3000 Tote zum Frühstück

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Ein typischer Wochenend-Vormittag: Nach dem Frühstück setze ich mich aufs Sofa, nehme die Tageszeitung, dazu ein zweiter Aufguss Kaffee. Und finde im Politik-Teil einen kurzen Bericht über ein Massaker im Südsudan, angeblich über 3000 Todesopfer – innerhalb einer Woche, „Stammesauseinandersetzungen“ in der Stadt Pibor im Bundesstaat Jonglei, ausnahmslos Zivilisten.

Schockierend ist sowohl die Zahl der Opfer, wie auch die „Geschwindigkeit“ des Massakers, die an Ruanda oder Srebrenica erinnern. Betroffen und nachdenklich haben mich aber sofort auch zwei andere Punkte gemacht.

Erstens die Tatsache, dass der Zeitungsbericht nur weniger Quadratzentimeter groß war. Hätten wir nicht Wochenende, und würde ich nicht die Zeit haben, die Zeitung fast komplett durchzulesen, wäre ich vielleicht auf den Artikel gar nicht gestoßen. Nach mehreren Tagen kann man hinzufügen, daß diese Information zwar in mehreren Medien (auch online) verfügbar war (Stern, Spiegel, SZ, FAZ, Tagesspiegel), doch kaum von größerer Aufmerksamkeit oder Aufmachung begleitet. Es ist auch anzumerken, dass bis heute keine weiteren Berichte zu dem Massaker erschienen sind – egal und vergessen?

Und das ist der zweite Punkt – den ich vor allem mir persönlich stellte, als ich mit dem Lesen fertig war: Wie oft passiert es mir heutzutage, daß ich aktuelle Ruandas und Srebrenicas nicht bemerke, ausblende, vergesse?

Es scheint fast, als stünde die Relevanz einer Nachricht umgekehrt proportional zu der medialen (und auch persönlichen) Aufmerksamkeit und (emotionellen und intellektuellen) Teilnahme. Hunderte Artikel, Blogs und Zeitungsquadratzentimeter über einen peinlichen, doch eher biederen Affärchen eines machtlosen Bundespräsidenten.
Dahinter folgt - immer noch vorhanden, auch wenn im Abebben - das Interesse an der Terrorserie der „Zwickauer Nazi-Zelle“. (Frage: War die Aufmerksamkeit für die RAF in den 70ern nicht um mehrere Dimensionen größer?)
Natürlich gibt es – immer wieder, daher mit immer weniger Interesse (vom Verständnis zu schweigen...) - Berichte über die „Euro-“ bzw. „Schuldenkrise“ (von manchen sogar absurderweise zu einer „Euro-Schuldenkrise“ getauft). Doch auch da ist das spannendste nur noch, wer früher Pleite geht – Griechenland oder Ungarn. (Frage: Hat Ungarn nicht noch ein paar andere, rechtsstaatliche Probleme?...)
Für „richtig Interessierte“ gibt es noch Syrien – mit geschätzten 5000 Todesopfern und einem inzwischen kaum zu leugnenden Bürgerkrieg. Allerdings – alles das seit knapp 10 Monaten.

Ich will keine Tote gegen Tote aufrechnen, eher frage ich mich, wie viele Katastrophen, Konflikte und Opfer (Todes- und andere Opfer wie Flüchtlinge, Vertriebene, Gewaltopfer, etc.) ich einfach ausblende, vergesse.
Was passiert eigentlich in Darfur?
Hungert noch jemand in Somalia?
Wie weit ist Haiti nach dem Erdbeben aufgebaut?
Dauert der Krieg in Kongo weiter an?

Es geht hier nicht um die schwierige Frage, ob man den etwas „dagegen“ tun könnte. Ob ich es könnte und kann.
Es geht um die Frage, wie jeder seine Prioritäten der Anteilnahme, des Interesses, aber vor allem des Gewissens setzt. Und mit der persönlichen Fragen – ohne für alles immer nur „die Medien“ verantwortlich zu machen -

„Was bereitet mir eher schlaflose Nächte: der Euro oder der Südsudan?“

„Was wird aus Wetten-Dass..., und was aus dem Kongo?“

„Ist mir Wulff wichtiger als Somalia?“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa