US-Außenminister Antony Blinken (rechts) bei den USA-China-Gesprächen in Alaska
Foto: Frederic J. Brown/Pool/AFP
War das ein klassischer Testballon, der zum Himmel steigt, um gleich wieder auf den Boden der Tatsachen geholt zu werden? Erst erklärt das US-Außenministerium, man sondiere „bei ähnlich denkenden Ländern auf der ganzen Welt“, ob die Olympischen Winterspiele in Peking 2022 boykottiert werden sollten. Der Gastgeber versündige sich allzu sehr an den Menschenrechten von Uiguren, so Ned Price, Sprecher von Minister Antony Blinken. Und dann kommt Joe Bidens Pressesekretärin Jen Psaki und verkündet noch am selben Tag: „Aus Sicht der Vereinigten Staaten gibt es keine Diskussion über geänderte Pläne hinsichtlich der Spiele in Peking. Wir diskutieren mit Verbündeten und Partnern keinen gemeinsamen Boykott.“
Was mag das Wei
ag das Weiße Haus zu dieser Klarstellung bewogen haben? Die Furcht, zum Gefangenen seiner selbst zu werden, wenn forsche Statements als erklärte Absicht wahrgenommen werden? Immerhin stand die Frage im Raum, ist eine Kampagne bis hin zum Olympia-Boykott fällig? Oder soll China bloß ein Warnschuss schrecken? Angreifen oder pokern? Ausschlaggebend für den vorläufigen Rückzug könnte die Erinnerung an die Blockade der Sommerspiele 1980 in Moskau gewesen sein. Damals hatte die Regierung des demokratischen Präsidenten Carter nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan das Gros der westlichen Staaten, darunter die Bundesrepublik, genötigt, den Sowjets die kalte Schulter zu zeigen, was die schwer übel nahmen. Den Rumpfspielen in Moskau folgten die von Los Angeles vier Jahre später, als sich der Ostblock durch Fernbleiben revanchierte. Es dauerte nach Olympia in Montreal 1976 zwölf Jahre, bis das größte Sportereignis der Neuzeit wieder zu Normalität und Universalität zurückfand. Kann das die olympische Bewegung in der zerrissenen Welt von heute nochmals verkraften? Fände sich eine Koalition der Boykott-Willigen wie einst im Kalten Krieg?Präsident Biden hat zwar gegen China und Russland den Kampf der Systeme ausgerufen, scheint aber noch nicht zu wissen, wie der geführt, vor allem gewonnen werden soll. Was fragen lässt, woran man einen Sieg erkennen könnte? Dass sich China und Russland mit dem Status von Regionalmächten begnügen und darum betteln, mit einem „regime change“ gesegnet zu werden? Wer so denkt, ist nicht von dieser Welt. Der hängt trügerischen, wenn nicht selbstmörderischen Illusionen an.Ungeachtet dessen hat Joe Biden gleich zu Beginn seiner Amtszeit gehörig ausgeteilt. Er verlängerte zwar mit Russland den New-START-Vertrag zur nuklearen Rüstungsbegrenzung, nannte jedoch kurz darauf Präsident Putin einen „Killer“. Der aus dem Klub zivilisierter Politiker verstoßen gehört? Die Nähe von pragmatischer Entscheidung und denunziatorischem Verdikt deutet auf die bei US-Präsidenten beliebte Symbiose von Real- und Moralpolitik. Kommt Biden darauf zurück, lässt sich damit bestenfalls das eigene Lager vergattern, aber mitnichten verhindern, dass nicht westliche Großmächte Interessen haben und zu bedienen wissen, indem sie am Anspruch auf das eigene System und die eigene Wirtschaftsordnung festhalten. Yang Jiechi, chinesisches Politbüromitglied, hat beim kontrovers verlaufenen Spitzentreffen USA/China am 19./20. März in Alaska Außenminister Blinken und Sicherheitsberater Sullivan zu verstehen gegeben, dass sein Land die USA als einen Wettbewerber unter anderen sehe, weder zur Vormacht noch zum Vormund