Schlecker: Mit Wachstumsdogma in die Pleite

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Schlecker und seine Tochterfirmen sind pleite. Traurig traurig. Für den Unternehmer Anton Schlecker, der in sein Lebenswerk sowohl am Anfang, wie am Ende der Geschichte des gescheiterten Unternehmens nicht wenig eigenes Vermögen hineinsteckte. Traurig nicht nur für seine Kinder, die als Nachfolger gerade eingesetzt wurden, sondern auch für die weiteren – bisher meist schlecht bezahlten und behandelten - 30000 Arbeitnehmer der Firma, die wohl vor die Tür gesetzt werden. Schließlich traurig für unbezahlte Lieferanten (zu denen nicht nur Größen wie Henkel oder Procter&Gamble gehören), vielleicht sogar für einige der immer weniger werdenden Kunden.

Das Beispiel Schlecker hat jedoch aus meiner Sicht noch eine weitere, grundsätzliche Dimension. Das Scheitern dieses Unternehmens ist ein Beispiel für die Folgen eines ungebremsten, irrationalen, machthungrigen, gar größenwahnsinnigen und... unwirtschaftlichen Wachstums.

Es ist in großen Teilen ein Beispiel für die Problematik und negativen Auswirkungen eines ständigen und grenzenlosen Wachstumsdenkens.

Anton Schlecker war überzeugt – wie übrigens viele andere Unternehmer und (Wirtschafts-)Politiker– dass man ohne Wachstum nicht existieren kann. Mehr sogar: Seine Leitidee war, daß das stetige Wachstum der Firma eine Grundvoraussetzung für deren Erfolg und die Existenz am Markt sein sollte. Es war nicht die Qualität oder Besonderheit der Produkte oder des Verkaufsmodells, es war nicht die Erfahrung oder die Dienstleistungsqualität der Angestellten. Es ging um Größe. Um Filialen. Tausende. Zigtausende. Der Erste am Markt zu sein.

Bei dem größenwahnsinnigen Wachstumsdenken hat Herr Schlecker allerdings nicht nur seine Angestellten vergessen. Angestellten, die unter schlechten Bedingungen und sehr niedrigen Löhnen gearbeitet hatten – was sich schließlich auch auf die Kundenzufriedenheit und -bindung, und somit den Umsatz ausgewirkt hatte.

Nicht nur den Umsatz. Bei seinem „Wir-müssen-wachsen!“-Motto hat Schlecker auch die wichtigste unternehmerische Komponente lange vernachlässigt – den Gewinn. Er drückte zwar die Kosten wo es ging (Mietkosten der Filialen, Einkaufspreise der Produkten, Entlohnung der Angestellten und der Dienstleister) – doch hat es dennoch nicht geschafft, einen nachhaltigen Gewinn durch sein Unternehmen zu erwirtschaften.

Vielleicht hatte er noch – wie viele andere Firmenchefs übrigens – daß sich der ungezügelte, „systemimmanente“ Wachstum doch auszahlen wird: durch eine marktbeherrschende Stellung, durch den Untergang der Konkurrenz. Dann hätte er die Preise besser diktieren können – zum Leidwesen der Konsumenten.

Daher freut es mich eigentlich, dass ein Unternehmen scheitert, welches es versuchte, durch einen Expansionskurs den Markt zu beherrschen. Welches nicht durch Qualität, sondern durch Billigkeit erfolgreich sein wollte. Und bei welchem die wirtschaftlichen und unternehmerischen Aspekte wie Umsatz, Gewinn, Kunden- wie Mitarbeiterzufriedenheit immer weiter vernachlässigt wurden, während „Wachstum“ zu einem egomanischen Dogma wurde.

Es ist aber Zeit, in diesem Text den Pleitefall Schlecker hinter sich zu lassen. Es ist Zeit, sich an die eigene Hochnäsigkeit zu fassen.

