Er gehört zu Deutschland

Carles Puigdemont In Schleswig-Holstein ist eine Vorentscheidung im Fall Puigdemont gefallen. Bis auf weiteres ist nicht mit einer schnellen Auslieferung an Spanien zu rechnen
Ausgabe 14/2018
Carles Puigdemont ist ein Fall für die Politik, nicht für die Justiz
Carles Puigdemont ist ein Fall für die Politik, nicht für die Justiz

Foto [Montage]: Emmanuel Dunand/Getty Images

Deutschland hat sich, möglicherweise durch Übereifer, in eine juristisch, diplomatisch und politisch heikle Lage gebracht“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung Ende März. Ja, so was kommt von so was: Monatelanges Wegschauen, Weghören und das monotone Mantra „Der Konflikt in Katalonien ist eine innerspanische Angelegenheit, mit der wir nichts zu tun haben und nichts zu tun haben wollen – als Deutsche nicht und als Europäer auch nicht“ gehen und gelten nicht mehr.

Seit der Festnahme Carles Puigdemonts in Schleswig-Holstein ist die innerspanische zu unserer Angelegenheit geworden. Die Stunde der Wahrheit hat geschlagen: Carles Puigdemont gehört jetzt auch zu Deutschland. Und die deutsche Justiz muss die Vorgänge um das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien mit anschließender Unabhängigkeitserklärung sowie das Vorgehen der spanischen Justiz prüfen. Rebellion oder Hochverrat, Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Korruption – die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig hatte zwar eine Auslieferung beantragt, aber das Oberlandesgericht ist dem zunächst einmal nicht gefolgt, auch weil es den Tatbestand der "Rebellion" nach deutschem Recht nicht gibt. Ein Vorspiel dazu gab es im Herbst im Nachbarland Belgien. „Auslieferung wegen Rebellion?“, fragten die Brüsseler Richter. „Rebellion kennt unser Strafrecht nicht“, und Puigdemont wurde auf „freien Fuß gesetzt“, wie es so schön heißt. Den Vorwurf der Unterschlagung oder Verschwendung öffentlicher Gelder zog die Madrider Justiz selbst zurück. Denn eines war und ist klar: Wird der Rebell allein wegen dieses Vorwurfs ausgeliefert, kann er in Spanien auch nur deswegen angeklagt werden.

Das Vorspiel zu kennen, ist wichtig, es setzt gewissermaßen ein „europäisches Präjudiz“. Wie gesagt, auch in Deutschland kennt das Recht den Tatbestand der Rebellion nicht, und Hochverrat ist klar als Gewalttat definiert. Nur wer „es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhende Ordnung zu ändern“, ist Straftäter. Nun hat es die deutsche Justiz mit einer Neuauflage des Auslieferungsantrags zu tun, der sozusagen brandaktuell zwei Tage vor der Festnahme europaweit verschickt wurde. Er listet Details gewalttätiger Aktionen im Vorfeld und am Tag des Referendums in Katalonien auf. Damit befassen sich gerade die juristischen Instanzen in Schleswig, wobei ihre Aufmerksamkeit auch der Grundsatzfrage gelten sollte, ob die Vorwürfe gegen den früheren Regionalpräsidenten strafrechtlicher oder politischer Natur sind.

„Rebellion“? Eine feudale Idee

In den Erwägungsgründen des EU-Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl heißt es, die Auslegung der Vorschriften dürfe nicht dazu führen, dass eine Person wegen ihrer politischen Überzeugung ausgeliefert wird. Rebellion, Aufstand gegen die Staatsgewalt, Hochverrat – niemand kann so tun, als wäre dabei nicht Politik mit im Spiel. Und so ist es zwar eine Binsenweisheit, wenn Günter Krings, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesinnenminister, verkündet: „Es ist wichtig und richtig, dass sich die Politik nicht in ein rechtsstaatliches Verfahren einmischt“, aber dieser Satz ändert nichts an der Tatsache, dass „die Politik“ tief in diese europäische Auseinandersetzung um Staatsräson, Selbstbestimmungsrecht, Minderheitenschutz, Nationalismus und Separatismus verstrickt ist. Und zwar die deutsche wie die europäische. Wie soll die Sache denn enden?

Wird Puigdemont ausgeliefert, eskaliert der katalanische Konflikt weiter, wie auch das Problem des Separatismus in Europa. Wird er nicht ausgeliefert, ist das Verhältnis der EU-Partner Deutschland und Spanien schwer belastet. Diese Angelegenheit kann für Deutschland nur schlecht enden. Und wie ist das mit Europa – und seinem viel beschworenen Wertesystem des friedlichen Miteinanders? Wäre es nicht an der Zeit, dass die EU jetzt endlich tut, was sie sträflicherweise so lange versäumt hat, und politisch agiert? Brüssel müsste sich als Moderator definieren oder – wenigstens – anbieten. Spätestens jetzt ist das die Forderung der Stunde.

Seit so vielen Jahren gibt es separatistische Bestrebungen in Europa: im Baskenland, in Schottland, Katalonien, Norditalien, auf Korsika. Sie mögen sehr unterschiedlich sein, doch ist ihnen eines gemeinsam: Sie werden lauter und vielfältiger in ihren Anstrengungen. Die Nichtbeachtung durch die EU und das Mantra der „inneren Angelegenheit“ hat sie weder entmutigt noch befriedet. Im Gegenteil: Diese Bewegungen wurden militanter, aggressiver, von Minderheiten zu Beinahe-Mehrheiten. Die Causa „Europäischer Haftbefehl gegen Carles Puigdemont“ könnte ein Wendepunkt sein, wenn sich aus einem schwierigen Rechtsfall eine europäische Politik entwickelt, die sich – längst überfällig – als Moderator begreift.

Statt die Rückkehr der „Rebellion“ zu zelebrieren, eines Straftatbestandes aus vordemokratischen, feudalen und diktatorischen Zeiten, sollte man sich mit den Möglichkeiten der Autonomie und Selbstbestimmung auseinandersetzen.

Der Europäische Haftbefehl ist mit einer Frist verbunden: Innerhalb von 60 Tagen muss gehandelt werden. Gut 45 Tage bleiben noch, nicht viel Zeit, aber auch nicht wenig, um wenigstens einen Anfang zu machen. Schon werden Rufe nach einer „europäischen“ Strafprozessordnung laut. Das betrifft die Justiz, aber es geht auch um gemeinsame politische Friedensstiftung. Im norditalienischen Regionalparlament in Treviso haben sich dieser Tage fast alle Abgeordneten hinter einem großen Transparent mit der Aufschrift „Keine politischen Gefangenen in Europa!“ versammelt. Bei den Wahlen Anfang März hat hier die rechte, separatistische Lega einen Erdrutschsieg erlebt. Wegschauen hilft nicht mehr.

Luc Jochimsen war Auslandskorrespondentin und Chefredakteurin in der ARD, später MdB der Linkspartei

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