Die Radikale

Solidarität Sarah Moayeri ist Aktivistin, Antikapitalistin – und Direktkandidatin der Linken für das Berliner Abgeordnetenhaus. Wie vertragen sich Wahlkampf und Idealismus?
Solidarisch: Sarah Moayeri macht sich im Wahlkampf mit der Linken für soziale Verbesseungen in Berlin-Neukölln stark
Solidarisch: Sarah Moayeri macht sich im Wahlkampf mit der Linken für soziale Verbesseungen in Berlin-Neukölln stark

Foto: Revierfoto/imago

Politikerinnen wie Sarah Moayeri sind selten. Was vor allem daran liegt, dass sich Sarah Moayeri nicht als Politikerin definiert. Die 20-Jährige ist Aktivistin, Antikapitalistin, Antirassistin und Feministin; sie unterstützt Menschen, die nicht wählen wollen und feuert gegen die Führungskräfte ihrer eigenen Partei; sie ordnet Haltung über Kompromisse und ist wohl das, was Max Weber eine Gesinnungsethikerin genannt hätte. Und zugleich ist Sarah Moayeri Direktkandidatin der Linken, in ein paar Tagen will sie ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen. Wie also vertragen sich Wahlkampf und Idealismus?

Sarah Moayeri ist 1996 in Aachen geboren und lebt seit 2014 als Studentin in Berlin. Sie ist in Neukölln bei der linksjugend ['solid] Kreuzkölln aktiv, Mitglied in der Partei DIE LINKE und bei der Sozialistischen Alternative (SAV)

Foto: Presse

Ein Montagnachmittag am nervösen Hermannplatz, Berlin-Neukölln. Moayeri verteilt Flyer mit einer fetten Überschrift: „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten!“ Die meisten lächeln nett und latschen weiter, eine Gruppe Jugendlicher bleibt am Infostand der Linken hängen. „Habt Ihr noch die Kondome? Das waren die besten, die ich je hatte“, sagt der Anführer in FC-Bayern-Jacke. Vielleicht ein Witz, vielleicht auch nicht. Moayeri nimmt es ernst. Sie lädt die Jungs zum Sommerfest der Linken ein, da soll es dann auch die Partei-Kondome geben, aber vorher kriegen sie noch rote Broschüren in die Hand. „Viele fragen mich: wen soll ich noch wählen? Alle Parteien machen soziale Versprechungen und brechen sie dann. Ich verstehe Leute, die kein Bock auf den Politbetrieb haben und nicht wählen“, sagt Moayeri. Sie meint damit auch ihre eigene Partei, die von 2002 bis 2011 zusammen mit der SPD die Berliner Regierung bildete und in dieser Periode mit Sozialkürzungen und Privatisierungen viele Sympathien in der Basis verspielte. Viel wichtiger sei sowieso persönliches Engagement. „Aktiv werden, darum geht’s“, sagt sie. Moayeri nimmt sich, anders als viele andere Politiker, genauso wichtig, wie sie ist: so semiwichtig.

Ihre kommunistischen Eltern waren in den 80ern aus dem Iran geflüchtet. Sarah Moayeri wuchs in Aachen auf, las Karl Marx und Malcolm X, engagierte sich bei der Antifa. 2014 zog sie nach Berlin, um Germanistik und Geschichte zu studieren. Und heute steht die Viertsemestlerin am Hermannplatz in der Sonne und trommelt für den Sozialismus. „Reformen sind wichtig, aber wir brauchen eine Revolution“, sagt Moayeri. Sie liest momentan Trotzki, Das Übergangsprogramm, „ein Klassiker, lohnt sich ja immer, das aufzufrischen“. Nur: Seit wann werden Revolutionen im Plenum gezündet? Sind die „traditionellen Mittel und Wege des Protests“ nicht längst „unwirksam“, wie es Herbert Marcuse erklärte? Kurz: Wäre ein Einzug ins Abgeordnetenhaus nicht letztlich die Anti-Revolution? „Nicht, wenn man es richtig macht. Das Parlament ist die Bühne, um offenzulegen, was scheiße läuft“, sagt Moayeri. Anarchismus lehnt sie luxemburgisch ab: „Sozialismus oder Barbarei!“

In den Umfragen zur Berlin-Wahl liegen fünf Parteien erschreckend nah beieinander: SPD, CDU, Grüne, Linke, AfD. Das Koalitionsroulette läuft schon, obwohl die Einsätze noch gar nicht liegen. Klaus Lederer, der Landesvorsitzende und Spitzenkandidat der Linke, verkündete vor ein paar Wochen sein Ziel: Rot-Rot-Grün, also jene Koalition, die seit 2014 in Thüringen unter Bodo Ramelow herrscht. Die Antirealpolitikerin Sarah Moayeri rebelliert, zumindest verbal: „Die Grünen werden vom gehobenen Mittelstand gewählt. SPD und Grüne sorgen beide dafür, dass es den Reichen gut geht. Rot-Rot-Grün wäre ein Kompromiss, also falsch.“ Alles leichter gesagt, als getan? Sarah Moayeri will den Senat von der Oppositionsbank aus bekämpfen, sagt sie, denn dort leiste ihre Partei gute Arbeit. Und dass Parteiprogramme in Regierungsverantwortung schnell vergessen werden, habe zuletzt Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow gezeigt. „In Thüringen werden Menschen abgeschoben, unter Ramelows Verantwortung“, empört sich Moayeri und ruft einem Passanten „Aktiv werden gegen Rassismus!“ entgegen. Ein Einradfahrer nimmt einen Flyer auf, ohne hinzufallen. Die kleinen Wahlkampffreuden.

Moayeris spricht behutsam, ihre Inhalte sind oft radikal. Sie beendet die Sätze manchmal, bevor man es erwartet. Lieber ein Wort zu wenig als zu viel. Plakate mit ihrem Gesicht hängen ja schon im ganzen Wahlkreis - will sie Berufspolitikerin werden? „Nein“, sagt sie wie im Reflex, und relativiert dann: „Kommt drauf an, wie es sich entwickelt.“ Sollte sie ins Abgeordnetenhaus einziehen, will sie einen großen Teil ihres Gehaltes spenden – Abgeordnete sollen keine Privilegien haben. Sie spricht von „Gegenwehr von unten“, von einer „Krise des Kapitalismus“ und „der kämpferischen Linke“. Als Vorbild nennt sie Lucy Redler, die im Parteivorstand sitzt. Ihre Eltern, die beharrlichen Kommunisten, drücken ihr im Wahlkampf die Daumen, sagt sie. Welche lokalen Themen ihr wichtig sind? Die Wahlneuköllnerin will Flüchtlinge dezentral unterbringen, sie setzt sich für den Milieuschutz ein, will so bezahlbare Mieten erzwingen. Sie fordert „ein Ende der rot-schwarzen Sparpolitik“ und eine Verstaatlichung der großen Wohnungsunternehmen und Konzerne. Die Aktivisten der Rigaer Straße unterstütze sie, logisch.

In einer Zeit, in der Angela Merkel von vielen als links verklärt wird, weil die AfD die Mitte verzerrt; in einer Zeit, in der die Linken-Spitze Wagenknecht die Bundesregierung mit Populismus von rechts überholt; in einer Zeit des geringen Übels, in der die Furcht vor Trump und Le Pen zur Relativierung von Clinton und Hollande führt – in so einer Zeit, wie bleibt man da als Scharflinke eigentlich stabil? „Man hält sich ans Bundesparteiprogramm“, antwortet Moayeri. Es klingt so einfach.

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