Haben wir selbst nicht gerne auch manchmal bei Schlecker und ähnlichen Billiganbietern eingekauft? Denken wir selbst nicht oft: „Hauptsache billig“? Denn dann bleibt mehr Geld in unserer Tasche oder kann mit demselben Geld mehr eingekauft werden?

Wollen wir nicht alle „mehr“, mehr „Wachstum“? Nicht nur beim Ausgeben und Konsumieren, sondern auch beim Einnehmen (Gehälter, Umsätze, Sozialleistungen, Anlagen, Investments, Erbschaften, Staatsförderungen). Oft geht das eine nicht ohne dem anderen: Nur mehr Arbeit und mehr Einkommen ermöglichen das „Mehr“ am Ausgeben.

Ist nicht für uns alle „Wachstum“ systemimmanent und somit unverzichtbar geworden? Ein Leitmotiv des Lebens? Ist das „Mehr“ kein – wenn auch oft manchmal durchaus erfreuliches, warum nicht? - beiläufiges Ergebnis des täglichen Wirkens und Lebens? Wie schönes Wetter, guter Sex, oder ein guter Witz? Sondern eine Notwendigkeit – oft eine „gefühlte“, oft eingebildete?

Stetiges Wachstum führt zur Größe, der eigenen, und somit aber auch zur Verkleinerung der Anderen. An sich ein natürlicher, selbstverständlicher Vorgang – solange diese Größe nicht ungesund und gefährlich wird. Nicht nur auf der mentalen Ebene des eigenen Ego, und nicht nur in Bezug auf die Verfettung (des Körpers oder des Fahrzeugs). Um beides in einen Zusammenhang zu bringen: Ein Fahrradspaziergang macht oft mehr Spaß als eine „Spritztour“ mit einem Geländewagen (und das nicht nur in der Stadt!), macht Geist und Körper fitter. Und wenn man danach doch Hunger kriegt, ist ein leckeres Essen (was nicht immer teurer sein muß) mit mehr Genuß und Freude als eine Vielfresserei verbunden.

Aber zurück zur Wirtschaft – und Politik. Zu große Unternehmen – auch wenn deren Wachstum nicht unnatürlich durch Schulden oder schlechte Bezahlung erzeugt wurde – sind nicht nur für den Markt an sich gefährlich. Sie sind es für den Staat, für die Gemeinschaft an sich. Je größer desto gefährlicher – und zwar nicht in geometrischen, sondern exponentiellen Proportionen. Man denke nur an das liebe Wort „systemrelevant“ im Bezug auf manche Banken - und die Milliarden, die dieses Adjektiv uns alle gekostet hat. Oder an die Hilfsmaßnahmen an die Automobilkonzerne in den USA (GM, Chrysler) und die versuchte „Rettung“ von Opel in Deutschland. Oder auch die Milliarden, mit denen Tepco derzeit vom japanischen Steuerzahler unterstützt wird. Wenn ein Unternehmen mit sagen wir Zigtausdenen Beschäftigten, Aktionären und Zulieferern (oder auch ein Monopolist) in Gefahr ist – springt der Staat sofort ein. Bei Klein- und Mittelunternehmen, die näher an den Bedürfnissen der Kunden sind, die innovativer und flexibler, aber auch sozialer wird nicht so schnell geholfen. Denn dort fallen die Zigtausenden Arbeitsplätze und Lieferantenforderungen „tröpfchenweise“, unscheinbar, während bei „den Großen“ es einen Knall gibt, wo kaum ein Politiker „Nein, wir helfen da nicht!“ sich zu sagen traut.

