Der kubanische Revolutionsführer ist nun im Alter von 90 Jahren gestorben
Foto: Jorge Rey/AFP/Getty Images
Auch seine Feinde und Gegner kommen nicht umhin, Fidel Castro historisches Format zu bescheinigen, seine enorme Ausstrahlung zu loben, seine intellektuelle Brillanz, seine Uneigennützigkeit und Größe zu würdigen. Dieses Leben riss einen Jahrhundertweg mit sich fort. Es schlug Schneisen durch die auf Ewigkeit angelegten Gefilde der Erniedrigten und Gedemütigten. Nicht nur in Kuba, ebenso in Zentral- wie Südamerika, auch in Afrika, als dort der Sozialismus noch als hilfreich galt, sich von Unterentwicklung zu befreien und aus postkolonialer Verstrickung zu lösen.
Auch wenn Fidel Castro schon im August 2006 nach einem körperlichen Zusammenbruch die aktive Politik aufgab, weder Staatschef noch Generalsekretär der KP Kuba blieb, schien er doch zu eine
blieb, schien er doch zu einem Marathon des Lebens unterwegs, für den es kein letztes Ziel gab; nur ein nächstes, kommendes, vorübergehendes. So dachte oder hoffte, wer glaubte oder davon überzeugt war, dass diese Revolution ohne den Maximo Lider nicht auskommen würde.Die meisten der heute lebenden Kubaner waren noch nicht geboren, als Fidel Castro am 1. Januar 1959 mit seiner Rebellen in Havanna einzog. Große Teile des Landes, der Osten zuerst, waren bereits von der Batista-Diktatur, einem Mündel der USA, befreit. Es nahm ein Gezeitenwechsel seinen Lauf, der mehr sein sollte, als ein Umsturz, eine „Wende“ oder ein Machtwechsel. Diese karibische Revolution nahm eine Gesellschaft unters Rad, wie es in der Region keine Umwälzung zuvor vermocht hatte. Als Anachronismus denunziertKubas Revolution wurde gern und oft totgesagt, als zivilisatorisches Desaster gegeißelt, als seelenlose Maschinerie einer Diktatur und des Terrors verschrieen, als Anachronismus denunziert. „Wir haben schwere Zeiten durchgestanden“, sagte Fidel Castro im Jahr 2005 bei einem Interview mit Ignacio Ramonet, damals Chefredakteur von Le Monde diplomatique, doch sei die Revolution inzwischen das Werk von vier Generationen und könne nicht mehr von außen, „sondern nur noch durch sich selbst zerstört werden“. Es waren seinerzeit die entbehrungsreichsten Jahre der Not und des Ausverkaufs zu überstehen. Man sprach von einer „Spezialperiode“, nachdem 1990 der Ostblock zusammengebrochen war. Die neuen Regierungen in Moskau, Warschau, Prag, Budapest oder Ostberlin, denen allerorten ein höherer politischer und humanitärer Standard attestiert wurde als ihren kommunistischen Vorgängern, wollten von Beistand und Vertragstreue nichts mehr wissen. Kuba Schicksal schien besiegelt. Auch jetzt, nach der Nachricht vom Morgen des 26. November, fehlt es nicht an frohlockenden Stimmen, die Castros Tod als Zeichen eines nahen Abschieds von seinen gesellschaftlichen Idealen deuten, damit Kuba wieder eingemeindet werde in die alternativlose Dumpfheit heutigen Stillstands. Castro wird zur Figur des 20. Jahrhundert erklärt, das so unwiderruflich vergangenen wie der einstige Comandante in Jefe aus der Zeit gefallen sei. Fast klingt es so, als sollte höherer Wille bemüht werden, der ihn das Zeitliche segnen ließ. Betrug an der RevolutionDie staats- und gesellschaftstragende Linke in Westeuropa, besonders die im wiedervereinten Deutschland, das jede Solidarität mit Kuba verweigerte, zu der die DDR bis 1989 stets bereit war, achtete streng darauf, Kuba nach dem Epochenbruch von 1990 im Stich zu lassen. Es war nicht mehr opportun, Castro und seinem unvollendeten Sozialismus gerecht zu werden. Die Haltung wurde zum Offenbarungseid eines Zynismus, der Marxismus und Internationalismus, den Mut zum energischen Widerstand gegen einen gesellschaftlichen Status quo als Kinderkrankheiten ablegte, deren man sich schämte, indem man bestritt, sie gehabt zu haben. Ein Kuba, das sich nicht hin zum Kapitalismus reformierte ließ – sprich: die Heimkehr verweigerte – wurde als große Enttäuschung gescholten und als Provokation für eigene Etabliertheit empfunden.Wie bombastisch hatte man doch im Juli 1989 den 200. Jahrestag der Großen Revolution in Frankreich als Durchbruch zum bürgerlichen Zeitalter und epochale Wende von unschätzbarem Wert gefeiert. Hatten solcher Zäsur nicht erst eine jakobinische Diktatur und terroristische Guillotine die nötige Schlagkraft verliehen? Nicht schön, gewiss, aber wahr, vielleicht auch nötig. Um so mehr muss man Fidel Castro jetzt als „brutalen Diktator“ verunglimpfen. Derart selbstbetrügerisches Trümmerwerk im Kopf dürfte Castro bis zuletzt fremd und suspekt gewesen sein. Als Staatschef jedenfalls hat er es einen Betrug an der Revolution genannt, diese nicht zu verteidigen gegen eine – und das ist leider keine Übertreibung – Welt von Feinden.Eine Woche nach seinem Tod In seinem Gedicht „Bei der Nachricht von der Erkrankung des mächtigen Staatsmannes“, schrieb einst Bertolt Brecht: „Wenn der unentbehrliche Mann stirbt, schaut die Welt sich um wie eine Mutter, die keine Milch für ihr Kind hat. Wenn der unentbehrliche Mann eine Woche nach seinem Tod zurückkehrte, fände man für ihn nicht mehr die Stelle eines Portiers.“ Diese Vorhersage dürfte sich bei Fidel Castro nicht erfüllen. Kurz vor seinem Kollaps 2006 sagte er bei einer Rede in Bayamo, es gebe sicher schon etliche Kubaner, die älter als hundert seien. „Aber unser Nachtbar aus dem Norden braucht das nicht zu erschrecken, ich gedenke nicht in jenem Alter noch Ämter zu haben. Aber ich werde mein ganzes Leben kämpfen, und zwar bis zur letzten Sekunde – und solange ich den Verstand besitze –, um etwas Gutes, Nützliches zu tun.“ Comandate Fidel – presente!
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