So alt wie die zionistische Bewegung ist die Diskussion über einen »Transfer«, also über die Vertreibung der arabischen Bevölkerung. Von Beginn an gab es unterschiedliche Antworten auf die Frage, wie ein jüdischer Staat in einem mehrheitlich von Arabern bewohnten Gebiet entstehen könnte. Sollte das Land mit der einheimischen Bevölkerung geteilt oder die arabische Präsenz generell in Frage gestellt werden? Selbst für Theodor Herzl, den »Vater des Zionismus«, war Transfer kein Tabu. Dass solche Diskussionen nicht nur akademisch geführt wurden, zeigte sich in der Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen des Jahres 1948: es kam zu einer Massenflucht, aber in ihrem Rahmen auch zu Massenvertreibungen.
In den späteren Jahrz
eren Jahrzehnten wurde die Frage des Transfers der arabisch-palästinensischen Bevölkerung nur von israelischen Extremisten immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht. Zu diesen Extremisten gehörte nicht nur der Gründer der Kach-Bewegung Meir Kahane - er wurde 1990 ermordet -, sondern auch der im Oktober 2001 ebenfalls getötete ehemalige General und Tourismusminister in der Sharon-Regierung Rehavam Zeevi. Er war der Vorsitzende der Moledet-Partei (Vaterlands-Partei) und hatte immer wieder öffentlich den Transfer der Palästinenser gefordert. Erst durch die zahlreichen Selbstmordattentate der Palästinenser während der Al-Aqsa-Intifada und aufgrund der Ereignisse des 11. September wurde diese Forderung in der israelischen Öffentlichkeit (fast) mehrheitsfähig. Stimmten 1991 zwischen sieben und acht Prozent der Israelis einer Vertreibung als Lösung des Nahostkonfliktes zu, waren es nach jüngsten Umfragen 45 Prozent. Wie sich mittlerweile die Werteskala in Israel verschoben hat, zeigt ein Vergleich mit dem Jahre 1991. Damals wurde Rehavam Zeevi von Ministerpräsident Yitzhak Shamir eingeladen, seiner Regierung beizutreten. Daraufhin veröffentlichte nicht irgendein Liberaler, sondern Benjamin Begin, Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Menachem Begin und Mitglied der Knesset, eine wütende Anklage: »Der Eintritt der Transferpartei in die Regierung bedeutet einen profunden politischen, moralischen und sozialen Makel für Israel. Derjenige, der eine solche Partei in eine Koalition aufnimmt, bestätigt die UN-Resolution, die Zionismus als eine Form von Rassismus bezeichnet.« Die Zeiten haben sich geändert. Nach einer Weisung des israelischen Erziehungsministeriums gedenken inzwischen alle Schulen des ermordeten Zeevi. Hervorgehoben werden sollen »die Werte seiner Persönlichkeit und seine Liebe zum Land«. Auf Plakaten sind Parolen zu lesen wie: »Transfer bedeutet Frieden und Sicherheit«, »Keine Araber, kein Terror«, »Palästinenser nach Jordanien«. Die staatlichen Behörden gehen nicht gegen diese Plakate vor. Die Vermutung liegt nahe, dass die Bevölkerung ideologisch auf die Vertreibung der Palästinenser eingestimmt werden soll. Bereits seit einiger Zeit wird in Israel offen über einen erzwungenen Exodus der Palästinenser im Rahmen eines Krieges gegen den Irak diskutiert. Ein solcher Krieg wäre eine gute Gelegenheit, »die zweite Hälfte von 1948« zu vollenden, betonte der damalige stellvertretende Generalstabschef Moshe Ya´ alon bereits am 17. November 2000 in der Zeitung Haaretz. Auch Ministerpräsident Ariel Sharon meinte in einem bemerkenswerten Interview, das am 13. April 2001 gleichzeitig in den Tageszeitungen Haaretz und Maariv veröffentlicht wurde, dass der Unabhängigkeitskrieg noch nicht beendet sei. Befürworter einer Vertreibung sind im Sharon-Kabinett prominent vertreten. General Effi Eitam, Vorsitzender der Nationalreligiösen Partei (NRP) und Minister für Wohnungsbau, begann seine Karriere als Verfechter des »Transfers«. Avigdor Lieberman, Vorsitzender der Nationalen Union und selbst Siedler, ist Minister für Infrastruktur. Der heutige Finanzminister und ehemalige Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat schon 1989 vor Studenten der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv erklärt: »Israel hätte, als die Aufmerksamkeit der Welt auf China gerichtet war, die Unterdrückung der Demonstrationen nutzen sollen, um Massenausweisungen von Arabern durchzuführen.