Bouteflikas Revanche

Geiseldrama Die Befreiungsaktion der Armee Algeriens wird im Westen kritisiert. Doch sie zeigt vor allem eines, das Land will nicht in den Sog des Mali-Konflikts geraten
Einfahrt in eine Todeszone
Einfahrt in eine Todeszone

Foto: Kjetil Alsvik / AFP

Es ist so, als ob die algerische Regierung sagen wollte: Wir haben euch gewarnt, dass bei einer Intervention in Mali ein regionaler Flächenbrand droht. Und wenn Frankreich meint, ihn auslösen zu müssen, wird Algerien ihn auf seinem Territorium nach Kräfte zu löschen versuchen. Deshalb gibt es keine Verhandlungen mit den Geiselnehmern auf dem Gasfeld von In Amenas, deshalb gibt die Armee kein Pardon und schert sich wenig um das Leben der Betroffenen. Ob es sich nun um die eigenen Leute oder Ausländer handelt. Eine grausame Strategie, auf die Regierungen und Kommandeure zurückgreifen, deren Staaten im Krieg stehen, wenn ein militärischer Vorteil sehr viel und ein Menschenleben nur noch sehr wenig wert sein kann.

Vieles spricht dafür, dass Präsident Bouteflika den in seinen Land einsickernden islamistischen Verbänden keinen Fußbreit Boden gönnen, vor allem keine Operationsfreiheit zugestehen will. Der malische Konflikt soll sein Land so wenig wie möglich destabilisieren. Am besten gar nicht. Schon bei den ersten Anzeichen, wird das mit aller Gewalt unterbunden wie auf dem BP-Gasfeld. Das allein ist die Erklärung für Verlauf und Ergebnis des Angriffs auf die Anlagen von In Amenas.

Trauma der bleiernen Jahre

Die Kombattanten der Organisation Al-Qaida im Islamischen Maghreb wie auch bewaffnete Tuareg verfügen seit Jahren über Rückzugsräume in der algerischen Sahara. Nun aber droht dieses Areal zum Gefechtsfeld zu werden. Zum asymmetrischen Krieg der vielen, offenbar koordiniert handelnden Al-Qaida-Filialen in Nordafrika gehört eine vernetzte Strategie: In Mali kämpfen, in Algerien den Energiesektor attackieren, in Somalia eine französische Geisel töten, in Mauretanien die Nachhut ausbilden, im Niger den Uranbergbau im Blick haben … Das ist sehr viel mehr als der berühmte Flügelschlag des Schmetterlings, der in Algerien zum Orkan anschwillt.

Nur allzu frisch ist in diesem Land die Erinnerung an das Jahrzehnt des Grauens nach 1990. Während dieser bleiernen Jahren kam es zum Bürgerkrieg zwischen einer islamistischen Guerilla der Islamischen Heilsfront (FIS) und der Armee. In ländlichen Regionen wurde die Bevölkerung an manchen Orten zwischen den Fronten förmlich zerrieben. 120.000 Tote – manche Bilanzen sagen 150.000 – waren zu beklagen. Die Opferzahlen erinnerten an das Grauen im Unabhängigkeitskrieg mit Frankreich zwischen 1955 und 1962. Wer diesen Vergleich heraufbeschwor, hatte nicht übertrieben, weil die Massaker in ländlichen Gemeinden und die Bestialität des Mordens allein alles übertrafen, was es bis dahin gegeben hatte.

Beim Besuch Francois Hollandes Ende 2012 in Algier hatte die algerische Regierung davor gewarnt, das bei einer Eskalation in Mali die Ausläufer des Bebens Algerien nicht verschonen würden. Die von Präsident Bouteflika betriebene nationale Versöhnung sei in Gefahr. Um das zu verhindern, hatte sich Algier ausdrücklich als Vermittler angeboten, um mit den islamistischen Kämpfern und Tuareg-Sezessionisten in Nordmali zu verhandeln. Noch allem, was in nur einer Woche in Mali und Algerien geschehen ist, sind Verhandlungen aussichtslos.

Giscard ist alarmiert

In Frankreich regt sich denn auch die erste deutliche Kritik an Präsident Hollande. Mitte der Woche sagte Valery Giscard d'Estaing, Präsident der Republik von 1974 bis 1981, im Interview mit Le Monde, er sei sehr beunruhigt, „über das Risiko einer neo-kolonialistischen Aktion in Mali“. Frankreich sollte sich „strikt auf eine logistische Unterstützung afrikanischer Kräfte zurückziehen und beschränken. Ich bin sehr alarmiert über die mögliche Evolution dieser Operation“. Und dann ein kleiner, aber gezielter Seitenhieb auf seine Nachfolger bis hin zum jetzigen Staatschef: „Ich war der einzige Präsident, der in seiner Amtszeit die alte Stadt Timbuktu besucht hat. Ich bin von Hunderten, vielleicht sogar Tausenden Tuareg empfangen worden.“ Es sind gerade Tuareg, gegen die sich im Moment die Luftangriffe und Panzervorstöße des französischen Interventionskorps richten.

Auch der neue UMP-Chef Jean-François Copé gibt gegenüber dem Figaro zu verstehen, man unterstütze zwar die Entscheidung des Präsidenten, in Mali einzugreifen, sei aber „extrem beunruhigt, dass Frankreich isoliert werden könnte“.

Ex-Außenminister Alain Juppé aus dem letzten Kabinett des abgewählten Nicolas Sarkozy äußert gegenüber France 24, dem französischen Auslandsfernsehen, er sehe eine Etappe extremer Risiken angesichts der Ausrüstung der Bodentruppen. Wörtlich: „Ich fürchte, dass wir uns in eine Spirale der Gewalt hinein bewegen, die wir auf Dauer kaum beherrschen werden. Es ist wichtig, schnell zu klären, worin eigentlich die Ziele der französischen Intervention bestehen.“ Und der UMP-Politiker Brice Hortefeux, bis 2011 Innenminister in der Regierung von Premier François Fillon, beschwert sich gegenüber dem Figaro, dass noch keine Untersuchungskommission einberufen worden sei, die sich mit den Umständen der missglückten Befreiung und dem Tod der französischen Geisel Denis Allex in Somalia beschäftige.

Harschen Widerspruch erntet Hollande auch aus der Partei l'Europe-Ecologie-Les-Verts (EELV) durch ihren Vorsitzenden Noël Mamère. Was zur Rechtfertigung der Intervention von der Regierung vorgebracht werde, sei „Propaganda“, ist er überzeugt. EELV-Ko-Präsidentin Barbara Pompili geht etwas gnädiger mit der Regierung um: „Ich unterstütze die Intervention, hätte es aber vorgezogen, wäre die Nationalversammlung einbezogen worden.“

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