Programmieren mit Glitzer

Genderkolumne Programmieren macht keinen Spaß? Doch, sagen die Organisatorinnen des Workshops Rails Girls. Unsere Kolumnistin war in Hamburg dabei und hat den Praxistest gemacht.

"Get excited and make things." So steht es in einer kleinen Broschüre – und da kann ich nicht widersprechen. So befriedigend es ist, wenn ein Text fertig geschrieben und publiziert ist. So stolz es macht, wenn aus ein bisschen Wolle ein hübscher Schal geworden ist. Oder, im aktuellen Fall, aus Codebausteinen und Computerbefehlen eine kleine Web-Anwendung geworden ist.

So geschehen an einem Wochenende Mitte September mit meinem Rechner und meinen Programmierkenntnissen – und die sind überschaubar. Auslöser dafür war der Rails-Girls-Workshop, der an diesem Wochenende in Hamburg stattfand und einen ersten Einblick in die Web-Entwicklung mit Ruby on Rails bot. Und dazu gehörte eben auch, in Kleingruppen eine eigene Web-Anwendung nach Anleitung und mit Hilfe eines ehrenamtlichen Coaches zu programmieren.

Als das erfolgreich geklappt hatte und die Anwendung sogar ins Netz transportiert war und jeder mit der entsprechenden Adresse sie im Browser abrufen konnte, war ich stolz. Und trug ganz viele Notizen in meine Ideenliste ein, inklusive Beschreibung und Bild, denn das kann sie auch, die App. Ok, nicht ganz Twitter, das ursprünglich auch mit Ruby geschrieben wurde, aber immerhin.

Ich tauchte also eineinhalb Tage ein, in eine Welt der Internet- und Programmierenthusiast_innen. In eine Welt voller Start-ups, Co-working-Spaces und Open-Source-Nerds. Eine inspirierende Welt, besonders im Gegensatz zu träger Wissenschaft oder am Hungertuch nagendem Journalismus. Die Sponsoren sorgten für Bier, Mate, Schokoladenpower und einen gedeckten Tisch. Alles scheint möglich, es gibt unzählige Sachen zu entdecken und jede_r baut begeistert an der Verbesserung der Gesellschaft, zumindest aber an der nächsten großen Geschäftsidee. Dieser Kurztrip sah ungefähr so aus wie der Workshop im April in Berlin, zu dem es diese nette Video-Dokumentation gibt:

Quelle: Vimeo

Ich tauchte aber auch in eine Welt, in der immer noch ein Großteil männlich ist. Und in der die Wahl des Browsers, nicht leichtfertig getroffen werden sollte. Schnell wurde ich von einem Entwickler darauf hingewiesen, dass Firefox wirklich von niemandem mehr verwendet würde und viel (!) zu langsam sei. Im Vorbeigehen war also schon mal klargestellt, wer hier den Plan hatte.

Das war aber einer der wenigen nervigen Momente. Hauptsächlich waren die engagierten Organisator_innen und Coaches eine große Motivation und sorgten dafür, dass wir Spaß beim Programmieren und Lernen hatten. Zum Beispiel, als wir auf tryruby.org einen unterhaltsamen und interaktiven Einblick in die Programmiersprache bekamen. Zusätzlich sorgten kurze Vorträge für hilfreiche Tipps. Birte berichtete von ihren Erfahrungen als Lernende und stellte unterschiedliche Netz-Ressourcen vor, um sich meistens kostenfrei im Netz mit noch mehr Programmierwissen zu versorgen. Kerstin hingegen hatte einfach Netzwerke zusammengetragen – besonders für Frauen in der Web-Programmierung. Denn schließlich zeigte das Rails-Girls-Treffen, dass es zusammen deutlich mehr Spaß macht. Und natürlich durften auch die female Role Models nicht fehlen, die Jan in seinem Talk vorstellte: Von der ersten Programmiererin der Welt, Ada Lovelace, über die US-amerikanische Informatikerin Grace Murray, von der der Begriff Bug stammen soll, bis hin zu Limor Fried, Hardware-Hackerin und Gründerin von Adafruit Industries aus New York.

Ein feministischer Open-Source-Workshop

Um festzustellen, dass weibliche Entwicklerinnen immer noch angestrengt gesucht werden müssen, brauchten gar keine großen Studien herangezogen werden. Allein der Blick auf die Geschlechterverteilung der Coaches reichte aus, denn ein Großteil war männlich. Das ergab durch den Fakt, dass ja nur Frauen als Teilnehmerinnen dabei waren, einen etwas komischen Anblick: Männer erklären Frauen wie Technik funktioniert. Aber so muss es wohl sein, bis Veranstaltungen wie die Rails Girls ihre Wirkung zeigen.

Ursprünglich kommt das Konzept hinter Rails Girls aus Finnland, der erste Workshop fand im November 2010 in Helsinki statt, und verfolgt das durchweg feministische Ziel mehr Frauen für Programmierung zu begeistern. Die Umsetzung dieses Wunsches nimmt ja gern mal schreckliche Formen an, wird bei den Rails Girls aber überzeugend und einfach umgesetzt. Aufgrund der hohen Nachfrage haben die Gründer_innen das Konzept frei zugänglich gemacht und nun gibt es auf der Homepage nicht nur Anleitungen wie man eine erste App programmiert, sondern auch wie man einen Rails-Girls-Workshop organisiert. So konnten gleichzeitig zum Workshop in Hamburg, auch Workshops in Tallinn und Madrid stattfinden – internationale Internetkonnektivität pur. Als Motivation für die Gründung findet sich auf der Website folgendes: Software kann Kulturen verändern, Web-Anwendungen sind das neue Handwerk mit dem die Produkte von morgen gebaut werden. Um also diesen bedeutenden Teil unserer Zukunft mitgestalten zu können, hilft es bestimmt die Scheu abzulegen und gegen Neugier und Mitmachwillen zu tauschen: „get excited and make things.“

Soundtrack zum Programmieren

Aber nicht nur die Programmierszene hat ihren vernetzten Spaß, sondern auch Musiker_innen – die wollen wir in dieser Kolumne mal nicht vergessen. Deswegen gibt es den Soundtrack zum Ausprobieren von tryruby.com gleich dazu und zwar von iamamiwhoami. Das Multimediaprojekt um die Schwedin Jonna Lee sorgt seit rund zwei Jahren mit geheimnisvollen Videos im dazugehörigen YouTube-Channel für Aufmerksamkeit. Anfangs war nämlich nicht klar, wer hinter dem genauso mysteriösen Synth-Pop steckt – sogar Björk, Fever Ray und Lady Gaga standen in der Diskussion. Inzwischen ist das Debüt Kin als audiovisuelles CD/DVD-Set erschienen, auf dem neun Songs voller düsterer Beats inklusive ihrer schon im Netz veröffentlichten, dazugehörigen Videos versammelt sind. Und ähnlich wie Highwire Peotry, das vierte Album ihrer Landeskollegin Karin Park, ist dieser Sound genau das Richtige, um mit dem Regen vor dem Fenster klarzukommen.

Quelle: Youtube

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Geschrieben von

liz weidinger

freie journalistin und girlmonster

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