E. Eppler über die Haushaltspolitik der EU-Länder (SZ, 23.01.2012)

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Ich würde gerne diesen Artikel hier teilen, da meiner Meinung nach die Problematik der Haushalte der EU-Länder sehr gut und sachlich angegangen wird, ohne dass es ein emotionalles "Schuldenbremse"-Bashing ist. Eppler verneint gar nicht die Notwendigkeit des Schuldenabbaus, betont aber klar, dass dies nicht (allein) durch Einsparungen der Ausgabenseite, sondern auch durch Erhöhung der Steuereinnahmen (und deren EU-weite Harmonisierung) geschehen soll.

"Der Korb bleibt leer

Alle reden davon, dass Europa jetzt sparen muss. Niemand aber sagt, dass die EU eine gemeinsame Steuerpolitik braucht.

Fiskus war im alten Rom ein Korb, ein Geldkorb, in den die Kaiser Steuern einsammelten und – häufig nach Gutdünken - wieder ausgaben. Heute wird das Wort Fiskus überall da verwendet, wo ein Staat Geld einnimmt oder ausgibt. Kein Staat ohne Fiskus kein Fiskus ohne Staat. Eine Fiskalunion hätte also genau die Staatsqualität, die Staaten wie Großbritannien der Europäischen Union keinesfalls zubilligen wollen. Man kann die Fiskalunion wollen sollte sie sogar wollen, aber man kann si< nicht im Handstreich machen. Ein Mitte gegen das, was Finanzmärkte und Rating-

Agenturen mit den Europäern anstellen und noch vorhaben, ist es daher nicht.

Wir in der Europäischen Union vom Fiskus gesprochen, dann immer nur von den Ausgaben; nicht von den Einnahmen. Wo es um Steuern geht, hat die EU nichts zu sagen. Wenn einer von 27 Staaten eine Steuervorlage nicht auf der Tagesordnung des Rates sehen will, wird sie dort erst gar nicht diskutiert. Das hat viele, auch historische Gründe. Einer davon ist, dass die Briten vor mehr als 300 Jahren eine Revolution gemacht haben, die unter dem Slogan „No taxation without representation" lief. Als „representation" gilt heute wie damals nur das Unterhaus. Ein anderer Grund wird uns erst jetzt, nach dem Scheitern des Marktradikalismus bewusst: Die einschlägigen Verträge stammen aus der Epoche marktradikalen Denkens.

In Europa sagte zwar niemand, was in den USA Grover Norquist, Chef der „Americans for Tax Reform", verkündete: Man müsse den Staat auf die Hälfte schrumpfen, damit man ihn „jederzeit in

der Badewanne ersäufen" könne. Aber in der Europäischen Union wurden Verträge gemacht über öffentliche Haushalte, zu deren Einnahmeseite man nichts, gar nichts zu sagen hatte. Also bedeutete

Haushaltsdisziplin in der öffentlichen Diskussion einzig und allein sparen, also den Abbau, die Privatisierung oder gar Streichung von Staatsaufgaben.

Die Sache ist sogar noch verwirrender. Das Zauberwort der Epoche hieß „Wettbewerb". Das galt auch für die Steuern. Wer die Investitionen global agierender Konzerne ins Land holen wollte, musste niedrigere Steuern erheben als der Nachbar. So kam es zum ruinösen Wettbewerb um die niedrigsten Unternehmenssteuern. Allen voran gingen einige der neuen ^Mitglieder aus Zentral- und Osteuropa, denen die Chicago-Boys die „flat tax" aufgeredet hatten, also den - niedrigen - Einheitssteuersatz für alle Einkünfte vom Hilfsarbeiter bis zum Börsenspekulanten, auch für Unternehmen. Doch auch der Anteil der Unternehmenssteuern am Gesamtsteueraufkommen in der Bundesrepublik ist heute noch etwa halb so hoch wie vor 40 Jahren. Dass dies auch zur Verschuldung beigetragen haben könnte, ist allerdings bis heute kein Thema. Schulden kommen nur von üppigen Ausgaben, von Verschwendung.

