Digitaler Radiergummi oder ausradiertes (Selbst-)Bewusstsein?

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Vor kurzem wurde das Software-Tool „X-Pire!“ vorgestellt, welches „das Recht aufs Vergessen“ bezüglich der Internet-Einträge (Bilder, Blogs, etc.) möglich machen soll. Im Detail sollen Dateien mit einem „Zeitstempel“ versehen werden, wobei nach dessen Ablauf das Abrufen/Ansehen der Datei nicht mehr möglich sein soll.

Abgesehen davon, dass der Spruch „Recht aufs Vergessen“ von den geschichtlichen Assoziationen her eher undeutsch wirkt, wundert es schon, dass vor allem Politiker wie die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner oder der Innenminister Thomas de Maiziere regelmäßig ein solches „Recht“, eine derartige technische Möglichkeit des Internets fordern.

Die Frage ist: Halten Sie die Intenet-Anwender für dumm, oder sind sie es selber?

Wie meine Schwester mir bestätigte - da ich selbst kein Mitglied eines Sozialnetzwerks wie „Facebook“ bin - sind solche Anwender anscheinend „etwas dumm“. Denn: man kann problemlos bei „Facebook“ selber alle Einträge löschen. Gut, es bedarf etwas Zeit & Mühe – aber in Summe nicht weniger, als a priori jede Datei mit einem „X-Pire“-Zeitstempel zu verstehen.

Zweitens – das weiß sogar ich – werden die privaten Facebook-Inhalte nicht in Google angezeigt, auch das kann man einstellen.

Drittens, um auf den häufigen Einwand einzugehen „Meine potenzielle Chefin surft und sieht all meine doofen Bilder von früher, wo ich halbnackt und besoffen politisch Inkorrektes von mir gebe!...“ - das kann ein Fremder nur tun, indem a.) diese Inhalte immer noch von mir nicht gelöscht wurden, und b.) ich mein Konto nicht privat halte, d.h. ich müsste „die Chefin“ erst als „Freund bestätigen“ - damit sie etwas sehen kann.

Folgerichtig muss man dumm sein, wenn man „dumme Inhalte“ von sich erstens ins Internet stellt, und dann wirklich sehr dumm sein, wenn man diese nicht löscht (sobald sie einem als „dumm“ oder „unangenehm“ erscheinen“). Ähnlich in den meisten anderen Diensten – ob „Twitter“, „MySpace“ oder die eigene Website – ich kann im nach hinein alles löschen.

Klar, es kann ja passieren, dass ein Bekannter meine „peinlichen“ Photos oder einen lächerlichen Text aus der Schülerzeitung ins Netz stellt. Allerdings wäre es für „einen Fremden“ schon eine sehr aufwendige und zeitraubende Arbeit, solche – zwar veröffentlichte – Daten zu finden. Außer wenn ein derartiger „Freund“ eine „Ich-feindliche-Website“ kreiert, voller Meta-Daten mit meinem Vor- und Nachnamen. Doch dann ist es ein Fall von Verleumdung, Verletzung der Privatsphäre und oft Urheberrechtsverletzung – und dafür gibt es genug Gesetze.

Tools wie „X-Pire!“ sind dennoch praktisch und willkommen – allerdings nur als eine technische Option, nicht als Ersatz für bewusstes, verantwortliches und kluges Handeln mit eigenen Daten im Internet.

Jedes Mal wenn ich Daten ins Netz stelle, muss ich mir dessen bewusst sein, dass ich diese veröffentliche.

Entweder handle ich – wie bei diesem Blog oder in Internet-Foren – für die Öffentlichkeit, ich stelle es allen zur Verfügung. Oder „halbprivat-halböffentlich“ – wie bei Facebook-Inhalten – für „Freunde“, also andere Facebook-Anwender, denen ich das Anzeigen meiner Inhalte erlaube. Oder aber – ganz privat - auf eine Website, wo nur wenige auserwählte per Passwort Zugang haben. Das erste wäre vergleichbar mit einem Marktplatz, einem Lesebrief, oder einem Eintrag ins Gästebuch eines Museums. Das zweite mit Photos in einem Bowling-Verein oder einem Beitrag für die Betriebszeitschrift. Das dritte wäre wie ein Schlüssel für ein privates Archiv.

Seitens der Betreiber der Internet-Portale soll andererseits sichergestellt werden, dass erstens der Nutzer über das Schicksal seiner Daten aufgeklärt wird (was in Suchmaschinen gezeigt wird oder nicht; was ist öffentlich und was nicht), und zweitens – muss sich der Betreiber solcher Websites daran halten. Beides kann jedoch weder die Veröffentlichungsblödheit der Nutzer verhindern, noch kann es die Internet-Nutzer von der Verantwortung und den Folgen befreien. Wenn ich auf eine Mauer meine Telefonnummer spraye, oder einen Nazi-Artikel veröffentliche, muss ich in beiden Fällen auch die Verantwortung und die Folgen tragen. Warum soll das Internet „das Vergessen leichter machen“ -.als eine öffentliche Gebäudefassade oder eine Bibliotheksarchiv?

Wichtig sind also nicht „Werkzeuge zum Vergessen“, sondern vielmehr eine Aufklärung und ein Bewusstsein im Bezug auf die Veröffentlichungen bei den Internet-Anwendern, bei den Autoren der Beiträge, bei den Menschen. Aus demselben Grund unterschreibe ich alle meine Blogs und Forum-Beiträge (nicht nur hier im „Freitag“) immer mit vollem Vor- und Nachnamen. Da ich diese bewusst schreibe, in die Öffentlichkeit stelle, und keine Scham davor habe, meine Person, meine Autorenschaft zu bezeugen. Egal ob ich in einem Forum danach Frage, wie ich meinen PC konfigurieren soll, eine Firma kritisiere, oder einen regierungskritischen Blog verfasse.

Gut, zugegeben, würde ich in Weissrussland, Usbekistan, Iran oder China leben, würde ich sicherlich einiges pseudonymisieren. In Deutschland sehe ich dazu keine Veranlassung: solange ich den Stand der Meinungsfreiheit als zufriedenstellend betrachte, bleibe ich öffentlich, und brauche auch keinen von Ministern verordneten „digitalen Radiergummi“. Und Daten, die ich meiner Privatsphäre zuordne, zeige ich auch nur privat.

Statt „Radiergummis“ und einem „klinisch-politisch-korrektem“ Internet - mehr Courage und Selbstbewusstsein im Netz, aber auch mehr Humor und Lässigkeit, und nicht nur dort. Egal ob ein gegenwärtiger oder potenzieller Arbeitgeber, ein Nachbar oder eine neue Freundin nach mir „googelt“ oder nicht. Übrigens: Wird es für einen „Googelnden“ nicht irgendwann auch verdächtig, wenn er von mir nur „perfekte & saubere“ Inhalte im Netz findet, oder gar – keine?...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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