berufen. China lasse sich nicht vorschreiben, wie es seine Innenpolitik ausrichte. Es halte an einer „Diplomatie des friedlichen Aufstiegs“ fest.Die Position der russischen Regierung unterscheidet sich davon alles andere als fundamental. Moskau folgt der realpolitischen Idee von einer multipolaren Welt, in der Regionen wie Staaten austarieren und aushandeln, wie sie Konflikte vermeiden, Interessensphären respektieren und Dissens durch Diplomatie auffangen. Ein Ansatz, der Donald Trumps Außenpolitik durchaus entgegenkam. Er betrachtete bilaterale Beziehungen unabhängig von Allianzen, Loyalitäten oder Traditionen, moralisierenden und ideologiegestützten Katechismen. So konnte er den nordkoreanischen Führer Kim Jong-un vor den Vereinten Nationen als „kleinen Raketenmann“ verspotten, um ihn am 30. Juni 2019 – auf der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea am 38. Breitengrad stehend – „meinen Freund“ zu nennen, den er an ebendiesem Ort zu treffen wünschte. Auch wenn man letztlich zu keiner Übereinkunft fand, die eine atomare Askese Nordkoreas mit Sicherheitsgarantien der USA honoriert, wurde ein verkrampftes Verhältnis so weit entspannt, dass ein solches Agreement zumindest möglich schien.Joe Biden hat dem außenpolitischen Makler Trump mit seinem Sinn für Politik und Comedy nie etwas abgewinnen können. Als Präsident greift er nun auf den seit jeher fragwürdigen US-Exzeptionalismus zurück. Seine Reden beatmet die religiös anmutende Überzeugung, ein Land mit den höchsten demokratischen Tugenden überhaupt zu führen, dem die Mission auferlegt bleibt, seine Lebensart in der Welt zu verbreiten und all jene in die Schranken zu weisen, die sich dem widersetzen. „America first“ mit anderen Mitteln, alten Floskeln – aber neuen Instrumenten? Denn erledigt hat sich die noch unter George Bush (2001 – 2009) geltende strategische Agenda, dem Rest der Welt militärisch so weit überlegen zu sein, dass sich zwei Kriege gleichzeitig führen lassen, inklusive der temporären Besatzung in niedergeworfenen Staaten. Insofern ist davon auszugehen, dass Biden den Rückzug aus Afghanistan für unumgänglich hält, jedoch verhindern will, dass eine Machtübernahme der Taliban – quasi als Rücknahme des von den USA 2001 erzwungenen „regime change“ – daraus folgt. Die Militärpräsenz des Westens am Hindukusch wie dem Zeitalter des interventionistischen Übergriffs wäre ein beschämendes Finale beschieden. Freilich steht außer Zweifel, solange die USA mit Afghanistan belastet bleiben, schwächt sie das bei einer konfrontativen Konkurrenz mit China und Russland.Die Verbündeten sollen liefernWie die künftig bestritten werden soll, hat Sicherheitsberater Sullivan in Alaska vor der chinesischen Delegation angedeutet. Man gedenke einen Wettbewerb der Systeme um technologische Kapazitäten, moderne Infra- und Kommunikationsstrukturen sowie Investitionsanreize zu führen. Zu ergänzen wäre, ohne auf militärisches Drohpotenzial zu verzichten, nur sollen dafür die NATO-Verbündeten mehr leisten als bisher geschehen, was Donald Trump genau so, nur deutlich ungehaltener verlangte.Bidens Regierung sondiert noch, wie sich der geopolitische Raum ausschreiten lässt, der für ihre „America first“-Option zur Verfügung steht. Es dürfte sich als anachronistischer Trugschluss erweisen, eine von den USA geführte westliche Allianz könne den existenziellen Zwängen des 21. Jahrhunderts ohne Partnerschaft mit China und Russland gewachsen sein.
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