Es gibt auch Politiker, die in ihren Visionen sogar den Wunsch äußern, man möge die ohnehin schon großen und oligopolistischen Unternehmen zusammenlegen. Wie der EU-Energiekommisar Oettinger, der vor kurzem eine Fusion von Eon und RWE vorschlug – damit sie als „Global Player“ und nicht in der „Regionalliga“ spielen. Ein dezenter Hinweis auf die Vorteile aus Marktbeherrschung? Oder lediglich ein stolzer Wunsch, mal ein deutsches Energiekonzern unter den Top-10 zu sehen? Solche Ideen bezeugen, daß vor allem Oettingers Pläne auf dem „Regionalliga“-Niveau spielen. Wobei es nicht ausgeschlossen ist, dass es bald auch auf RWE und Eon zutrifft. Diese haben derzeit vor allem wegen ihrer bisherigen behördenartigen, doch marktbeherrschenden Größe, sowie fehlender Flexibilität und Innovation. Der beklagte Atomausstieg hat diese nur offengelegt und beschleunigt. Denn je größer eine wirtschaftliche Organisation eines Konzerns, desto mehr nähert sie sich in ihrem inneren einem planwirtschaftlichen Moloch.

Große Unternehmen und Unternehmensfusionen – also „Wachstum“ nur aus einer Perspektive – bringen selten Vorteile. Und wenn, dann nur den Aktionären eines Oligopolisten – nicht den Angestellten, nicht den Konsumenten, nicht der Volkswirtschaft. (Außer, man denkt wie Gerhard Schöder als Kanzler, daß man „die Wirtschaft“ so „ins Laufen bringe“, indem man mit ein paart DAX-Bossen in geselliger Runde ein paar Vereinbarungen trifft).

Die Politik soll im Gegenteil dafür sorgen, daß kein Unternehmen zu groß wird! Und wenn es schon groß ist, dass es nicht den Markt (Einkaufs- und Verkaufspreise) zu sehr beherrschen kann.

Ein Beispiel. Vor ein paar Jahren fragte ich meinen Onkel, dessen Firma eine der größten polnischen Fliesenproduzenten ist, warum er denn dieses jährliche „Wachstum“ brauche? Er lebe doch gut (und, ich muss zugeben, relativ bescheiden), Geld hat er genug, er hat keine ausstehenden Kredite zu tilgen, und er tue es doch nicht für sein Ego. Er gab mir recht, fügte jedoch etwas bedrückt hinzu: „Wenn ich aber nicht wachse, verdrängt oder schluckt mich ein anderer.“

Also doch Wachstum als Überlebensnotwendigkeit, und nicht bloß ein natürliches Ergebnis von Innovation, Qualität, Kundenzufriedenheit – oder gar niedrigeren Preisen. Ein System, eine Gesellschaft die solche Fälle möglich machen oder gar fördern, ist nicht hinnehmbar.

Schuld an der „Wachstumspsychose“ sind nicht immer pekuniäre oder Motive. Wie bei Schlecker sind es genauso oft egomanische Größenphantasien. Viele Firmenbosse denken wie Feudalherrscher: Geld genug haben sie ohnehin, aber das Ego flüstert ihnen immer wieder dieses „größer! Mehr! Erobern und andere verdrängen!“

Doch ich kenne auch an sich „nette“, „gutgemeinte“ unternehmerische Irrwege des Wachstums. Einem mir bekannten Unternehmer ging es nicht um Gewinn oder Umsatz, schon gar nicht um eigenen Reichtum. Er hat die Mitarbeiter zwar durchschnittlich bezahlt, doch nie ausgenutzt oder schlecht behandelt. Im Gegenteil – und das war sein „Ego“, sein Fehler, sein Größenwahn – er hat liebend gerne Leute angestellt. Ob er sie brauchte oder nicht. Er gab vielen „eine Chance“ - und ließ sich nur ungern von Mitarbeitern trennen. Motiv? Er genoß es, ein „väterlicher“ Unternehmenschef „der alten Schule“ zu sein, er genoß es viele Leute zu lenken und unter sich zu haben. Liefen die Geschäfte gut – stellte er noch mehr ein. Liefen die weniger gut – ging er zur Bank. Während der Finanzkrise 2009 wollte die Bank nicht mehr mitmachen. Der Mann ging pleite, alle Angestellten verloren ihren Job, der Bank blieben die Schulden, den Lieferanten unbezahlte Rechnungen.

Der ehrgeizige, „notwendige“ Wachstum war – wie bei Schlecker – am Ende ein Schwarzes Loch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa