der Mädchenmörder in dem Fall von Sarah Lund ist dagegen schlicht ein fieser Arsch der genau weiß, dass er mit seine Tat durchkommen wird, weil er auch schon früher mit Ähnlichem durchgekommen ist. Böse ist nicht (nur) der Täter, sondern der Abgrund an Gleichgültigkeit seiner Umgebeung, die ihn frei agieren lässt.
Ich habe Das Verbrechen III genauso gespannt und fasziniert angeschaut, wie die voausgegangenen Staffeln. Und ja, Lund ist ein phänomenaler weiblicher Charakter. Ich kann mich vielen Ihrer Aussagen, Frau Weidinger, anschließen.
Allerdings fällt mir nach einigem Abstand zum Ende der letzten Staffel - und zum Ende der Lund, wie wir sie "kannten" doch folgendes auf:
Selbstjustiz hat Konjunktur in den europäischen Drehbüchern - für für männliche und weibliche ErmittlerInnen: wie Lund. Was ich bedauere.
Gerne gelesen. Ich sehe Lund übrigens als weibliches Pendant von Hallgrim Ørn Hallgrimsson in Der Adler - Spur des Verbrechens. Allerding hat der das mit der Selbstjustiz ausgebuffter hingekriegt, während der Polizist Gunvald Larsson, toll gepielt von Mikael Persbrandt, in Kommisar Beck eher die Lund-Linie verkörpert.
Sarah Lund ist eine fiktive Gestalt. Die Eigenschaften dieser Gestalt sind also nicht die Eigenschaften einer realen Frau, sondern sind so, wie sie dargeboten, weil DrehbuchautorIn und/oder RegisseurIn mit diesem spezifischen Set von Eigenschaften bestimmte Absichten verbinden. Zweifellos gibt es reale Frauen, die so ähnlich drauf sind - nicht vergessen: zwei verschiedene Menschen sind selbst bei noch so großer Ähnlichkeit nie identisch gleich - aber bei einer fiktiven Gestalt stellt sich die Frage nach realen Eigenschaften - etwa der Schauspielerin - gar nicht. Es geht also um die Absichten. Welche sind das? Teilweise werden es künstlerisch-ästhetische Absichten sein, teilweise kommerzielle Absichten; mag sein, dass Intentionen zugunsten feministisch-emanzipatorischer Proklamationen hinzutreten.
Wenn letzteres der Fall sein sollte, läge also der Umstand vor, dass bereits in die Konzeption der fiktiven Gestalt die Inhalte eingeflossen sind, die für die Vermittlung der Ideologie benötigt werden. Es ist daher kaum verwunderlich, dass diese Eigenschaften später in der Analyse auch zutage treten. In der formalen Logik entspräche dem ein Zirkelschluss. Die Bewunderung für Sarah Lund ist daher im Prinzip die Fortschreibung einer Illusion auf Grundlage der Verwechslung zweier verschiedener ontologischer Ebenen. Für reale Frauen ergibt sich überhaupt nichts aus der Kunstfigur Sarah Lund.
Selbstverständlich liegt die analoge Situation auch bei männlichen und allgemein hinsichtlich jeder fiktiven Identifikationsfigur vor.
"Lund macht nur, was sie wirklich will und zieht ohne Kompromisse ihr eigenes Ding durch, da werden Kollegen schnell mal zu Assistenten und die Anweisungen des Chefs rigoros ignoriert – egal, ob sie damit ihre Karriere aufs Spiel setzt."
"Schließlich erschießt Lund eigenmächtig ohne jegliche Notwehr einen durch polizeiliche Ermittlungen nicht bestrafbaren Vergewaltiger und muss mit dem Flugzeug ins Ausland fliehen."
mit verlaub, das machen stallone & co in jedem ihrer filme, das ist geradezu das prinzip. soll also mit "dekonstruktion" gemeint sein, dass lund als frau das macht, was sonst nur maennercops in solchen filmen tun?
ich halte die lund-reihe doch eher fuer einen spannend gemachten krimi mit einer hauptdarstellerin, der auch ich gerne zusehe, nicht zuletzt weil sie attraktiv ist.
der rest aber ist klischee, und wenn sie einen nicht verurteilten (nach ordentlich emotionaler aufladung des publikums) erschiesst, und der zuschauer sich vor lauter begeisterung am liebsten "todesstrafe fuer kinderschaender" aufs auto schreiben wuerde, dann ist nix dekonstruiert, sondern nur ein ein neuer schlauch fuer alten wein gefunden.