« Wie man diese Vertreibung möglicherweise erreichen will, zeigt die Analyse des inzwischen zum Generalstabschef avancierten Moshe Ya´ alon in einem Haaretz-Interview vom 30. August 2002, in dem er die Palästinenser als »Krebsgeschwür« bezeichnete. »Es gibt alle möglichen Lösungen für krebsartige Erscheinungen. Einige werden sagen, es ist notwendig, Organe zu amputieren. Im Augenblick betreibe ich Chemotherapie.« Sharon stimmte übrigens der Einschätzung seines Armeechefs zu. Ein weiteres aktuelles Indiz für eine bevorstehende Vertreibung lieferte kürzlich Jürgen Hogrefe, der ehemalige Spiegel-Korrespondent in Israel. Am 8. März habe er eine eMail mit folgender Nachricht erhalten: »Der israelische Geheimdienst ist beim Deutschen Geheimdienst vorstellig geworden, um zu erreichen, dass die Deutschen nicht protestieren, wenn während des Irak-Kriegs die israelische Regierung anfängt, die Palästinenser zu vertreiben.« Ob die deutsche Bundesregierung und insbesondere Außenminister Fischer bei der israelischen Regierung gegen eine solche Aktion Protest einlegen würden, muss abgewartet werden. Fischers bisheriges Schweigen gegenüber dem israelischen Vandalismus in den besetzten Gebieten stimmt eher skeptisch. Im Gegensatz dazu hat er vehement - und zu Recht - die Terroranschläge der Palästinenser verurteilt. In Israel selbst wird das drohende Vertreibungsszenario von den Kritikern einer solchen Politik sehr ernst genommen. Der Militärhistoriker Martin van Creveld erklärte in Jerusalem Friday vom 31. Januar 2003, dass eine »kollektive Deportation« Israels »einzige bedeutsame Strategie gegenüber dem palästinensischen Volk« sei. Alles deute darauf hin, dass Ministerpräsident Sharon die Palästinenser deportieren wolle. In einem Aufruf warnen daraufhin 125 israelische Intellektuelle, dass Israel im »Nebel« eines Krieges »weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bis zur vollständigen ethnischen Säuberung« begehen könnte. Die Wissenschaftler werten die Zunahme rassistischer Demagogie als Indiz für das Ausmaß eine bevorstehenden Verbrechens. Wie sich die USA zu einer Vertreibung verhalten würden, ist im Moment schwer vorauszusagen. Vorsorglich hat aber Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice bereits Think Tanks beauftragt, die Möglichkeit einer Ansiedlung von Palästinensern im Irak zu prüfen. Könnten nicht einige hunderttausend Palästinenser mit ihren Familien dorthin gehen, um zum Wiederaufbau beizutragen? In Erwartung eines groß inszenierten Transfers der Palästinenser aus ihrer Heimat findet seit Monaten bereits eine stille Vertreibung statt: Aufenthaltsrechte von Palästinensern werden widerrufen, Tausende von Häusern zerstört, die Familienzusammenführung mit Palästinensern in Israel ist ausgesetzt. Die Familienangehörigen von Selbstmordattentätern werden deportiert. Darüber hinaus haben bereits über 20.000 Menschen Palästina »freiwillig« verlassen. Nicht nur im Irak, sondern auch in Palästina ist eine weitere menschliche Tragödie im Gange. Die UNO und das Existenzrecht der PalästinenserUN-Resolution 181 Das im November 1947 verabschiedete Dokument sieht vor, dass auf dem Territorium des ehemaligen britischen Mandatsgebietes Palästina ein arabischer und ein jüdischer Staat entstehen.UN-Resolution 242 Sie fordert den Rückzug Israels aus allen während des Sechs-Tage-Krieges von 1967 besetzten Gebieten und betont das Recht aller Staaten der Region, »in sicheren und anerkannten Grenzen« zu leben. Da die Resolution nicht ausdrücklich von der Gründung eines palästinensischen Staates spricht, wird sie vom Nationalrat der PLO erst 1988 anerkannt.UN-Resolution 338 Unter dem Eindruck des Oktoberkrieges von 1973 wird neben einer Feuerpause die unverzügliche Umsetzung der Resolution 242 gefordert und die Schirmherrschaft der UNO für einen dauerhaften Frieden bekräftigt, der das Existenzrecht Israels und der Palästinenser sichert.