Das Prinzip des Steuerwettbewerbs ist bis heute unantastbar. Eine Harmonisierung von Steuern hat es nie gegeben. Als Irland unter den Rettungsschirm schlüpfen musste, fanden einige von denen, die den Schirm aufzuspannen hatten, nun müsse Irland seine lächerlich geringen Unternehmensteuern erhöhen. Sie scheiterten. In Irland betragen die Unternehmensteuern bis heute nur einen Bruchteil dessen, was in den Ländern üblich ist, deren Solidarität nun gefordert ist. In den Europäischen Verträgen ist der Wettbewerb vorgesehen, nicht die Solidarität. Eine Fiskalunion aber, welche die Einnahmen, die Steuern, ausklammert, ist eine groteske Vorstellung. Wer nicht in der Lage ist, auch

nur gemeinsame Ober- und 'Untergrenzen für bestimmte Steuern durchzusetzen, wer dies noch nicht einmal will, sollte besser nicht von Fiskalunion reden.

Bei allem, was Angela Merkel zusammen mit dem französischen Präsidenten verficht,.kommen die Einnahmen nicht vor. Vielen fällt dies, gar nicht auf. Schließlich ist diese Einseitigkeit in den

Verträgen, nicht nur von Maastricht, angelegt. Dass solche Einseitigkeit sich nicht von selbst versteht, dass. sie vielmehr mit der langjährigen Hegemonie der Marktradikalen zu tun hat und dass

auch diese Hegemonie endlich ist, müssen wir wohl erst wieder lernen.

Die EU kann in ihrer Not nicht eine Solidarität verlangen, die in den Verträgen nicht vorgesehen ist, und gleichzeitig einen Wettbewerb fördern, der diese Solidarität untergräbt. Ja, es stimmt, dass

die Verträge nicht der Weisheit letzter Schluss sind. Aber es stimmt nicht nur da, wo es um automatische Strafen für Haushaltssünder geht. Manches von dem, was die griechische Krise verschärft hat, kam, weil die Akteure, auch die Kanzlerin, nicht wussten, ob sie einem Partner helfen oder einen Versager im Wettbewerb bestrafen sollten. Beides zusammen konnte nicht gelingen.

Haushalte bestehen nun einmal aus gesetzlich geregelten Einnahmen und einem Gesetz über den Haushalt, das die Ausgaben festlegt. Wer, und sei es nur langfristig, eine Fiskalunion ansteuert, kann nicht nur auf die Ausgaben starren und die Einnahmen ignorieren, als wären sie etwas Unanständiges. Das ist, ob es nun passt oder nicht, das skurrile Erbe einer Epoche, in der man, ohne zu erröten, behaupten konnte, Steuersenkungen finanzierten sich selbst, weil sie gewaltige Wachstumsschübe auslösten. Wenn das nicht eintrat, musste der Staat eben sparen, am meisten die Gemeinden. Wohin das führt, zeigt die scheinbar belanglose Meldung, die Anzahl der Zehnjährigen, die nicht schwimmen können, habe sich in Deutschland deutlich erhöht.

Was für konventionelle Steuern gilt, muss natürlich auch für die Steuer gelten, die das Spekulieren an den Finanzmärkten ein bisschen weniger attraktiv macht und gleichzeitig auch den Teil der Wirtschaft einer Umsatzsteuer unterwerfen soll, der den Steuerzahler schon Milliarden gekostet hat: die Transaktionssteuer für Börsenumsätze. Gegen diese Steuer sind in Deutschland fast nur die wenigen, die immer gegen jede Steuer sind. Fraglich ist nur, ob alle, die diese Steuer für vernünftig und nötig halten, dafür auch alles tun, was möglich ist. Sie hätte wohl nur europäisch eine Chance.

Aber sie könnte uns auch daran erinnern, dass ein Haushalt nicht nur Ausgaben hat, sondern auch Einnahmen braucht. Vielleicht sogar daran, dass, so wie Pädagogik nicht nur aus Strafen besteht, Haushaltspolitik nicht nur . Auf Strafen für die Hartleibigen setzen kann, die manche Aufgabe des Staates einfach nicht streichen mögen. Ein Staat kann sich auch dadurch ruinieren, dass er seine Pflichten nicht erfüllt."

(Süddeutsche Zeitung vom 23.01.2012, S. 2)

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Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa