Austreten - ist das links?

Parteiaustritte Die Partei "die Linke" verliert Mitglieder. Ganz besonders eklatant ist die Austrittswelle seit der Bundestagsrede Sarah Wagenknechts am 8.09.2022, in der sie den Wirtschaftsminister zum Rücktritt aufforderte.

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Die Partei "die Linke" erlebt eine Austrittswelle, wie "tagesschau" und "kontraste" am 13.10.2022 berichten. Dass die Partei Mitglieder verliert ist nichts Neues. Anscheinend treten aber derart viele Abgeordnete und Parteimitglieder aus, dass es eine Meldung wert ist. Als Grund für den Entschluss das Parteibuch zurückzugeben, gilt vielen die Bundestagrede Sarah Wagenknechts am 8. September. Seit diesem Auftritt hat die Partei über 800 Mitglieder verloren, wie aus den Zahlen hervorgeht, die "kontraste" vorliegen.

Aber was ist an Wagenknechts Rede eigentlich so schockierend gewesen, dass man als Reaktion auf deren Inhalt die eigene Parteizugehörigkeit mit dem Ausruf "nicht mehr meine Partei" von sich werfen möchte?

Schaut man sich die Zusammenfassung der Rede Wagenknechts des Nachrichtensenders "Welt" an und achtet dabei während der Abmoderation auf die Wortwahl des Moderators Alexander Siemon , bekommt man eine Ahnung davon, woran die Empörung sich entfacht haben könnte. Aber eins nach dem anderen. Zunächst mal die Rede. Wagenknecht greift darin die Bundesregierung und allen voran den Wirtschaftsminister Habeck scharf an. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern wie bspw. Frankreich hätten wir in Deutschland die dümmste Regierung, sagt sie. Dumm, weil unsere Regierung einen "beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland" vom Zaun gebrochen hätte und dumm, weil dieses Russland der deutschen Industrie eben jene Energie liefert, die das Wirtschaftsland Deutschland braucht um weiter profitabel zu bleiben und auch dumm, weil die Krisengewinne der Öl - und Stromkonzerne nicht abgeschöpft werden oder die Anstiege der Energiekosten nicht wenigstens auf eine bestimmte Prozentzahl gedeckelt worden sind. Weiter fordert Wagenknecht in dieser Rede die Regierung dazu auf, die Sanktionen zu beenden und eine diplomatische Lösung mit Russland zu suchen. An keinem Punkt rechtfertigt sie den Angriff Russlands auf die Ukraine. Sie veruteilt den Angriff sogar explizit. Dennoch wird der "Welt" Moderator Alexander Siemon ihr in der Zusammenfassung später unterstellen, die "beste Lobbyistin des Kreml im Westen zu sein."

Sanktionen sind das erste Mittel der Wahl, wenn ein Aggressor in einem Krieg bestraft werden, eine direkte militärische Konfrotantion allerdings vermieden werden soll. Das ist nicht erst seit dem Überfall durch Russland auf das Staatsgebiet der Ukraine der Fall. Wagenknecht hat in ihrer Rede deutlich gemacht, dass sie nicht gegen Sanktionen ist, weil sie den Krieg Russlands befürwortet, sondern dass sie gegen Sanktionen ist, weil sich nicht alle Menschen in Deutschland den Preis leisten können, den wir angeblich aus politischen Gründen eingewilligt haben zu zahlen, um die Ukraine in der Verteidigung gegen die russische Armee zu unterstützen. Aelxander Siemon, der Moderdator der "Welt", sieht das jedenfalls so. Und aus seiner Perspektive hat Wagenknecht das einfach nicht begriffen und faselt "Blödsinn" - das sagt der Journalist tatsächlich.

Mit dem richtigen monatlichen Einkommen mag der Gaspreis moralisch vertretbar sein und vor allem zu verkraften, aber alles zusammengenommen bedeuten die Preisexplosionen für sehr viele Menschen eine existentielle Bedrohung. An diesem Punkt setzt Wagenknechts Argumentation an und ist damit bereit, Widersprüche in der Frage was linke Politik ist, auszuhalten und zu diskutieren.

Die Austritte, die seit dieser Rede die Partei weiter erschüttern, verweisen einmal mehr auf das Grundproblem der "Linken": worum geht es dieser Partei eigentlich? Macht sie noch linke Politik und wenn ja, für wen?

Diese Frage bekommt die Partei schon seit einiger Zeit nicht mehr beantwortet. Auch wenn sie zu einem "heißen Herbst" aufgerufen hat und Menschen auf die Strasse bekommen wollte, zeigen die Reaktionen auf die Rede am 8.September, dass sich linke Politk und komplexe Sachverhalte nicht leicht zu schlagkräftiger Politik verbinden lassen. So bleibt der AfD wieder viel Spielraum linke Themenfelder zu besetzen, Menschen mit angeblich den alltäglichen Problemen zugewandter Haltung zu fangen und wahrscheinlich auch mehr Menschen zu mobiliseren, als linke Poltikiner*innen, die lieber austreten, als sich der Widersprüchlichkeit und der Ambivalenz der politischen und gesellschaftlichen Situation zu stellen und daraus eine differenzierte Haltung für die Partei zu entwickeln. Das eine nicht zu wollen, heißt eben nicht gleich, das andere zu wollen.

So sind die Austritte vielleicht gar nicht verkehrt. Und die "Linke" findet sich in der politischen Bedeutungslosigkeit, in der sie sich befindet, ungesehen und in aller Ruhe selbst. Das wäre zumindest eine Hoffnung im "heißen Herbst."

Dramatiker und Autor, lebt in Berlin

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Geschrieben von

Leon

Leon Ospald

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