Der Artikel macht richtig Lust, sich das anzusehen. Ich ärgere mich, das nicht gesehen zu haben und baue auf die Mediathek. Daumen drücken.
Und danke für den Tipp. Und den toll geschriebenen Artikel.
Best, Oi
Als ausgesprochener Fan von Kommissarin Lund empfehle ich unbedingt "Die Brücke - Transit in den Tod". Saga Norén kann e smit Lund unbedingt aufnehmen.
Also Sofie Grabol ist eine grandiose Schauspielerin, aber ich finde, die Kriminalstory konnte nur in der ersten Staffel überzeugen. Das war noch so der soziale Realismus, für den der skandinavische Polizeikrimi mit Sjöwall & Wahlöö mal angetreten ist. Die zweite Staffel war dann völlig überdreht mit dem omnipotenten Superverbrecher, so eine Amerikanisierung des Skandinavierkrimis, wie man es jetzt leider häufiger sieht (auch in dem nach meiner Meinung ziemlich mißlungenen "Die Brücke").
In der dritten Lund-Staffel war die Handlung um den "Fall Louise" dann wieder mehr geerdet, aber die ganze Entführungsgeschichte, der Todessturz vom Gerichtsgebäude etc., also da war er wieder: der ganz und gar unrealistische omipotente Rächer als gejagter Verbrecher...
Auch die Politik-Handlungsstrang hatte sich etwas abgenutzt, da kam einem doch vieles bekannt vor...
Irgendwie scheinen die Macher der Serie ja auch begriffen zu haben, daß die Sache irgendwie ausgereizt ist, sonst hätten sie nicht Lund auf diese Weise "geopfert"; glaubwürdig in den dänischen Polizeidienst zurückkehren könnte sie nach diesem Ende in einer vierten Staffel ja wohl nicht mehr.
Hab's trotzdem als alter Skandinavierkrimi-Fan mit Interesse gesehen, aber überzeugt hat mich zuletzt wie gesagt nur noch Sofie Grabols Verkörperung der Kommissarin Lund, der Rest weniger.
Frauen, die Männer imitieren müssen, tun mir leid.
Und dazu die Männer, die Männer imitieren müssen! Die tun mir erst leid!
Zu Ihrem letzten Absatz:
Wozu überhaupt noch Belletristik lesen und Filme gucken, wenn diese Aussage zutrifft? Was sie meiner Meinung nach nicht tut.
meine Aussage wendet sich nicht gegen den Konsum von literarischer oder szenischer Unterhaltung, sondern gegen die Überfrachtung derselben mit ideologischem Gehalt, oder allgemeiner, mit "Sinn"
Dann bleibt DADA übrig und Schachspielen wie Marcel Duchamp...:)
Dieser Mensch auf männlich wäre das Idealbild des Chauvis und Patriarchen, DAS Feindbild des Feminismus schlechthin. Aber wir leben im sexistischen Zeitalter, das heißt, wenn zwei dasselbe tun, ist es noch lange nicht dasselbe, wenn's eine Frau macht, ist es gut.
Schwein = Verantwortlich für alle Übel der Welt, gehört ausgerottet.
Sau = Vorbildhaft, Stark und Emanzipiert, davon bruachen wir mehr!
Und noch etwas, als Betroffener sind mir die "guten" Komissare (generisches Maskulinum), die gegen Recht und Gesetz verstoßen und die Gerechtigkeit in die eigenen Hände nehmen, wirklich die Allerliebsten.
Rechte, die im Krimi häufig inexistent sind:
- Das Recht zu Schweigen (immer!!! Nie ein Wort ohne Anwalt, auch wenn Du das Beste Gewissen hast)
- Das Recht auf einen Anwalt, auch wenn 10 Polizisten um dich rum sind, die alle sagen, Du müsstest jetzt dieses oder jenes, NEIN!
- Bei Durchsuchung: Nichts unterschreiben, besonders nicht, dass Du mit Mitnahme von Beweisgut einverstanden bist. Du hast das Recht auf einen Zeugen (Nachbar, Freund, Anwalt), Alles protokollieren, alles was angefasst wurde, Unterschreiben lassen.
Eigentlich erfüllt Sarah Lund die meisten Kriterien einer Autistin.